Interview mit Rapper Chefket anlässlich seines Münchner Auftritts

"Riesenkrasse Szene in München, aber keiner kriegt es mit"

von Olga Levina

Şevket Dirican, alias Chefket. Foto: Classic Media

Chefket auf "Nachtmensch"-Tour. Es ist kurz vor seinem Auftritt im Feierwerk/Hansa 39. Er hat Zeit für uns. Also los: Wir fragen den Berliner Rapper nach seinem Verhältnis zu München, seinen Inspirationsquellen, seinen Erfahrungen als Sprachbotschafter des Goethe-Instituts und was er machen würde, wenn er Musiklehrer wäre. Sowie noch einiges mehr.

Interessierst Du dich für klassische Konzerte oder Theater?

Ja, in der Schule hatte ich die "Carmina Burana" im Chor. (Er singt einen Part vor.) Diese Stelle hat mir am besten gefallen. Und allgemein klassische Musik ja, aber ich bin jetzt auch nicht so versiert, dass ich sagen könnte: Ach, das ist dies oder ach, das ist jenes – aber man hört sich ein Paar Sachen schon an. Ich würde mich auch gerne vertieft damit auseinandersetzen, aber leider fehlt mir dafür die Zeit. Ich hör' sie aber gerne – klassische Musik beruhigt mich auf jeden Fall.

Und wie sieht es mit Theatern oder Ausstellungen aus? Oder gehst Du in Berlin doch überwiegend auf Hip Hop oder Elektronische Musik weg?

Ja, natürlich! Berlin ist ja voller Museen und hat da sehr viel zu bieten. Aber ich bin jetzt noch nicht soweit, dass ich sagen kann: Ich hab mir da alles angesehen. Doch ich will es schon die ganze Zeit – und ich werde es auch künftig machen.

Bist du eigentlich oft in München? Und was verbindest du mit dieser Stadt - bis auf Lederhosen und Bier?

Ich bin sehr oft hier. Hier ist auch die "Streetlove"-Crew. Es ist eine Tanzgruppe aus München. Die haben auch bei "Rap & Soul" mitgetanzt und jetzt auch beim "Fliegen"-Video mitgemacht. Sie werden auch heute Abend hier auftreten. Ich komm' halt immer her, wenn sie Battles haben und guck' sie mir an. Und es gibt auch manchmal Poetry Slam zwischendrin. Es passiert im Underground und keiner kriegt es mit. Es gibt aber eine riesenkrasse Szene. Oder ich komme einfach so her und wir machen irgendwelche Action.

Gehst Du dann auch mal ins Substanz wegen Poetry Slam?

Ne, nur auf diese Privatveranstaltungen. Wir bringen da Jugendlichen den Hip Hop näher. Wie alles entstanden ist und dass es besser ist, gewaltfreier zu leben und nicht so kapitalistisch und das alles mit positiven Vibes.

Du warst ja bereits als Sprachbotschafter des Goethe-Instituts unterwegs. Wie hast du deutschen Hip Hop Jugendlichen im Ausland nähergebracht? Bringst Du eher deine Skills bei oder gehst Du auf verschiedene Styles aus Städten wie Berlin, Hamburg oder Stuttgart ein?

Wir haben zum Beispiel mit Pyranja, einer Rapperin von früher, die demnächst, glaub' ich, wieder was Neues macht, die Geschichte von Hip Hop erzählt. Dann habe ich noch Workshops wie man Texte schreibt oder auch Konzerte gegeben.

Was war denn Dein bestes Erlebnis als Sprachbotschafter des Goethe-Instituts?

Es gibt da unterschiedliche Sachen. Es gibt auch Sachen, die ich außerhalb des Goethe-Instituts gemacht hab - in Amerika. Dort habe ich Collegestudenten unterrichtet. Oder an elitären Schulen, wo die Schüler dann eher Operngesang studieren. Auch Harvardstudenten oder Professoren, die ihr Deutsch verbessern wollen.

