Das zehnte Klangfest im Gasteig

Überleben in Zeiten der Janusköpfigkeit

von Michael Wüst

ANGIZ teilt ordentlich aus

Das zehnte Klangfest, beliebte Pfingsterbauung, ist wieder erfolgreich über die vier Bühnen des ehrwürdigen Gasteigs gegangen. Noch letztes Jahr sah es so aus, als würde das Festival der regionalen Plattenlabels das letzte Mal an der Rosenheimer Straße 5 stattfinden, mittlerweile wissen wir mehr, genauer gesagt: Nix genaues woaß ma ned. Die großen Orchester der Musikstadt schweben in tänzerischen Warteschleifen über freistaatlichen und städtischen Planfeststellungen und bei derzeitiger Prognose ist durchaus mit wachsender Verzögerung der Landeerlaubnis für einen neuen Gasteig und ein neues Konzerthaus Werksviertel-Mitte zu rechnen.

Diese und andere kulturellen Alpha-Themen werden denn auch Stadtdirektor Anton Biebl, den designierten Nachfolger von Kulturreferent Hans-Georg Küppers beschäftigen, der am Pfingstsamstag kurz vor 15 Uhr neben Petra Deka von der Organisation und Daniel Dinkel von der Galileo Music Communication GmbH das Festival eröffnete.

Daniel Dinkel, Anton Biebl, Petra Deka

Mit 32 Bands, 20 Labels und Institutionen der Kulturwirtschaft im CD-Salon des ersten Stocks, repräsentierte der VUT Süd (Verband unabhängiger Musikunternehmen e.V.) die wirtschaftliche Seite der Kultur eindrucksvoll. War aber kein Problem für die zahlreichen Musik-Kostgänger, die keinen Anlass hatten, über eine Janusköpfigkeit von Kultur und Wirtschaft nachzudenken. Man war ohnehin erst einmal damit beschäftigt, mit verschiedenfarbigen Bändeln, die zu verschiedenen Zeiten und zwar jeweils eine Stunde vorher am Ticketschalter abzuholen waren, die kostenlose Konzerttour auszuchecken. Vor oder hinter dem Schalter, man weiß es ja - es ist Alptraum und Traum der Deutschen. Bändellos erreichbar und beliebt beim freilaufenden Musikfreund war wie immer die Open Air-Bühne. Aber vor den Genuss gehört der Diskurs! In der Media-Lounge des ersten Stocks saßen Journalisten und Mediennachdenker bei Jürgen Enninger, dem Leiter des Kompetenzteams Kultur- und Kreativwirtschaft. Wie überlebt der Musikjournalismus in Zeiten, da das Social Media die Zielgruppe in ein gleichmäßiges gesichtsloses Blubbern verwandelt hat? In diesem bodenlos immateriellen Claim versinkt herkömmlicher Journalismus.

Michael Grill, Jonas Kiß, Jürgen Enninger, Julia Köberlein, Sascha Ehlert

Der Weichmacher Morbus Digitalis grassiert und Sascha Ehlert, Gründer des physischen Magazins "Das Wetter", hat auch schon verschiedentlich umgestellt. Rezensionen in der Zeit nach Spex und Visions halten seiner Meinung nach eher nur beim Umblättern auf. Jonas Kiß vom Fachmagazin MusikWoche, früher bei Radio m94,5, heute größtenteils Antenne Bayern gewichen, kann nur vielfältig bestätigen, was eben status quo ist. Es isch wie es isch. Normative Kraft des Faktischen. Michael Grill, der mit der Gründung des Online-Digi-Feuilletons, in dem dieser Artikel erscheint, keineswegs freiwillig und nicht mit jugendlicher Start-up-Euphorie ins digitale Blubbern sprang, sondern betriebsbedingt gekündigt nur auswich, um weiterhin seiner Leidenschaft des Journalismus frönen zu können, spricht von etwas ganz Unkomfortablem, tatsächlich nämlich einem Ideal: der Wahrheit oder zumindest einer Verweildauer bei der Suche nach Kausalität. Old School! Die Digitalis hat Kausalität durch Korrelation ersetzt. "Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein", schrieb 1842 in der Rheinischen Zeitung ein gewisser Karl Marx. Der Rückblick sei erlaubt, die maximale Entfernung zu diesem Ideal dürfte erreicht sein. - Das Sauerdrops war also gelutscht und das Wetter analog prächtig und von der Open Air-Bühne kamen schon vermehrt die E-Dur-Doppelschläge des Soundchecks, gefolgt vom Doppelbumm der Bass-Drum.

