Zur Wiederaufnahme von "Illusionen wie Schwanensee" am Staatsballett

Ergreifendes Taumeln in den Untergang

von Isabel Winklbauer

Ludwigs Traum, Prinzessin Odette (E. Petina). Foto: Katja Wachter

Was wird aus Münchens John-Neumeier-Repertoire, wenn ab Herbst Igor Zelensky das Bayerische Staatsballett übernimmt? Wer sicher gehen will und sich noch einmal eine Portion des Stoffs servieren lassen will, bevor er vielleicht für immer verschwindet, hat jetzt die Gelegenheit dazu. "Illusionen wie Schwanensee", die Fusion von Petipas Klassiker mit einem Psychogramm unseres Märchenkönigs Ludwig, steht in der Oper wieder auf dem Spielplan. Das Ensemble eröffnete die sechsteilige Serie mit einer hochemotionalen Vorstellung.

Ein bewegendes Porträt des Märchenkönigs. Foto: Wilfried Hösl

Abgesehen davon, dass das Corps de Ballet sich in den letzten 24 Monaten praktisch von Grund auf erneuert hat, gab es auch zwei Hauptrollendebuts: Solist Matej Urban tanzte erstmals den König - mit typischem Ludwig-Ernst, mit Hingabe und Eleganz. Seine Gesten im zweiten Akt, als er mit Odette ganz in der Schwanenwelt versinkt, dürften gerne größer sein. Später, in der Siegfried-Variation des Maskenballs, gewinnt er mit melancholischem Charme die Herzen. Ein zweiter Ludwig neben Tigran Mikayelyan ist geboren! Was ebenfalls für Urban spricht: Er passt perfekt zu Marlon Dino, der den Mann im Schatten - ein Sinnbild für Ludwigs Depression - teuflischer gibt als je zuvor. Die Szenen der beiden, bis hin zum tragischen Ende, sind ergreifend, ein düsteres Taumeln in den Untergang, tänzerisch mit Spannung umgesetzt.

Divertissements beim Maskenball. Foto: Wilfried Hösl

Javier Amo als Graf Alexander, die zweite Neubesetzung, harmoniert bestens mit der lebensfrohen Prinzessin Claire (Katherina Markowskaia). Die beiden Könner der klassischen Technik ernten für ihren russischen Tanz auf dem Maskenball großen Applaus. So perfekt ins Umfeld integriert erlebt man Amo selten - normalerweise sticht er durch Statur, Können und Jetzt-komm-ich-Attitüde unweigerlich heraus. Letztere ließ er diesmal in der Garderobe, was ihm gut steht. Weltklasse zeigte wie immer Lucia Lacarra als Odette. In dieser Rolle ist sie seit einem knappen Jahr auch in einem Porträt im Foyer des Nationaltheaters zu sehen. Hier nun gestaltet sie die Odette als perfekten Spiegel für Ludwigs Sehnsüchte und seinen Wahn, darstellerisch auf einem Niveau, das von San Francisco bis Tokio seinesgleichen sucht. Ekaterina Petina, ihrerseits, verleiht Prinzessin Natalia, die Ludwig mit allen Mitteln eines schwarzen Schwans und einer liebenden Gemahlin zu retten versucht, die Naivität einer jungen Frau. Gepaart mit aristokratischer Klasse und der für Petina typischen Spannkraft - man kennt sie aus "Broken Fall" - gelingt ihr eine sehr moderne, interessante Interpretation der Rolle.

Marlon Dino als Mann im Schatten (hier mit T. Mikayelyan). Foto: Wilfried Hösl

So manche Träne floss beim Schlussapplaus. Ludwigs Geschichte ist tief in den Herzen der Münchner verwurzelt, und auch das Staatsballett lässt sich gerne in die Legende fallen. Neumeier hat die wichtigsten klassischen Choreografien Petipas übernommen - die technischen Herausforderungen sind also immer noch enthalten. Hinzu kommt: In Neumeiers "Schwanensee"-Variante ist Prinz Siegfried, als Alter Ego Ludwigs, endlich vom Ballerinenhalter zum echten Charakter rehabilitiert. Und zu was für einem! Es gehört zu den größten Verdiensten von Ballettdirektor Ivan Liska, dieses Werk für München gerettet zu haben. Die Vorstellung war bis obenhin voll, man handelte Karten vor den Türen. Wird Igor Zelensky das verstehen?

Am 12. und 13. Februar 2016 darf man sich jedenfalls auf weitere Rollendebuts freuen: Ivy Amista tanzt Prinzessin Natalia, Mai Kono die Prinzessin Claire und Adam Zvonar den Grafen Alexander.

Weitere Vorstellungen: 12. und 13. Februar, 17. und 19. Juni 2016.

 

Veröffentlicht am: 03.02.2016

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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