Zur Wiedereröffnung der Monacensia im renovierten Hildebrandhaus

Neue Luftigkeit fürs literarische Gedächtnis

von Christa Sigg

Die Monacensia im renovierten Hildebrandhaus. Foto: Eva Jünger, Münchner Stadtbibliothek

Man weiß gar nicht so recht, wo man sich hinsetzen will. Ins lichte Atelier oder gleich nebenan ins Café, das von der hellen Wintersonne durchspült wird? In die bequemen Lesesessel im Obergeschoss oder vielleicht doch ins abgeschiedene Turmzimmer mit Aussicht? „Das ist schon reserviert“, unterbricht Elisabeth Tworek, die Leiterin der Monacensia, die Überlegungen. „Hier darf sich ein Professor niederlassen, der an einer Werkausgabe Frank Wedekinds schreibt.“

Wer das dann ist, wird sich bestimmt bald zeigen, die dunkel getäfelte Stube gehört zu den schönsten Plätzen im frisch renovierten Hildebrandhaus. Am Isarhochufer in Bogenhausen sitzt das 150.000 Bände starke „Literarische Gedächtnis der Stadt München“, in das man ab Freitag (9.12.2016) endlich wieder eintauchen darf.

Blick in die Sonderausstellung "Mon Oncle. Klaus und Heinrich Mann", kuratiert von Elisabeth Tworek. Foto: Eva Jünger

Wobei dieses „Erinnerungsvermögen“ natürlich immer funktioniert hat. Ein Archiv – und das ist im Fall der Monacensia mit mehr als 200 Nachlässen und um die 350.000 weiteren Dokumenten beträchtlich – muss ja weiterhin zugänglich sein. Zumal, wenn es um die Säulenheiligen des literarischen Münchens geht, also um Frank Wedekind und Oskar Maria Graf, um Annette Kolb und die freizügige Gräfin zu Reventlow, um Lion Feuchtwanger und natürlich den alles überragenden Thomas Mann sowie dessen auch nicht gerade schreibfaule Sippe.

Seit Herbst 2013 wurde die ehemalige Künstlervilla Adolf von Hildebrands (1847-1921) grundlegend saniert, und das war bitter nötig. Einige Räume konnten aus statischen Gründen gar nicht mehr genutzt werden, deshalb hat sich jetzt nach der Überholung die für die Monacensia bespielbare Fläche mit 780 Quadratmetern mehr als verdoppelt. Und man bemerkt sofort die neue Luftigkeit. Kein Bereich mehr ist eng oder verstellt, das wird sich auch nicht ändern, wenn Wissenschaftler an den modernen PC-Arbeitsplätzen grübeln und sich die Bücherregale weiter füllen mit noch ziemlich lebendigen Münchner Autoren von Friedrich Ani bis Uwe Timm, Lena Gorelik, Hans Pleschinski oder Dagmar Leupold.

Dazu kommt die vom Architekten Lorenz Wallnöfer realisierte Öffnung des Hauses, die vor allem von einem gläsernen Anbau samt neuem Eingang auf der Südseite markiert wird.

Elisabeth Tworek, Leiterin seit 1993. Foto: Eva Jünger

Durch diese Art Wintergarten – hier kann man die gastronomische Pause einlegen – konnte die ursprüngliche Atelieratmosphäre wieder hergestellt werden. Denn die bislang zugemauerten riesigen Tore sind jetzt durchgängig. Und an den Wänden hängen typische Reliefs des Deutschrömers Hildebrand, der München den monumentalen Wittelsbacher Brunnen beschert hat. Allerdings sieht man hier überschaubar Intimes wie einen „Lauten spielenden Engel“ (1879) oder „Adam und Eva“ (1901). Im alten Atelier hat der mittlerweile 85-jährige Bildhauer Martin Mayer (Eber vor dem Jagd- und Fischereimuseum) noch bei Hildebrands Schüler Theodor Georgii gelernt, um sich beim Wiederaufbau des erwähnten Brunnens nach dem Krieg gleich fachkundig nützlich zu machen.

