O'Neills "Der haarige Affe" am Volkstheater
Aus den Tiefen des Schiffes an die Oberfläche des Textes
Kapitalismuskritik, pflichtschuldigst erledigt: Abdullah Kenan Karaca inszeniert am Volkstheater Eugene O'Neills Drama "Der haarige Affe", kommt aber über eine Illustration des 100 Jahre alten Textes nur selten hinaus.
Räudige graue Wände zu den Seiten, hinten eine Rampe, oben ein Schacht mit goldenen Seitenwänden, unerreichbar für die im Dunklen: Der Raum, den Vincent Mesnaritsch für Abdullah Kenan Karacas jüngste Inszenierung auf die Bühne des Münchner Volkstheaters gestellt hat, kann vieles sein, Maschinenraum, Müllcontainer, die Höhle in Platons Gleichnis, oder meinetwegen auch ein Zitat aus Patrice Chereaus berühmter kapitalismuskritischer "Ring"-Inszenierung.
Und all das würde auch irgendeinen Sinn in Eugene O'Neills Drama "Der haarige Affe" treffen, vor allem aber die beiden letztgenannten Deutungen, das mit der Höhle und der Kapitalismuskritik: Yank, der Maschinist, hat tief unten im Bauch des großen Dampfers nur äußerst verschwommene Vorstellungen, was außerhalb seiner rostfleckigen Arbeitsstelle geschieht. Er setzt sich sein Bild von der Realität aus den Schatten der Wirklichkeit zusammen. Und natürlich ist es der Kapitalismus, der ihn dort in unverschuldeterUnmündigkeit festhält.
Der Raum macht also neugierig, zumindest bis zu dem Punkt, an dem man merkt, dass das alles ziemlich oberflächlich verhandelt wird.
Yank (Jonathan Müller) arbeitet hart und unter Bedingungen, die seine Kollegen längst an den Rand der Meuterei getrieben haben. Er ist stolz darauf, die Härte seiner Umgebung akzeptiert zu haben. Er ist stark, von den Unersetzbaren, die das große Schiff am fahren halten, wähnt er sich als der Unersetzbarste.
Bis die Tochter des Eisenmagnaten und Schiffseigners (Nina Steils) herabsteigt, als Prekariatsvoyeurin sozusagen. Die beiden begegnen sich - und erstarren. Sie vor Schreck und Erstaunen, er in blitzartiger Erkenntnis. Sie reißt die Kamera hoch, um das ölverschmierte Exemplar Mensch auf Zelluloid zu bangen. Er aber weiß nun, was die dort droben, oberhalb des goldverkleideten Schachts, von ihm und seinesgleichen halten: Sie werden als haarige Affen angesehen, als niedere Lebensform. Yank verlässt das Schiff und seine Kameraden und probt den Aufstand.
Das kann nicht gut gehen, man ahnt, man weiß es schon. Es wäre also gut, wenn da noch mehr käme als das Unausweichliche.
Wenn man sich zum Beispiel etwas mehr Gedanken darüber machen könnte, wie die Welt beschaffen ist. Warum also die Reichen immer reicher und damit mächtiger werden, ob es so etwas wie Stolz des Proletariats gibt, ob es das geschundene Proletariat überhaupt noch gibt oder ob das mit dem Ausgebeutetsein nicht die fixe Idee einer neuen Generation von Wutbürgern ist. Ist der Stolz des Geschundenen, das Glücksgefühl des Sisyphos das Erfolgsgeheimnis des Kapitalismus? Man hätte auch klären können, wie den nun genau die Zugehörigkeit zu einer Klasse die Identität bestimmt - wenn es diese Zugehörigkeit zu einer Klasse denn überhaupt noch gibt. Man spricht allenthalben von der Fragmentierung der Gesellschaft, dem Verschwinden alter Milieus. In dieser Inszenierung wird das weitere Vorhandensein alter Gewissheiten und Gruppen jedoch zwingend vorausgesetzt. Auch wäre es gut, wenn man darüber nachsinnen könne, was das Unausweichliche unausweichlich macht.
Man blickt auf eine Szenenfolge und ist sich nicht immer sicher, ob sie einem etwas sagen kann und soll. Etwa die Szene, in der die Magnatentochter, begleitet von ihrer Anstandsdame (Luise Deborah Daberkow), sich in die Tiefen des Schiffs herablässt: Muss man so affektiert, so überdreht und gaga reden, um als Mitglied der Oberen Zehntausend wahrgenommen zu werden? Da lässt Karaca seine Akteure in die Klischeefalle tappen. Ernst nehmen können wie "Die da droben" nicht. Vielleicht hätten wir uns sonst in ihnen erkannt. Jonathan Müller wiederum besitzt nur in der ersten halben Stunde eine kraftstrotzende Figur von selbstverständlicher Vitalität. Im Laufe des Abends wird er mehr und mehr zum Krakeeler. Was soll uns sein Ende in der Umarmung eines Affen noch interessieren?
Der gebrochene Nostalgiker Paddy ist der Gegenpol zum Kraftpaket Yank. In seiner Resignation hat sich diese Figur gut eingerichtet - und sie hat in Jakob Immervoll den überzeugendsten Darsteller des Abends gefunden. Ihm hätte man seinen Part auch ohne übertriebenes Greisenoutfit abgenommen. Silas Breiding kann in der schmalen Rolle des Long diesmal keine besonderen Akzente setzen.
Am Ende erklimmt Yank nochmals die Rampe, die er nie wirklich überwinden konnte. Er schafft es nur in die tödliche Umarmung des Affen. Dunkelheit, Geschrei - dieses etwas improvisiert wirkende Finale verstärkte den Eindruck, dass die Arbeit an der Produktion zur Premiere noch nicht abgeschlossen war.