Auftakt von "Radikal Jung" im Volkstheater mit "Nathan die Weise"
Schluss mit den Holzschnitten
Niederschmetternd albern? Das Gegenteil, trotz Alberns: "Nathan die Weise" war ein guter Festival-Auftakt. Foto: Krafft Angerer
Auftakt bei Radikal Jung, dem Festival der jungen Regisseure: Das Thalia-Theater präsentiert mit "Nathan die Weise" einen ganz und gar nicht schlechten Auftakt. Fazit: Lessings Lehrstück verträgt Kernsanierung und Umbau gut.
Der prominenteste Gast des Abends hatte sich getäuscht. Hans Joachim Vogel hatte sich "Nathan der Weise" anschauen wollen. Er sah "Nathan die Weise". Kleines Wort, großer Unterschied. Statt Christian Stückls Klassikerinszenierung bekam Vogel den tatsächlich radikalen Umbau von Leonie Böhm vorgesetzt. Ein glücklicher Irrtum, das soll Vogel danach geäußert haben.
Den "Nathan" vom Intendanten kann er sich schließlich noch in den kommenden Wochen ansehen. In den nächsten Tagen aber gilt's am Volkstheater dem Regie-Wagnis. Und das ist 2017 auf jeden Fall überzeugender gelungen als im vergangenen, sehr experimentellen Jahrgang. Wir stellen zum Beispiel fest: Es wird wieder Theater gespielt. Statt eines Reigens von Scheinwerfern und einer weitgehend menschenfreien Lichterchoreographie erlebte man in diesem Gastspiel des Thalia-Theaters ziemlich gute Schauspieler. Und die vermittelten eine aufregende neue Perspektive auf altbekannte Stoffe.
Da wäre "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing. Aus unserer Sicht ein Friede-Freude-Eierkuchenstück, das nach eher überschaubaren Wirren alle Menschen zu Brüdern oder gar Geschwistern erklärt. Und eigentlich sind alle Beteiligten ziemlich gut, und sogar der arrogante Templer Curd ist tief in seinem Herzen ja eigentlich nur verunsichert und daher schroff, ansonsten aber ein netter Kerl.
Ziemlich unglaubwürdig heute, die ganze Geschichte, sie sollte halt den Sieg des Ideals in einer Zeit feiern, in der man an den Fortschritt des Menschens glaubte. Man wähnte sich auf einem Weg, der bergauf führen sollte, bis der Mensch in der höchsten und damit besten aller denkbaren Welten angekommen sei. Es ist anders gekommen, auch die religiösen Unterschiede kommen, sind wir uns mal ehrlich, oft etwas komplizierter rüber als bloße Meinungsverschiedenheiten unter Verwandten. Dementsprechend kommen die Hauptpersonen des Lessingschen dramatischen Gedichts oft in der Gegenwart an: Holzschnittartig, belehrend, oder - im Falle Rechas - als Schatten einer Hauptperson.
Zeit also, die Figuren Lessings aus der vom Autor und seiner Epoche verschuldeten Unmündigkeit herauszuführen. Wie wäre es, wenn Curd und Recha die Geschichte auf ihre Art erzählen würden? Wie könnte sich das anhören, nähmen sie die Gefühle ernst, die Lessing ihnen da zumutet?
Es ist klar, dass Leonie Böhm die Geschichte vom allweisen Geschichtenlenker Nathan nicht ernst nehmen kann. Johannes Rieder spielt ihn, am Keyboard gibt er den Ton vor, ein Hipster mit Vollbart, in Robe mit Paillettenkleid und mit roter Bommelmütze ist er die Karikatur eines reichen Handelsherren. Ein Weiser, dem die Weisheit ziemlich gründlich abhanden gekommen ist, ein kindischer Illusionskünstler, dessen Zaubertrick mit dem Springbrunnen durchaus nicht funktioniert.
Birte Schnöink ist Recha, die zum weiblichen Nathan wird, in einem Reifeprozess, in dessen Verlauf sie den hehren Stoff Lessings mit den Kunstformen unserer Zeit konfrontiert: eine Rap-Predigerin auf Youtube. Sie wird am Ende den Finger zeigen: Wie könnt ihr die Geschichte vom jeweils mit dem Ring beschenkten liebsten Sohn nur glauben? Wo bleiben die Töchter? Ist doch wahr: Ausgerechnet ein Stück, das die Unterschiede zwischen Christen, Juden und Arabern und mit ihnen die Differenzen zwischen Orient und Okzident quasi wegzaubert, zementiert die klassischen Geschlechterrollen und damit die Hierarchie.
Böhm und ihre Akteure drehen Lessing durch den Mixer der Postmoderne: Egal welches Medium, ziemlich gleich, welcher Song für welche Geschichte: Von Idee und Ideal bleibt nichts übrig, was man auf einen Sockel heben könnte. Das Ereignis eines intelligenten, dennoch überhaupt nicht anstrengenden Abends war Steffen Siegmunds Nathan-Erzählung. Man stelle sich vor: eine Münchner oder Hamburger Vorstadt, ein Schüler, der das Stück im Reclamheft gelesen hat und nun wiedergeben soll. Wie Siegmund da Anklänge von Kiezdeutsch mit Lessings Edeldeutsch konfrontiert, wie er vorgibt, noch die größten Unwahrscheinlichkeiten des Stücks ernst zu nehmen, sie dann nach seiner ganz eigenen, vom Actionfilm geprägten Vorstellung wiedergibt, wie er am Souveränsten von allen mit seiner absolut albernen Kostümierung spielt: ganz großes Kino. Was natürlich so viel heißt wie: endlich wieder Theater.