Neue Ausstellung im Literaturhaus über Hannah Arendt

Eine Frau für keine Schublade

von Isabel Winklbauer

Die junge Hannah Arendt begrüßt überlebensgroß den Besucher. Foto: I. Winklbauer

Das Literaturhaus geht mit einer neuen Ausstellung in den Winter. "Das Wagnis der Öffentlichkeit – Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert" lockt seit letzter Woche Besucher aus dem kulturellen Lockdown-Schlaf zurück aufs Parkett. Die Inszenierung zur jüdisch-deutsch-amerikanischen Publizistin (1906–1975) ist gleich drei Mal selbst ein Wagnis: Erstens ist die Schau keine Eigenproduktion des Literaturhauses, zweitens hat das Thema immensen Retro-Charakter und drittens stand die Kuratorin vor der Aufgabe, hauptsächlich Papier ausstellen zu müssen. Zum Schlafen kommt der Besucher trotzdem nicht. Da der Rundgang sowohl inhaltlich als auch räumlich relativ sprunghaft angelegt wurde, bleibt der Geist wach und streitbar bis zum Pelz-Cape als Rausschmeißer.

Ähnlich wie Denk-Exkurse durchbrechen Quergänge die Laufrunde. Foto: I. Winklbauer

"Wir wollten nicht die Denkerin Hannah Arendt ausstellen", sagte Kuratorin Monika Boll bei der Eröffnung für Pressevertreter, "denn Philosophie kann man nicht ausstellen". Boll ist in Düsseldorf als Publizistin tätig, die Ausstellung selbst stammt aus dem Deutschen Historischen Museum in Berlin nach einer Idee von Raphael Gross. Allerdings kann man Papiere fast genauso schlecht ausstellen wie Philosophie, was Bolls Aufgabe nicht einfacher machte. Zunächst einmal wurde Arendts Wirken also in zehn Stationen geteilt, darunter, die, die man am besten von ihr kennt: Ihre Berichterstattung zum Prozess gegen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, im Rahmen derer sie den Begriff des "Banalen des Bösen" prägte und "Judenräte" anklagte; ihre "Überlegungen zu Little Rock", in denen sie als Rassistin provozierte und auch ihre Reflektionen zu Auschwitz, in denen sie die Idee der Nazis von der "totalen Herrschaft" nachzeichnete. Man erlebt Arendt – die als Philosophiestudentin eine Affäre mit dem Philosophen Martin Heidegger hatte – als Denkerin, Flüchtling, Restauratorin der jüdischen Kultur und Journalistin, aber auch als prominente Interviewpartnerin im Fernsehen und als Privatperson mit Freundeskreis.

Die Ausgaben des "New Yorker", in denen Arendt über den Eichmann-Prozess berichtete. Foto: I. Winklbauer

Das alles wäre langweilig, wenn sich die Ausstellung auf Arendts Arbeit und politisches Wirken beschränken würde. Aber das ist bei Hannah Arendt schwer möglich – sie begriff sich selbst stets als ganze Person in der Öffentlichkeit, und da gehörte immer alles zusammen, ihre Ehen, die Freunde, ihre Liebe zur Mode, ihre Zugehörigkeit zum Judentum, ihre politischen Auffassungen und ihre Widerspenstigkeit. Denn Hannah Arendt ließ sich nicht in eine Schublade stecken. Jederzeit bereit, ihre Meinung zu ändern, propagierte sie das "Denken ohne Geländer", lenkte ja dann auch in der "Little Rock"-Angelegenheit ein und gab zu, was die Rassentrennung in der Öffentlichkeit betrifft, "die Komplexität der Situation nicht verstanden" zu haben. Gleichfalls war Arendt der Auffassung, dass man die Meinungen anderer aushalten müsse – eine Kunst, in der man heute in Deutschland kräftig Nachhilfe brauchen könnte. Die Ausstellung ist gerade für jüngere Besucher ein Einblick in eine Zeit, in der Menschen noch mit Leib und Seele und vor allem mit ihrem Wort für das einstanden, was sie taten und sagten.

In New York im Winter leistet ein Pelz gute Dienste, fand auch die Philosophin Hannah Arendt. Foto: I. Winklbauer

So wie Arendts Denken Haken schlägt, so tut das auch der Ausstellungsrundgang. Konzipiert vom Berliner Szenografiebüro Chezweitz, geht es schon gleich mal gegen den Uhrzeigersinn, die Biografietafel am Anfang liest sich folglich von rechts nach links. Ein großer Quergang durchbricht die insgesamt nicht zu große Schau. Er ist dem Thema Auschwitz gewidmet, das Hannah Arendt als Philosophin sich nahezu überschlagen ließ, wie ein Ausschnitt aus einem Fernsehinterview vermittelt. Ein anderes Video zeigt das Modell des Auschwitz-Krematoriums des Künstlers Mieczyslaw Stobierski von 1994, das im Deutschen Historischen Museum steht und nicht transportiert werden kann. Die Kamera fährt schneeweiße Öfen und Figürchen mit leichenbeladenen Schubkarren ab, der Betrachter weiß nicht, in welchem Maßstab er sich alles vorstellen muss und was das alles eigentlich sein soll. Die Szenerie ist beklemmend abstrakt und vermittelt einen starken Eindruck von Arendts Abscheu auf höchstem Niveau. Gerade an dieser Stelle entfalten die Hör-Nischen, von denen fünf Stück die Ausstellung durchziehen, ihre Kraft. Man darf sich in mit Stoff ausgeschlagene Rahmen hineinsetzen, dabei einen Knopf drücken und das viele Papier anhören, das ausgestellt ist. Insgesamt sind immerhin 150 Exponate aus dem Deutschen Historischen Museum und anderen Institutionen, etwa aus dem Literaturarchiv in Marbach oder der Library of Congress in Washington versammelt.

Die Runde wird beschlossen von den Fotos, die Hannah Arendt von ihren Freunden und Freundinnen schoss, sowie von einem Pelzcape und Schmuck. So schwer sie als Denkerin einzuordnen war, so klar war sie in ihrem Modegeschmack.

Zur Ausstellung gibt es ein geradezu überbordendes Rahmenprogramm bis ins nächste Jahr 2022 hinein. "Das Wagnis der Öffentlichkeit – Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert" ist im Literaturhaus noch bis 24. April 2022 zu sehen.

Veröffentlicht am: 18.10.2021

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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