Wie es sich für ein Haus der Literatur gehört, ist in diesem großzügigen Raum auch nach der Renovierung eine stattliche Büchersammlung untergebracht. Die Bibliothek des emigrierten Peter de Mendelssohn zählt zu den Kostbarkeiten der Monacensia, sein literarischer Nachlass zu den wichtigsten Quellen der Thomas-Mann-Forschung.

Von diesem einladenden Forum aus gleitet man dann auch gleich ins sinnliche Zentrum des Hauses mit der Dauerausstellung – und schaut schon wieder auf eine Laute. Frank Wedekind hat auf dem bauchigen Instrument seine unverschämten Lieder begleitet, und damit blüht die wildeste Zeit der Stadt auf.  Elisabeth Tworak, die hier einen anregenden wie kurzweiligen Rundgang kuratiert hat, lässt das heute so gediegen brave München mächtig schillern. In Wort und Bild und Ton, den man sich nach Bedarf ans Ohr ziehen kann, feiert die Bohème der 10er und 20er Jahre wilde Partys. Man wundert sich, dass die Damen und Herren überhaupt noch zur Feder greifen konnten, bei all den vollen Gläsern und leeren Flaschen, zwischen Revue und Brettl und bitterbösem Scharfrichter-Kabarett.

Dauerausstellung "Literarisches München zu Zeit von Thomas Mann", kuratiert von Elisabeth Tworek. Foto: Eva Jünger

Wie gut, dass es damals auch „Menschen von Erziehung“ gab, die „saubere Wäsche und einen heilen Anzug“ trugen und keine Lust darin empfanden „mit ungepflegten jungen Leuten an absinthklebrigen Tischen anarchische Gespräche zu führen“. Aus den „Buddenbrooks“ wäre andernfalls nie etwas geworden, das hat Thomas Mann klar erkannt – und sich fern gehalten von Schwabinger Exzessen und „mühsamen“ Konspirationen. Dennoch wurde aus dem unterkühlt distinguierten Tommy aus Lübeck ein für seine Verhältnisse leidenschaftlicher Münchner. Der Stadt sei er „von Herzen zugetan“, schrieb er 1955 wenige Wochen vor seinem Tod an Oberbürgermeister Thomas Wimmer.

Zwischen „Bohème und Exil“ hat sich unfassbar viel getan im  literarischen München der Thomas-Mann-Ära. Und obwohl die neue Dauerschau keineswegs überladen ist und vor allem Lust machen soll, tiefer zu schürfen, kann man auf den paar Quadratmetern leicht der Zeit abhanden kommen. Und irgendeines der 150.000 Bücher der Bibliothek dann eben später lesen. Oder nachsehen, ob im Turmzimmer tatsächlich ein Professor unter den Deckenfresken residiert, die die Hildebrand-Töchter ihrem Vater gemalt haben. Die 9,3 Millionen Euro für die Sanierung sind jedenfalls fein angelegt. Man möchte sofort einziehen in die neue alte Büchervilla.

 

Monacensia, Maria-Theresia-Straße. 23, Eröffnung Freitag, 9. Dezember 2016, dann Mo bis Mi 9.30 bis 17.30, Do 12 bis 19 für Ausstellungen Sa und So von 11 bis 18 Uhr, Eintritt frei, www.muenchner-stadtbibliothek.de/monacensia.

Eröffnungswochenende 9. bis 11. Dezember 2016:

Freitag: Führungen 11, 13, 15 und 17 Uhr; Lesung mit Musik: „Lieber Zauberer“ – Thomas Mann in Briefen und Aufzeichnungen seiner Kinder, 19 Uhr.

Samstag: Führungen 11, 13, 15 und 17 Uhr; Lesung mit Chansons: „Szenen einer Ehe – Frank und Tilly Wedekind“, 19 Uhr.

Sonntag: 11 Uhr Buchvorstellung „Literarisches München zur Zeit von Thomas Mann“ mit Musik, Führungen 14, 15, 16 und 17 Uhr Führungen

Veröffentlicht am: 08.12.2016

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