Das Verworner-Krause-Kammerorchester im "Lebenslust Lehel"

Als wär's aus Bruckners Neunter

von Michael Wüst

Der neue Dirigent. Foto: Michael Wüst

Wenn schon kein Gewitter kommen will, um einen von der drückenden Schwüle zu erlösen, dann geht man eben ins "Lebenslust, Lehel", tiefer hinab, tritt ein und lässt alle Hoffnung fahren, denn beim Verworner-Krause-Kammerorchester kann es nur noch viel heißer werden. Zusammen mit barfüßigen Spielleuten lieferten wir uns schließlich wollüstig am Donnerstag (22. Juli 2017) der zusätzlich aufsteigenden Hitze aus dieser Caldera tektonischer Urwucht aus.

"Basic Soul Encoder", gleichlautend der Titel des ersten Albums, eröffnet mit einer strähnigen Gitarre, die nichts mehr überrascht, auch nicht die acht Tutti-Schläge, die die Ankunft der Hadesmaschine melden. Technoid ist der Schick, der letzte Schrei der Unterwelt, doch was so digital nach unten gesickert ist, sich mit dunkelschönen Gewässern vermählt hat, hat in den tiefen Streichern und den leuchtend schwarzen Bläsern dieses Orchesters mehr Vitalität als das Digitale der Oberwelt mit seinen Sonnenbrillen auf Loungenasen, Oberkante Blubb-Club. Mehr? Kein Ausdruck.

Diese schwarzen Schläge sind so wunderbar wie die aus Bruckners Neunter. Die Courtoisie der Hadesmaschine ist perfekt, l'enfer, c'est moi. So lässt es sich sinken. Wenn dies ein Untergang ist, dann zeichnet er sich durch sicheren Geschmack und stilvolle Präzision aus, man muss ihn einfach mitgehen und bald mittanzen wie ein Teufel aus Loudon. Bald gräbt der technoide Schlagachter sich immer tiefer unter alle Tage und Himmel, wird dringender, hängt noch Schläge hinten dran und der ganze schwere Kondukt verfällt langsam in Trab. Death Parade. Claas Matti Krause stampft wie ein Minotaurus und schleudert seine Mähne und Schweißtropfen auf die Geigen. Ein Synthesizer schnurrt ab wie ein voll aufgezogenes Spielzeug, das ausgekommen ist. Dann aber scheint der 18köpfige Spielmannszug plötzlich Oboen, Waldhorn, Fagott, Geigen, Cello, Klarinette fast ehrfürchtig niederzulegen, denn in seiner Mitte erhebt sich die Stimme einer Sängerin: "I wanted to abandon myself, fall into pieces, crushed, black drugs... in my veins, I've been crushed by reality".

Ein bisschen Mondlicht tröpfelt herein, ein bisschen Portishead - ein bisschen Eurydike. Aber schon hat irgendein Witzbold das Synthie-Spielzeug wieder aufgezogen, und jetzt zieht es seine Zufallsbahnen, rast wie ein freigelassener Luftballon-Teufel durch den Raum und rumpelt an die Musiker. Das Orchester überzieht sich dagegen schützend mit einer schwarzglänzende Coda - um die alte Unordnung mit Präzision und sicherem Geschmack wieder herzustellen. Die Leute in der kleinen Vorhölle der Lebenslust johlen, schreien, grooven, japsen. Mit "Simulated Cello Player", "Monstergods" und "Dance A Whale", ebenfalls vom Album, fächert Ko-Komponist Christopher Verworner, manchmal introvertiert impressionistisch, ruhiger und in jedem Fall mit feinen Schnitten durch das Musik-Gewebe, das auf, was in alchemistischen Clustern schon eingeschmolzen war.

Der besondere Zusammenklang von symphonischem Holz und Blech mit den Geigen und dem Cello und doppelten Schlagwerk, Synthesizer, Keyboards, Bass und E-Gitarre wird in den ruhigen Bewegungen und den transparenten Schnitten klar. Da beginnt die Sonne durch das Holz zu scheinen. Sacre du printemps. Das letzte Wort hat aber dann wieder Minotaurus. Mit "Babadook" legt der alte griechische Gott der Unterwelt, halb Blei, halb Blut, noch einmal einen sauberen Two Step hin. Geht heim DJ's!

Veröffentlicht am: 25.06.2017

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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