Rimini Protokoll bei Spielart in den Kammerspielen
Wir kämpfen gegen die Klimaerwärmung
Schon mal über die Politiker und Experten gespottet, die sich bei Klimakonferenzen die Münder fusselig reden, anscheinend, ohne dass etwas Greifbares oder Messbares geschieht? Dann sollten Sie sich gleich mal selber zu so einem Meeting eintragen. Warum nicht gleich zur „Weltklimakonferenz“ von Rimini Protokoll: ein aufschlussreicher Abend in den weitläufigen Kammerspielen.
Der afrikanische Fachmann unten auf dem Podium hat eben die koloniale Vergangenheit Spaniens gegeißelt, da schwenkt ein Scheinwerfer aus der Proszeniumsloge herum und nimmt mich ins Visier. Ja, mich. Denn ich bin Spanien an diesem Abend, vielmehr: Ich vertrete Spanien bei dieser Konferenz, zusammen mit einem anderen Zuschauer. Rund 200 Länder finden sich so vertreten. Mich hat es aber gerade als Spanier erwischt, und weil ich zu verdutzt bin und die Augen einen Augenblick zu lang geöffnet lasse, brennt sich das Licht in meine Netzhaut.
Bleibt da mehr als eine zeitweilige Netzhautverödung? Ja wohl. Denn man lernt eine ganze Menge an diesem Abend, den Rimini Protokoll in der Regie von Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel für das Festival Spielart angerichtet hat. Man erfährt viel über das Klima, die Welt, die Politik. Und auch sich selber.
Zum Beispiel, warum das so schwierig ist, sich auf Klimaziele zu einigen. Das Klima an sich sei schon eine komplizierte Angelegenheit, lässt der Klimaforscher Mojib Latif zu Beginn wissen. Hinzu kommt des Menschen Beitrag. Nicht nur, dass des Menschen Treiben Umwelt und Klima schädigt, er tut es mit unabsehbaren Folgen, schlimm fürs eine Land, weniger schlimm für das nächste, zunächst hilfreich gar für die Wirtschaft des Dritten. Ein Reeder in Hamburg mag das Abschmelzen der Polkappen persönlich bedauern, als Geschäftsmann wird er es begrüßen, wenn er seine Schiffe künftig durch die freigeschmolzene Nordpassage nach Japan schicken kann. Spart ja ein Drittel an Seemeilen. Macht allerdings auch ein ziemliches Minus für Ägypten, das nicht mehr so viele Schiffe durch seinen Suezkanal fahren sieht.
Vertrackt auch, dass Umweltschutz so teuer ist. Klar, für Investitionen in bessere Technik werden Milliarden und Abermilliarden fällig, aber auch für die Bewältigung von Katastrophen. Am meisten leiden die Länder, die gar nicht am meisten angestellt haben – was den Ausgleich teuer macht. Welcher Umweltschaden ist denn überhaupt von Menschen verursacht, und wer genau soll zahlen? Und was geschieht, wenn die Menschen der Dritten Welt den Lebensstil der Ersten Welt anstreben? Gerade versucht die Menschheit – mehr oder weniger -, die Schäden auszubessern, die die Industrienationen angerichtet haben. Da kommt das dicke Ende erst noch. Wie sich zeigt, ist der Kapitalismus an vielem, wenn nicht allem schuld. Doch der Sozialismus ist auch nicht besser.
Wenn ich Eis in Wasser schmelzen lasse - steigt dann der Wasserspiegel? Die "Weltklimakonferenz" ist aber weniger unterrichtsmäßig, als es scheinen mag. Foto: Schauspielhaus Hamburg
In den Kammerspielen hat man mit der Eintrittskarte auch eine Länderkarte gezogen. Rimini Protokoll arbeitet, wie gewohnt, mit Laien, Zuschauern und hohem Aufwand. Die genau getaktete Choreographie der Beratungssitzungen führt die Zuschauer als Delegierte durch die Kammerspiele, in die Kammer 1 ebenso wie in die Kammer 3, in die Kantine wie in den Malsaal, auf die Bühne wie in die Hinterbühne, eine Delegation tagt in einem Bus. An jeder Stationen geben Klimaforscher, Arktis-Experten und andere Fachleute sehr unterhaltsam Einblicke.
Schließlich gibt jede Delegation Klimaversprechen ab. Mehr oder weniger realistisch, bei den Realisten scheint sich der Gedanke ans imaginäre Wahlvolk daheim durchgesetzt zu haben. Am Ende versammeln sich alle wieder im Großen Haus, für einen Beschluss. Die Klimapläne werden in Grafiken umgesetzt, auch die wohlmeinenden Kammerspiele-Zuschauer, fern jeder politischen Verantwortung, hätten das Minimalziel so eben erreicht. Es wird abgestimmt, Einstimmigkeit ist eigentlich nicht herzustellen, zumal die Russen in der Sitzreihe vor mir schon abgereist sind oder sich in den Weiten der Kammerspiele verlaufen haben. Erstaunlich, wie Moderator Florian Raus dennoch eine Resolution herbeiführt: ein Beispiel für den Spielraum der politischen Sprache.
Am Ende wieder Scheinwerfer, diesmal für alle: Der große Lichterkreis der Kammerspiele senkt sich auf die Bühne, eine unbarmherzige Sonne. Danach viel Gesprächsbedarf, in Grüppchen stehen die Menschen vor dem Kammerspielen. Nicht wenige im bloßen Hemd oder gar T-Shirt. Und das mitten im November. Diese Pointe hätten sich auch die Rimini-Protokoll-Macher nicht besser ausdenken können. Intelligent und routiniert gemacht, nicht neu, aber - auch angesichts einiger halbgarer Produktionen - einer der besten Abende in der zweiten Spielart-Woche.
Anmerkung der Redaktion: In der aktuellen Fassung dieses Textes haben wir einen Fehler in der Bildunterschrift zu Mojib Latif verbessert. Da stand ursprünglich Mojab Latif.