"Angst essen Seele auf" an der Schauburg
Kann man Staub von Schuhen schütteln?
"Angst essen Seele auf" lautet der Titel eines Fassbinder-Films aus den 70er Jahren, der schon in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen ist. Was ist sonst noch von diesem Film übriggeblieben? Die Schauburg versucht sich am Film als Parabel. Doch eigentlich geht es um etwas ganz anderes.
Es ist schon komisch. Dauernd fallen Ausdrücke, die man heute nicht mehr verwendet. Von Negern ist die Rede, von Wachtmeistern, D-Mark und Pfennigen, von Jugoslawien. Das eine ist zu recht bäh, das andere längst in Ruhestand gegangen, die Mark ist gewechselt, über den Staat namens Jugoslawien schmerzhaft die Geschichte hinweggeschritten. Die Älteren unter uns erinnern sich. Aber da wir bei der Schauburg sind, mit seinem eher jüngerem Publikum: Wer weiß denn noch, wie das war, als man Fremden, in diesem Falle „Gastarbeitern“, einfach so misstraute, noch ganz ohne den Hintergrund islamistischen Terrors?
Um zu begreifen, was das eigentliche Ereignis bei dieser eigenartig aus der Zeit gefallenen Inszenierung von „Angst essen Seele auf“ an der Schauburg ist, muss man die Geschichte eines Protagonisten kennen. Dieser Hauptdarsteller heißt Ahmad Shakib Pouy und spielt den Ali. Ali ist eigentlich Marokkaner, zumindest in dem Fassbinder-Film aus den 70er Jahren. Ziemlich lang her, heute kommt Ali aus einem anderen Teil der Welt - aus Afghanistan.
Aktuell ist Ahmad Shakib Pouy. Und der kann diese Geschichte erzählen: 2011 ist er vor den Taliban aus Afghanistan geflüchtet, ein Musiker, ein Arzt, der sich durch die Zusammenarbeit mit westlichen Hilfskräften verdächtig gemacht hatte. Wohlgemerkt: Ein Mann, der sich durch Hilfe für Mitmenschen in Lebensgefahr gebracht hatte. In Deutschland nahm er an Kunstprojekten teil, hatte schon einen Vertrag für einen Job. Er wurde zum „Vorzeigeflüchtling“, ein Wort, das bei genauerem Hinsehen noch viel seltsamer ist als das außer Mode geratene Wort „Wachtmeister“: als gäbe es da Punktezahlen, die Menschen in Not erfüllen müssten und könnten, auf dem Weg zu Germany’s next Topflüchtling. Geholfen hat es Pouy zunächst nichts: Die Behörden ordneten seine Abschiebung in das angeblich sichere Herkunftsland Afghanistan an. Pouy kam der Abschiebung durch freiwillige Ausreise zuvor – und erhielt so die Chance, ein Arbeitsvisum wahrnehmen zu können. Auftrag: Mitwirkung an einem Theaterprojekt der Schauburg. Jetzt ist er also in Deutschland, bis August – eine Frist, mehr erstmal nicht. Gut immerhin, dass er da ist.
Und da sind wir wieder bei „Angst essen Seele auf“. Aktuell, an der Schauburg, ist der Fremde Ali also Afghane. Und das ist, siehe oben, die einzige Aktualisierung. Und man sollte sich schon fragen, warum. Warum D-Mark, warum ein Klischee nach dem anderen? Die missgünstigen Nachbarn, die Arbeitskolleginnen von Putzfrau Kurowski (Ilona Grandke), die das üble Bild vom sexlüsternen Untermenschen munter verbreiten, als sei ihre Lektüre von „Mein Kampf“ noch taufrisch. Sind wir heute nicht viel weiter? Sind wir es tatsächlich? Oder sind unsere Gedanken nicht doch noch ganz nahe an den bleiernen 70er Jahren? Vielleicht soll dem jugendlichen Betrachter ja eine Parabel nahe gebracht werden: Seht her, ihr jungen Menschen, zu diesem Märchen von Ländern, die es nicht mehr gibt, mit Menschen, die uns ungefähr so nahe sind wie ein Hofmarschall aus „Leonce und Lena“. Und, was glaubt ihr, haben wir uns wirklich entwickelt? Wir wollen hoffen, dass die Schauburg lediglich aus diesem etwas vertrackten Vorsatz des didaktischen Krebsgangs heraus so seltsam vorgeht.
Die anderen, das sind die schwarz Angezogenen: Szene aus "Angst essen Seele auf". Foto: Günter Mattei
Die Inszenierung von George Podt erzählt den Film nach, allerdings ohne seine bleierne Atmosphäre mit den Mitteln des Theaters erzeugen zu können. Das einzige wirklich theatrale Kunstmittel bleiben Schuhe. Wichtig sind die Schuhe, weil die anderen – also nicht die Putzfrau und ihr Ehemann – uniform schwarz gekleidet sind und so unterscheidbar werden sollen: als Familienangehörige, Kollegen, Kneipenpersonal. Einige Schuhpaare finden sich auch im Publikumsraum: Wohlan, wir könnten sie ja mal probieren. Dennoch: Das mit dem Schuhe aus, Schuhe an ist, nun ja, so wenig zielführend, dass man sich’s sparen könnte.
Viel wichtiger wäre aktuell die Frage, ob man Staub von seinen Schuhen schütteln kann. Und da sind wir wieder bei Ahmad Shakib Pouy. Er spielt seine Rolle sympathisch, echt und einfühlsam, das ist berührend. Und ja, es ist ganz nachvollziehbar, dass er mit Frau Kurowski ein Zweckbündnis schmiedet, das viel mehr Liebe beinhaltet als die meisten Romanzen.
Pouy, ein liebenswerter Zeitgenosse, dem man jede Chance von Herzen wünscht, spielt ein Stück weit sich selber. Das ist so aktuell, wie es nur sein kann. Und damit wohlfeil: Germany’s next Topflüchtling auf der Bühne. Wäre er nicht eigentlich Zahnarzt, würde ich ihn lieber in seinem ganz normalen Beruf wiedersehen, am besten ohne Frist bis August.
Und doch ist er eben nicht der, um den sich alles drehen sollte. Am Freitag, einen Tag vor der Premiere, erschütterte ein weiterer Terroranschlag Afghanistan. Über 100 Menschen starben. Schärfte dieses Stück letztlich doch noch den Blick auf die Lage dieses ach so sicheren Herkunftslandes – dann wäre es zu etwas gut. Afghanen müsste man helfen, ohne Angst. Denn die frisst bekanntlich die Seele auf.