Zum Tod von Hannes Beckmann

Teufel, Matador, Autorität, Botschafter, Erscheinung, Mensch

von Michael Wüst

"Maestro Beckmann und die Bahnhofskapelle" beim JIM-Jazzfest 2014. Foto: Michael Wüst

Hannes Beckmann nachzurufen, läßt uns inne halten, uns fragen, wo sind wir: jetzt. Läßt uns fast erschrecken über dieses Jetzt, in dem wir uns doch schon eigentlich seit den 80er Jahren befinden, als Schwabing das zweite Mal verblasste. Wir, die wir seiner Generation sind.

Denn Hannes Beckmann war ein Star des zweiten Schwabings der 70er Jahre, ein Matador, der Teufelsgeiger, wie ihn die Presse dann bald nannte. Des Teufels Beitrag zu dem damals göttlichen Schwabing war aber gar nicht ein Gestus paganinihafter Virtuosität. Hannes Beckmann war Groove, reinster Groove. "Jazzstube", Herzogstraße, Ecke Apianstraße: Mit jedem Aufstrich, in körperlicher Autorität, riss er die Section seiner 1972 gegründeten Gruppe Sinto mit Bobby Stern (Tenorsaxofon) und Jimmy Polivka (Trompete), um zwei der Begleiter nur zu nennen, in die Riffs und die Themen eines komplett neuen Klanges. Anders als Salsa, Samba oder Bossa Nova. Sinto war in Bahia, dem Zentrum der afroamerikanischen Candomblé-Religion gelandet. Der Groove war unnachgiebig geschmeidig. Die tropischen Stimmen erklangen in Pery dos Santos´ Berimbao und Queca.

Und die Geige verband alles. Kein Rekapitulieren, kein Absacken. Überall, an jedem Moment zwischen Strophen und Refrains, holte das ausgeworfene Band der Geige ein und zurück, das Stück zusammen, ohne abzusetzen. Hier und Jetzt hielt die Zeit auf. "Vamos par Georgia" vergißt man nie.

Und es war noch gar nicht die Zeit der Ethno-Konzepte, der Xenophilie-Programme, die Leute sprachen nicht von Lebensplänen, von Selbstverwirklichung, von Projekten, von Prozessen oder vom Reiz des Prozesshaften. Eine Selbstverständlichkeit des Lebens gab es, eigenartig. Man werfe Verklärung vor, aber da waren keine Kultur-Cliquen, wer diese Szene mochte, war einfach ein Teil, ihr Teil. Und wir waren noch nicht korrekt. Man schleppte nicht ständig Standpunkte mit sich herum, man bewegte sich. Dazu passte der Groove von Sinto. Beckmann wurde zu einem Botschafter der Neuen Welt. Und fand später den "Canto Migrando" einer Humanität, die heute wieder auf der Flucht ist.

In dem Schwabing dieser glücklichen Tage mit seinen vielen Musikbühnen war Hannes Beckmann eine der kraftvollsten Erscheinungen. Ein hervorragender Mensch der spielerischen Toleranz, der souveränen Selbstverständlichkeit des Humanen. Dich, Hannes, zu verlieren, macht uns bewusst, was wir im Begriff sind überhaupt zu verlieren. Verloren haben?

Veröffentlicht am: 18.03.2016

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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Brigitta Beckmann
18.04.2016 00:35 Uhr

Selten so eine gute Charakteristik von den " nicht begreiflichen" Ingredienzien eines Lebensgefühls und von Kunsterlebnissen gelesen, nämlich: Atmosphäre, Charisma und subjektives Kunstempfinden - so waren die Hannes Beckmann Konzerte in diesen seltsam leichten und unbeschwerten Zeiten der 70ger und 80ger Jahre.

Lieber Michael, vielen Dank, ein großartiges Sinnengemälde eines so vitalen und über seine Zeit hinaus reichenden Künstlers wie Hannes Beckmann in diesen inspirierenden und Hoffnung versprechenden Zeiten. Du hast eine tolle Feder, die direkt an Deinen Nerven und Herzadern angeschlossen scheint. Jedenfalls hast Du meine voll getroffen, und der Verstand kann dazu nur Ja sagen. Dafür meinen Dank und Bewunderung - Brigitta Beckmann