Ludwig Seuss Band

Die Ludwig Seuss Band mit dem ehrenwerten Dr. Will am Washboard machte sich bereit, von Louisiana Swamp zu berichten mit Songs zu Ehren des gerade verstorbenen Dr. John. Hammond-artig fett, Grits N Gravy, scharf, dunkel, mit schwerer Soul-Bratensoße. Dr. Will, der hier schon einmal mit seinen wunderbaren Wizards spielte, ein sinistrer Voodoo-, Jou-Jou-Priester, Boogie-Santero. Etwas später bestätigte hier auch Reverend Rusty wie man in den Südstaaten zu Ehre und Würden in der Parallelwelt des Blues kommt. Ein wunderbares Blues-Theater in den Karrieren des Scheiterns. Blues gedeiht immer noch in der undurchdringlichen Dunkelheit der Muddy Waters. Auf der Spur des Dunklen waren wir auch bei Wintermay in der Black Box richtig.

Wintermay

Die Gewinner der Kulturvollzugs-Wide-Card, hervorgegangen aus der erfolgreichen Gruppe Mindjuice, gestandene Amberger, auch in München weniger Latte Macchiato- oder Spritz-Süffler, sind ordentlich düster, leiden aber darunter keineswegs. Die Linien von Sänger Winni Rudrof suchen ihre Reibungen im Vorbeiflug an den Basisakkorden und lassen die Dunkelheit schön elektrisch flimmern. Angenehm schlecht gekleidet. Wer dagegen sein musikalisches Hoamatl in der Mund-Art hat, der war bei Hudlhub, einer musikalischen Ortschaft fern von Haindling, im Kleinen Konzertsaal richtig. "Wo du gehst, wo du stehst, binidahoam..." ist allerdings dreistimmig sehr gut gesungen. Ohne Volx-Tümelei. Der Beipackzettel spricht sogar von Crosby und Kollegen. Da leckst mi crosby. Auf jeden Fall: Für den, ders mog, des Häxte!

Susan Weinert & Trio Rainbow

Ebenfalls im Kleinen Konzertsaal ein Jazz-Highlight des Klangfests: Susan Weinert mit ihrem Rainbow Trio. Susan (akustische Gitarre) und Martin (Kontrabass) Weinert haben seit den 80er Jahren bereits 3000 Konzerte gespielt und nun mit dem Klassiker Sebastian Voltz am Klavier einen Dritten im Gefüge ihres traumwandlerisch sicheren Spiels gefunden. Das Rainbow Trio hat vor kurzem die CD Beyond the Rainbow veröffentlicht. Im Titel spiegelt sich ihre Fähigkeit über sich selbst hinauszugehen, sich selbst musikalisch zu kommentieren, sich zu verdoppeln. Traumhaft, die lupenreine Intonation von Susan Weinert. Da müsste man schon Pat Metheny als Vergleich heranziehen. In einem Interview hat Susan Weinert die Beweglichkeit dieses Zusammenspiels mit den blitzartigen Richtungswechseln von Fisch- oder Vogelschwärmen, einer Singularität der Natur, beschrieben. Ja! Zusammen mit der überbordenden Spielfreude dieses Trios, trifft das auf Susan Weinert und Rainbow Trio wirklich zu: Hier handelt es sich wohl auch um eine Singularität. Dann Carl-Orff-Saal. Hier erleben wir immer wieder Momente, die uns das Gefühl geben, dass München vor allem mit seiner Kaderschmiede, der Hochschule für Musik und Theater, wieder auf dem Weg zur Jazz-Weltstadt ist.

Philipp Schiepek Quartett

Dafür sorgte heuer beeindruckend das Philipp Schiepek Quartett. Erst letztes Jahr war der junge Gitarrist, der gerade erst sein Studium an der Hochschule beendet hatte, für den großen Kollegen und Lehrer Pete O´Mara bei "Grande Angle" mit dem Saxophonisten Matthieu Bordenave eingestiegen. Bereits während des Studiums ist Schiepek nach Auftritten beim Bundesjugendorchester zu einem wichtigen Mitglied des fabelhaften Verworner Krause Orchesters geworden. Er, der auch in Würzburg klassische Gitarre studierte, kennt die Zwölfordnung der Töne in all ihren Drehungen und Projektionen wie auch atonalen "Krümmungen". Stilgrenzen überwindet er mit leichtem Schritt und löst scheinbar Widerstrebendes. Dissonantes klingt gefügig. Er bereitet dem Hörer im "Rückblick" die Überraschung das Wagnis als gerechtfertigt zu "betrachten". Das heißt, in seinen Linien sind "Stepping Points" gesetzt, die im Nachhinein erkennbar das Gewebe aufdröseln. Moritz Stahl, am Saxophon, bekannt durch die Band Ark Noir, eingesprungen für Seamus Blake, beatmet mit warmem Turrentine-Ton den artifiziellen Golem und lässt ihn atonal tanzen wie einen Fiddler on the Roof.

