Karl Stankiewitz zum Tod von Hildegard Hamm-Brücher
Erinnerungen an Münchner Kampfzeiten
Immer hat sie kämpfen müssen. Von allen Seiten, besonders von der rechten und manchmal auch aus der eigenen Partei, hat sie Sticheleien, Beleidigungen und Prügel einstecken müssen. Aber sie hat auch zurückschlagen können. Das war schon so, nachdem Hildegard Brücher im Mai 1948 erstmals für die FDP, angeregt durch ihren Mentor Theodor Heuß, in den Münchner Stadtrat gewählt wurde. Eine Frau, mit 23 Jahren die jüngste Stadträtin, Doktorin der Chemie, Protestantin, Redakteurin, nicht aus Bayern stammend, sondern aus Essen – das reichte aus, um sie nach Möglichkeit erst mal auszugrenzen.
Ein Kollege von der CSU (aus deren Fraktion sie 1954 den Krankenhausreferenten Dr. Erwin Hamm heiratete) belegte sie sogar mit einem Spottnamen, den schon Hitler gegenüber dem britischen Außenminister für angebracht hielt: „Krampfhenne“. Und doch hat sich die hervorragende Ski- und Schwimmsportlerin immer durchgeboxt, in drei verschiedenen Parlamenten wie auch in hohen Staats- und in zahlreichen Ehrenämtern. Hier ein paar Erinnerungen an ihre frühe Kampfzeit.
Juli 1962: die bayerische FDP erlebte eine Palastrevolte von rechts. Eine Handvoll sogenannter Jungtürken ergriff, ähnlich wie kurz zuvor in Düsseldorf vorexerziert, die Macht in der Münchner Zentrale. Hinter verschlossenen Türen begannen Nationalliberale, angeführt von dem Musiker und Bezirksgeschäftsführer Josef A., die Altliberalen kaltzustellen. Neue Mitglieder wurden angeworben, die erfuhren in der Geschäftsstelle, welche Parteiprominente bereits „restlos vertrottelt“ oder „nichtarischer Abstammung“ seien.
Die Heckenschützen zielten vor allem gegen zwei profilierte Persönlichkeiten: den ehemaligen Wirtschafts- und Finanzminister Dr. Otto Bezold (63) und die auf Kultur- und Verbraucherpolitik spezialisierte Landtagsabgeordnete Dr. Hildegard Hamm-Brücher. Die habe eine jüdische Großmutter und sei ein „hysterisches Weib“, hieß es, sie hatte einmal auf die Ellbogenpolitik männlicher Parteifreunde mit Tränen reagiert.
Doch nun war sie gar nicht zimperlich, sondern beschimpfte einige der Jungmänner als „Braunhemden“. Abgestraft wurde sie von der neuen, vom bäuerlichen Bundestagsabgeordneten Sepp Ertl tolerierten Mehrheit, indem sie auf den aussichtslosen Platz 18 der Landesliste versetzt wurde.
Raue politische Sitten, über die ich seinerzeit zu berichten hatte. Sie irritierten sogar die CSU, die nun plötzlich nicht mehr recht wusste, „welche Politik man von dieser neuen FDP-Garnitur zu erwarten hat“. So viel war immerhin sicher, dass für die angestrebte erneute Koalition der bisher gröbste Reibungspunkt, die von Frau Hamm-Brücher vehement verfochtene Kulturpolitik, zugunsten der Agrikultur in den Hintergrund gerückt werden sollte.
Häufelstimmen verhalfen der Kandidatin dennoch ein zweites Mal ins Maximilianeum, wo sie bald von Zeitungen als „einzige Opposition im Landtag“ gelobt wurde. Dort und auch auf der Straße stritt die Linksliberale für die Gleichstellung der Gemeinschaftsschule, notfalls durch ein Volksbegehren. Sodass ihr ein CSU-Kollege nahe legte, sie solle doch aus Bayern auswandern. Diesen Gefallen tat sie ihren Gegnern zwar nicht, aber sie sah sich in der Welt um, informierte sich und die Öffentlichkeit sogar über die Bildungssysteme in der Sowjetunion und der DDR.
Als die FDP im Herbst 1966 durch die NPD aus dem Landtag gedrängt wurde, ließ sie sich von der hessischen SPD-Regierung als Staatssekretärin im Kultusministerium abwerben. Und als in Bonn eine sozial-liberale Koalition – ein alter Wunschtraum von ihr – gebildet wurde, wechselte sie mit gleichem Rang ins Bundeswissenschaftsministerium. 1970 trat sie mit reichem Erfahrungsschatz und kaum gebändigten Temperament wieder in die weißblaue Arena, um erneut die Rolle zu übernehmen, die ihr von CSU-Seite zugeschrieben worden war: „Haupt des Linksliberalismus“.
Hildegard Hamm-Brücher ist am 7. Dezember 2016 im Alter von 95 Jahren in München gestorben. Dieser Beitrag basiert auf einem Kapitel des Buches „Rebellen, Reformer, Regenten“ von Karl Stankiewitz, Hess Verlag.