Einst Gewinner des "End of the Week"-Freestyle-Battles: Chefket. Foto: Classic Media

Die zahlen dann 10.000 Dollar für sieben Wochen Deutschunterricht. Denen ist dann auch untersagt Englisch zu reden, und wenn sie drei Mal erwischt werden, dann fliegen sie von der Schule. Es ist eine sehr krasse Art und Weise zu lernen. Und wenn ich dann zum Beispiel auf der Bühne war und gesagt hab: Gebt mir ein Yes, yes, yo! Dann haben die das nicht gemacht. Es saß schon zu tief drin. Dafür lernen sie innerhalb dieser sieben Wochen extrem schnell Deutsch. Und dann siehst du wie es wäre, wenn jeder eine Möglichkeit hätte, an derartige Bildung zu gelangen und solche Kurse zu besuchen. Wir könnten in Deutschland so viel schneller vorankommen. Es ist nur ein Geldding, doch da wird halt leider nicht investiert.

Durch derartige Kurse wäre Integration also auch einfacher?

Ja, weißt du, wenn sich da alle nur beschweren, dann bleibt es auch so. Früher hat man ja sogar alle Türken in ein Viertel gepackt und sich dann gewundert, warum sie kein Deutsch lernen.

Wie wichtig ist es für Dich ein politischer oder sozialkritischer Rapper zu sein?

Ich weiß es nicht. Ich habe als Künstler eine gewisse Zeit nachzudenken, kriege hier und da was mit und äußere mich dazu – sage, was mich bewegt. Ich zähl'  jetzt keine Fakten auf oder schreib' keine Hausarbeit darüber. Ich rede einfach über die Emotionen, die ich durch die Informationen bekomme. Und ansonsten klar, wenn ich Unterschriften sammle, damit irgendwo ein Auto nicht so schnell an einem Kindergarten vorbeifährt, dann bin ich ja auch schon politisch aktiv. Die Frage ist, wie man genau einen politischen Rapper definiert.

Woraus ziehst Du denn überwiegend deine Inspiration?

Ich glaub, dass es das Schreiben an sich ist. Und die Quellen sind ja vielfältig. Es gibt so viele Menschen, die sich seit Jahrtausenden mit dem eigenen Ich befasst haben, also damit, was oder wer der Mensch ist. Das eigentlich Interessante hat man überall. Wie Freunde, die zu einem sprechen. Man muss einfach nur zuhören. Du kannst sie sogar in die Ecke werfen und später darin weiterlesen – die sind nicht beleidigt. Und sonst einfache und eher allgemeine Sachen, der Alltag.

Ließt Du denn auch philosophische Texte über Ästhetik? Oder geht das zu weit?

Das geht mir schon etwas zu weit. Ich sehe das wie ein Laie – aus einer eher naiven Perspektive. Nicht so wissenschaftlich. Ich habe eher das vor Augen, was mich inspiriert.

Ist es für Dich wichtig deinen Traum zu leben? Also den Traum von einem Menschen, wie er für dich sein sollte.

Ja, inzwischen schon. Wenn ich so handle, wie ich denke, dass ich handeln sollte, dann ist es schon mal was.

In einem Interview vor ziemlich genau zwei Jahren, hast Du davon gesprochen, dass Du ein eigenes Label gründen und andere Künstler unter Vertrag nehmen möchtest. Bist Du deinem Traum von Chefket Records näher gekommen?

Inzwischen ist es eher so, dass ich, wenn ich jüngere Künstler sehe, daran denke, dass mir der Weg gut getan hat. Er war voller Zweifel und auch nicht der Leichteste, aber man weiß ja, wofür man es getan hat. Und dann frage ich sie manchmal, ob sie als meine Vorgruppe auftreten wollen.

Nachdem Du ja einen großen musikalischen Freundeskreis besitzt, frage ich mich, ob demnächst Featurings geplant sind, wie etwa mit Batsause und Qwazar?

Ich bin offen für alles. Aber jetzt mache ich erstmal die Tour und arbeite danach an meinem nächsten Album. Mal gucken, was sich dann so ergibt. Mit Motion Man hab ich ein Feature gemacht. Er ist eher Underground. Das ist so das Umfeld von Kutmasta Kurt und Kool Keith. Ich denke da eher so wie ein Produzent. Wenn ich ein Thema habe, zu dem ich alles bereits gesagt habe, dann höre ich praktisch schon den Rapper, den ich da gern mit drauf hätte. So in der Art, was würde jetzt der und der dazu sagen? Dann frage ich denjenigen an und meistens sind die Leute froh darüber, dass der Tisch bereits gedeckt ist – das Thema da ist und dass sie sich nur noch inspirieren lassen müssen. Anstatt dass man sich extra trifft und mit einem englischsprachigen Rapper was ausmacht, und man sagt dann so etwas wie: Germany to Amerika, wow! Hier und da, aber immer dasselbe. Das mach' ich irgendwie nicht mehr. Aber damals zur "End of the Week"-Zeit war es so – man kollaborierte mit Leuten, die man nicht so kennt.

