Interview zur Uraufführung der Dada-Operette "Cabaret Voltaire"
Oh, eine Dadaperette!
Überall wird Dada gefeiert. Was noch fehlt, ist eine Operette. Die hat der Münchner Peter Stangel komponiert – am Sonntag (11.9.2016) ist die Uraufführung in der Alten Kongresshalle über der Theresienwiese. Der 52-Jährige Musiker, der auch als Dirigent wirkt, wurde in der ehemaligen CSSR geboren und hat an verschiedenen Opernhäusern gearbeitet. Als Kulturvermittler und künstlerischer Leiter der Taschenphilharmonie ist er eine feste Größe im Münchner Klassikbetrieb.
Dada rauf, Dada runter – 100 Jahre ist es her, dass mitten im Ersten Weltkrieg ein paar fantasiebegabte junge Leute in Zürich aufeinandertrafen. Man könnte bei Hugo Ball und Emmy Hennings, bei Tristan Tzara oder Richard Huelsenbeck auch von wilden Vögeln sprechen. Denn ihre Auftritte im legendären Cabaret Voltaire waren schrill, komisch, absurd, also einfach Dada. Zum Jubiläum gibt es Ausstellungen, unzählige Buchveröffentlichungen, Theaterabende. Was in der Reihe noch fehlt, ist eine Dada-Operette.Am 11. September 2016 ist die Uraufführung in München. Der Titel? „Cabaret Voltaire“, was sonst!
Herr Stangel, hatten Sie heute schon ein Dada-Erlebnis?
Peter Stangel: Das ganze Leben ist Dada! Zumindest, wenn es um die fehlenden sinnvollen Bezüge geht. Früher hat man daraus dann einen Roman oder eine Novelle gemacht.
100 Jahre Dada ist die eine Sache, aber hat ein ernsthafter Musik-Erklärer und Analytiker nicht auch die tiefe Lust, mal etwas Absurdes zu machen?
Ich erkläreja nicht vorrangig, ich führe Musik ja vor allem auch auf, und ich komponiere. Wir sind innen drin doch alle viele Persönlichkeiten, das ist übrigens schon wieder dadaistisch. Als Komponist hatte ich immer schon ein Interesse an der leichten Muse, wobei ich die ganz leichte dann wieder nicht so mag. Es muss schon gut sein. Mozart hat das perfekt auf den Punkt gebracht: Schreibt so, dass es dem Mann auf der Straße gefällt, ohne dass er weiß warum, und die Kenner trotzdem lange Ohren kriegen.
Sie haben sich mit dem Librettisten Jürgen von Stenglin zusammengetan – Stangel von Stenglin klingt wie der Künstlername eines Dadaisten.
Und es geht schon damit los, dass er aus Celle kommt, ich aus Hannover, und wir beide erst nach München gehen mussten, um uns zu treffen – auch das ist Dada. Jedenfalls interessiert uns das Thema beide, ich habe schon vor Jahren Musik zu einem Dada-Schauspiel in Innsbruck komponiert, und nun dachten wir uns eine Handlung rund um die großen Dadaisten aus. Liebe, Verwechslungen, Eifersucht, Intrigen, alles, was in eine Operette gehört, wollten wir drin haben, aber gleichzeitig mit einem Augenzwinkern brechen. Unsere Operette hat also einen halben Schritt Abstand zu sich selbst.
Warum ausgerechnet eine Operette, und nicht wie heute üblich ein Musical, das den Ruch des Angesagten hat?
Da frage ich zurück: Warum versuchen wir in Europa, etwas nachzumachen, das die Amerikaner viel besser können? Früher war die Operette ein weltweit erfolgreicher Kunstexport aus Deutschland. Leider ist das Genre mangels neuer Stoffe und neuer Musik verkümmert. Aber deshalb braucht man die Flinte ja nicht gleich ins Korn zu werfen. Mit „Cabaret Voltaire“ versuchen wir jedenfalls, der Gattung neues Leben einzuhauchen und Komik mit Witz und Gefühl mit Geist zu verbinden.
Damit sind Sie bei den Ursprüngen der Operette, die viel frecher ist als viele glauben.
Das ist bei Kunst generell so und der Dadaismus das beste Beispiel dafür. Die Dadaisten wollten die Kunst abschaffen, aber der Dadaismus wird längst als Kunstform rezipiert. Brecht und Weill wollten mit der „Dreigroschenoper“ eine Anti-Oper schreiben, weil sie die Kulinarik satt hatten. Tatsächlich hat die „Dreigroschenoper“ nur überlebt, weil sie kulinarisch aufgenommen wurde. Das will der größte Teil des Publikums. Man hat also nur eine Chance, wenn man eine zweite Ebene einführt, die die Leute noch einmal anders berührt. Bei uns gibt es eine Spielebene und dann – wie im echten Cabaret Voltaire – ein paar Nummern auf der Bühne im Stück.