Andy Lutter und Ecco Meineke

Und noch einmal erleben wir einen Höhepunkt im Carl-Orff-Saal: Ecco Meineke und Andy Lutter hatten Anfang des Jahres die CD Blattgold veröffentlicht, was zusätzliche Werbung dadurch erhielt, dass in nämlicher Zeit ein nicht genannt mögender Spieler des FC Bayern ein riesiges T-Bone-Steak, mit Blattgold bezogen, verspeiste, wie Ecco Meineke bemerkte. So kennen wir diesen Tausend-und-eins-Sassa. Die neuerliche Zusammenarbeit der beiden unter Ausschluss von Frank Ribery - vorher hatte man sich schon auf der Bühne der Lach- und Schiessgesellschaft schätzen gelernt - begann, als der Pianist Lutter 2013 zum Ecco DiLorenzo Jazzquartett gestoßen war und Meineke 2015 sich an ein Chansonprogramm machte. Startschuss dieses Projekts war 2016 dann ein Abend im Prinzregententheater, den die Theatergemeinde München ermöglichte. Lutter hat im Begleiten von Stimmen große Erfahrung: Am Anfang seiner Karriere feierte er bereits mit dem Sängerinnen-Trio Three Dames and James große Erfolge, unter anderem im Gärtnerplatztheater. Eine sehr schöne Arbeit ist auch die 2014 erschienene CD The Man Behind, eine Hommage an Billy Strayhorn mit dem Jazz-Crooner Thomas de Lates. Endlich wieder richtiges Chanson! Die Liebe zu dieser großen kleinen Form hat in Deutschland seit den 30er Jahren eine Narbe und nur einmal, mit Hildegard Knef und dem Kurt Edelhagen Orchester, gelang eine triumphale Wiedergutmachung. Die ersten Akkorde des Titels "Blattgold" erinnern zusammen mit dem aufmüpfigen Off-Beat an den genialen Kurt Weill und seine Seeräuber-Jenny. "Du bist ein Mensch und suchst Gesichter hinter dem Blattgold der Zivilisation" singt Ecco auf der Bühne im Carl-Orff-Saal. Live singt er es mit mehr Ressentiment, was dem Lied und dem fatalistischen Text sehr gut tut. Ein Lied mit klarer Brecht-Kante, ganz berlinerisch. Eccos Stimme scheint hier ganz die seine, die Diktion ist präzise, die Worte ätzen. Und weil das Chanson eine deutsch-französische Kunst ist, beherrscht Ecco auch das französische Idiom in Stimme und Sprache. Im Lied "Melancholie" erklingt die Wehmut des großen Charles Aznavour (auf der CD auch das berühmte "Sie"). Auf der Bühne steht ein Verlassener in der angebrochenen Virilität eines Yves Montand. Bitterbös wie bei Georg Kreisler, ist das Couplet "Pastinaken". Ecco, der Tausend-und-eins-Sassa, ist Entertainer, gewitzter Conferencier, männlich rebellierend und verloren am Meeresstrand. Er ist wie der, von dem Kreisler sang: "Jemand hat das Wort verlassen in den Sand geschrieben." Er ist ein Chansonnier, der unseren Narben gut tut.

Anm. d. Red. (12.6.19, 23 Uhr): Der Name "Wintermay" wurde korrigiert.

Veröffentlicht am: 12.06.2019

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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MikZo
12.06.2019 14:50 Uhr

Lieber Herr Wüst, die "düstere Band" heissen "WINTERMAY". Auch wenn es in Ihren Ohren klingt, wie ein trübsinniger Tag mitten im Winter -der nicht enden will-, erkennt man an den kurzen Hosen des Sängers einen Hauch von "MAY". Deswegen: WINTERMAY B-)

Redaktion KV
12.06.2019 23:11 Uhr

Sorry, der Hauch hat uns nun auch angeweht :-)

Red. KV