Gehst Du lieber konzeptionell vor oder arbeitest du eher spontan? Und wie schaffst Du es, aus einer Idee einen fertigen Track zu machen?

Das Cover seines dritten Albums "Nachtmensch". Foto: Classic Media

Es kommt drauf an, ob es ein Album ist oder nicht. Wenn ich ein Mixtape mache, dann ist es sehr locker und passiert ganz einfach. Bei den Alben habe ich das Verlangen eine Geschichte zu erzählen. "Einerseits Anderseits" hängt ja mit "Nachtmensch" zusammen und das nächste Album wird auch damit zusammenhängen. Deswegen kann man so etwas nicht wie ein Mixtape machen.

Auf Deinem Album gibt es neben elektronischen Elementen auch klare Jazzeinflüsse – gibt es da einen Künstler, der Dich beeinflusst hat?

Nein, es ist einfach so, dass Jazz mir immer sehr gut gefallen hat. Auch als ich kleiner war, habe ich Platten angehört von Wynton Marsalis oder Miles Davis und Chet Baker. Ich habe mich dennoch nie wirklich vertieft damit beschäftigt. Aber heute wirst Du beim Konzert auf jeden Fall viele Sachen heraushören.

Heute in der Show stellst Du dein neues Album vor. Aber können wir uns auch auf Chefket-Klassiker freuen?

Wir hätten vielleicht mehr draufpacken sollen. Wir sind ja bei der zweiten Show der Tour - und die Setliste entwickelt sich gerade noch. Manchmal kommen Sachen dazu und manchmal kommen sie weg. Mal gucken, wie es am Ende klingt.

Und wie lief es bisher – bist Du zufrieden?

Ja, es läuft sehr gut. Gestern war der erste Auftritt in Wien, er war ausverkauft. Die Leute waren gut drauf – es war sehr cool.

Jetzt noch eine ganz andere Frage: Viele Musiker waren ja bekanntlich schlecht im Musikunterricht, haben sich dann aber doch als sehr talentiert erwiesen. Könnte man den Musikunterricht nicht verbessern, und wie würde er aussehen, wenn Du der Lehrer wärst?

Ich glaub', man könnte zum Beispiel ein Stück aus der Popmusik nehmen und es genau so besprechen wie man ein klassisches Stück besprochen hätte. Es wäre gut, wenn man auch da zum Beispiel die Tonfolge bespricht und typische Tonfolgen aufzeigt. Wenn man das alles so auseinander nimmt und ein Schüler, der den Track im Alltag hört, direkt daran erinnert wird, dann denke ich, wird er zugleich viel gespannter zuhören, als bei 'toter Musik' -  und ich sage nur deshalb 'tote Musik', weil sie nicht im Jetzt stattfindet. Es fährt ja kaum einer im Auto mit heruntergedrehter Scheibe und hört Klassik. Wenn man das alles dadurch mehr in die Realität holt, auch mit jüngeren Lehrern, die sich nicht nur auf die Klassik versteifen, dann wäre der Musikunterricht besser. Ich muss aber auch sagen, dass ich nicht weiß wie er genau momentan aussieht.

 

Beim anschließenden Konzert im Feierwerk überzeugt Chefket voll und ganz. Er rappt auf Deutsch wie auf Türkisch. Die Menge tobt, im B-Boy-Kreis wird getanzt, einer der Fans führt sogar den "Carlton" auf und surft anschließend auf der Crowd davon. Besonders bemerkenswert ist Chefkets Zusammenspiel mit seiner Crew. Diese untermalt seine Texte mit emotionalem Gesang, Klavier- und Violinklängen. Der Auftritt der "Streetlove"-Crew rundet die Show ab. Ein insgesamt schönes Konzert mit toller Stimmung, vom Warm-up mit Roger Rekless bis zum Schluss.

Die Besprechung des Albums "Nachtmensch" ist August 2015 im Kulturvollzug erschienen. Auf der Homepage von Chefket gibt es weitere Informationen und Daten zur aktuellen Tour.

Veröffentlicht am: 02.11.2015

Über den Autor

Olga Levina

Redakteurin

Olga Levina ist seit 2012 beim Kulturvollzug.

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