Wie darf man sich die vorstellen?
Ich bin frei mit dadaistischen Texten umgegangen und habe sie vertont. Es gibt ein paar Momente, da hoffe ich, dass die Leute zwar lachen, ihnen aber zugleich etwas im Hals stecken bleibt.
Und wie hört sich das an?
Ich wollte an die einfachen Formen der Operette anschließen und habe eine tonale Musik komponiert. Aber die sollte nicht so klingen, als sei sie schon vor hundert Jahren entstanden. Ich bediene mich der metrischen Modulation. Ein musikalisches Motiv wird nicht taktweise verkürzt oder verlängert, sondern mal um ein Viertel, mal um ein Achtel. Dadurch entstehen Spannungen „in sich“, und als Zuhörer hat man das Gefühl, es ist frisch, weil es nicht gleichmäßig geradeaus geht. Da sind zwar richtige Ohrwürmer drin, aber wenn man versucht mitzuschunkeln, haut’s einen sofort raus.
Man hat tatsächlich das Gefühl, man kennt’s – aber dann doch nicht.
Ja, manches klingt nach Kurt Weill, aber eben nicht ganz nach Kurt Weill, manches klingt nach Offenbach, aber halt auch etwas angeschrägt. Neben Jacques Offenbach gibt es auch noch andere Operettenkomponisten, bei denen man „dadaistische“ Anklänge findet. Oscar Straus etwa. Ich liebe Oscar Straus sehr, aber Offenbach ist einfach der beste. Mit der Schmalz-Fraktion Lehár und Kalman hab ich’s überhaupt nicht.
Einspruch, Lehár ist großartig und ziemlich gut gemacht.
Das gebe ich zu, aber ich hab’s gerne trocken ironisch.
Es darf also nicht zu süffig werden.
Genau. Denn mit Gustav Mahler ist eigentlich das Süffige durch. Der hat das ja schon ironisch gebrochen. Ich möchte jedenfalls bei den Leuten ein Gefühl erzeugen. Gefühl ja, Kitsch nein.
Tauchen denn typisch dadaistische Elemente wie Laut- oder Simultangedichte auf?
Ja, auf der Bühne. Da wird zum Beispiel Hugo Balls „Karavane“ in einer verkürzten Fassung zitiert: „jolifanto bambla ô falli bambla grossiga …“. Oder das Schnitzelgedicht.
Wie bringen Sie das auf die Bühne?
Man kann es mit Loriots „Candide“-Version am Gärtnerplatz vergleichen. Es gibt einen Erzähler, und auf der Bühne wird konzertant szenisch agiert. Die Darsteller spielen also miteinander und tragen Kostüme. Dahinter sitzt das Orchester unter den Projektionen von Cornelia von Seidlein, die man sich wie dadaistische Collagen vorstellen darf.
Und das Orchester?
Hat eine klassische Taschenphilharmonie-Besetzung, es spielt ein gutes Dutzend Musiker.
Neun Sänger sind dagegen fast luxuriös.
Für einen guten Plot braucht man Personal. Dazu gehört bei uns auch ein Lenin, der 1916 ja gegenüber vom Cabaret Voltaire gewohnt hat. Dafür geben dann alle zusammen den Chor, den brauchen wir also nicht extra. Trotzdem würde das natürlich die Möglichkeiten der Taschenphilharmonie sprengen. Umso glücklicher sind wir, dass die Theatergemeinde und besonders deren Geschäftsführer Michael Grill mit uns ins kalte Wasser springen und diese Uraufführung ermöglichen. So eine spontane Unterstützung ohne die üblichen 1000 Anträge ist in München selten geworden.
Und wie soll man die Operette verlassen?
Gut unterhalten, mit angeregtem Geist. Es gibt zum Beispiel einen Dialog, den ich unbedingt drin haben wollte: Das Cabaret Voltaire ist nicht ohne Grund nach dem Aufklärer benannt, der in seiner Satire „Candide“ eine Antwort auf Leibnitz‘ optimistische Weltanschauung gegeben hat.
Die von der besten aller möglichen Welten ausgeht.
Bei uns kommen zwei Schweizer beim Bier zum Ergebnis, dass ihre gegenwärtige die beste aller Welten ist, weil es die ist, in der das Bier am besten schmeckt.
Das ist große Philosophie, die nicht nur in Bayern verstanden wird.
Genau. Biertrinker aller Länder, vereinigt euch!
München, Alte Kongresshalle, Theresienhöhe, 11. September 2016, 19 Uhr. Informationen unter www.theage-muenchen.de. Restkarten an der Abendkasse von 18 bis 19 Uhr. Der im Text genannte Michael Grill ist auch Redakteur dieses Feuilletons.
Die Besprechung finden Sie auf dem Kulturvollzug hier.