Grillparzers "Das goldene Vlies" am Residenztheater
Und ewig grüßt das Afrikakorps
Was hat Kolonialismus mit Flüchtlingselend zu tun? Eine ganze Menge. Dennoch scheitert Anne Lenk beim Versuch, beide Themen in Franz Grillparzers Dreifach-Drama "Das goldene Vlies" unterzubringen. Weil die Griechen in diesem Drama eben nicht so gut zu Kolonisatoren taugen.
Anne Lenk hat etwas zu sagen. Und das ist gut so. An sich. Sie hat aber eine Menge zu sagen, und das alles zugleich. Und das ist nicht so gut.
Natürlich will Anne Lenk die Geschichte von Medea erzählen, sich an der Frage reiben, wie man dazu kommt, seine Kinder zu töten, und sie will die existenzielle Erfahrung von Fremdheit nachvollziehbar machen. Anna Lenk sucht aber außerdem nach dem vergifteten Erbe des Kolonialismus und nach der Antwort auf die Fragen, wie so etwas wie Pegida entsteht und warum Europa in der Flüchtlingskrise versagt.
Und dieses noch dazu verträgt der ehrenwerte Text des österreichischen Nationaldichters Franz Grillparzer nicht so ohne weiteres. Nein, lassen wir das „ohne weiteres“: Die Inszenierung geht nicht auf.
Eine Trilogie hat Grillparzer um die tragische Gestalt der Medea herum gewoben. Seinem Text tut Anne Lenk sanfte Gewalt an – indem sie kürzt. Härter werden die Eingriffe an Stellen, die erst einmal gar nicht so auffallen. Die sogar so wenig auffallen, dass viele Zuschauer ein wenig verwirrt sind. Denn Anne Lenk beginnt mit dem letzten Teil, die Vorgeschichte wird in Rückblenden erzählt. Auf der Reise zwischen den Zeiten sieht man Meike Droste als Medea um ein Ziffernblatt herumlaufen, das die Scheinwerfer auf den schwarzen Bühnenboden malen. Und dann wohnt man auf einmal einer anderen Geschichte bei. Das Hin und Her kann, wir haben's gesagt, ein wenig verwirren. Dabei bieten Judith Oswalds karge Bühne und Markus Schadels Lichtregie doch eigentlich eine Menge.
Noch härter setzt Lenk dem Text zu, wo es ihr um eine Botschaft geht. Die Geschichte Grillparzers setzt mit der Ankunft des Griechen Phryxus in Kolchis ein. Phryxus ist eigentlich eine arme Sau, dringend der Hilfe bedürftig. Weil aber der Kolcher König Aietes Angst vor Überfremdung hat, meuchelt er den Phryxus. Anne Lenk vervielfältigt den Flüchtling zu einer zynischen und lüsternen Schar von Eroberern, die ihre Eroberungsabsichten nicht einmal mehr kaschieren. Die Kostüme weisen die Neuankömmlinge als Conquistadores aus. Und aus Aietes' heimtückischem Verbrechen wider das heilige Gastrecht wird ein nachvollziehbarer Akt der Selbstverteidigung. Alles klar: Böse Kolonisatoren, immer drauf auf die Zwölf.
Fetisch der Eroberer – es werden mit Jason erfolgreichere Invasoren kommen – ist ein Widderfell. Man weiß, dass in der Antike mit Fellen Goldpartikel aus dem Flusswasser gewaschen wurden. Das goldene Vlies war auch den Griechen schon Zeichen für Reichtum, für Unbesiegbarkeit. In Anne Lenks Inszenierung ist es ein Fellwisch. Hätte das Ding keine Haare, könnte man es als Fensterleder verwenden. Das soll Reichtum sein?
Überhaupt ist die Ausstattung ein Problem.Jason und seine Argonauten - die zweite Welle der Invasoren - sehen aus wie Kämpfer des Afrikakorps. Bei so viel Klarheit und Willen zur Festlegung ist für Tragik kein Platz mehr. Die Barbaren von Kolchis wiederum sind – Barbaren. Anne Lenk und Kostümbildnerin Sibylle Wallum hüllen sie in Fetzen und komische Röckchen, beim Opfer summen sie einen Singsang, der sich verdächtig nach Bumbabadumm anhört. Absyrtus (Lukas Turtur) mag mal als edler Wilder angedacht gewesen sein. Wie er da, einem Kneipenschläger gleich, den Stuhl als Waffe schwenkt, sieht er aus – nun, wie ein Kneipenschläger. Das ist keine Komik. Das ist albern. Und führt nirgendwo hin, schon gar nicht in ein so fremdes Land wie Kolchis.
Immer wieder versucht Lenk mit einfachen Gags schwierige Fragen zu beantworten. Der Entstehungsgeschichte von Pegida aber sind wir auch nach dem Auftritt der göttlichen Herolde nicht näher gekommen. Dabei hat die Geschichte doch ganz gut angefangen. Wie Katrin Röver als Gora und Droste als Medea als Flüchtlinge in Korinth ankommen, mit gepackten Tüten; wie dann Medea ihr Erbe als perfekte Integrationswillige einbuddelt; warum es dann doch nicht klappt: Das hätte spannend werden können. Hätte.
Wir sehen an sich gute, sehr gute Schauspieler. Oliver Nägele gibt den Kreon und Aietes mit routiniertem Großschauspielertum, das nur manchmal ein klitzekleinwenig nervt. Besser wär's, wenn sich Nora Buzalka als Kreusa nicht dauernd als wohlmeinende Tusse vergeben müsste. Und das Paar des Abends? Was Jason Johannes Zirner kann, weiß man eigentlich, man sieht es an diesem Abend nur nicht so ganz. Wie er sich immer und immer wieder windet, der kalte Kerl: ein Technokrat mehr denn ein Held. Wie Medea und Jason zusammenkommen konnten: ein Rätsel.
Das eigentliche Ereignis bleibt, für sich gesehen, in ihrer verletzten Mädchenhaftigkeit, ihrer Präsenz, ihrer Präzision schon an einem schwierigen ersten Abend: Meike Droste. In ihrer Gestalt bewahrt Medea ihren Zauber. Ein Fremdkörper.