"Eure Paläste sind leer" in den Kammerspielen
Im neunten Kreis des Infernos
Roadmovie auf den Spuren der Apokalypse: Michael Pietsch, Bernardo Arias Porras, Katharina Bach Foto: Armin Smailovic
Pathos und Ironie, Conquistadoren und drogensüchtige Zeitgenossen, Bilder der Vergangenheit, so zahlreich, dass sie die Gegenwart überwuchern: Thomas Köcks "Eure Paläste sind leer (all we ever wanted)" entfaltet an den Kammerspielen in der Regie von Jan Christoph Gockel opulente Bildmacht. Ein Hochamt auf die Apokalypse, ein leichtfüßiger Streifzug auf den Spuren des Dante Alighieri.
Das ist schon mal irre: Der Vorhang der Kammerspiele hebt sich und wir Zuschauer sehen - die Kammerspiele, genauer: Den Zuschauerraum mit Rang, allerdings als Ruine. Wie "unsere Paläste", sichtlich heruntergekommen, halbwegs leer, mit ein paar disperaten Zeitgenossen in den Sitzen. Sie scheinen sich ein Stück anzusehen, das wir nicht kennen oder vielleicht auch zu gut kennen: Das Stück vom Ende der Zivilisation, vom Ende der Welt, wie wir sie kannten.
Eine Stimme geleitet uns durch die Zimmerfluchten des Palastes, wir schreiten über "die verkohlten Reste eurer Verträge", "über blutige Banknoten und rostige Säbel". Es könnte die Stimme des Vergil sein, schließlich ist das Stück wie Dantes göttliche Komödie in drei Abschnitte geteilt, in "Hölle", "Fegefeuer" und "Paradies". Die ersten beiden Teile werden wir durchirren und im dritten nur aufgeklärt: Erlösung können wir uns abschminken.
Wer uns führt, ist aber nicht der schuldlose Vergil, sondern Teiresias, der Seher, von den Göttern mit Blindheit geschlagen und dafür mit der Gabe der Prophetie gesegnet, eine Wiedergutmachung, die dem als Mann wie als Frau Erfahrenen (so will es der Mythos) Macht verleiht, die er nicht zu nutzen weiß: Teiresias ist immer der, der's schon zuvor wusste und doch nicht klar kündete. Oder gleich schwieg, unbeteiligt und doch mitschuldig an der ganzen Malaise.
Köcks Text ähnelt in seinem Pathos und seiner düsteren Pracht, seinen Wortfluchten und Satzbauten, in denen man sich so leicht verirren kann, selbst dem Palast, den er besingt. Er verquirlt munter Mythen und Zeitebenen, die Geister der Vergangenheit suchen die Gegenwart heim. Dem ist nicht so einfach zu folgen, es ist ja auch keine chronologische Erzählung mit festgelegten Protagonisten, die uns Köck zumutet, es ist ein langes, wortgewaltiges Gedicht. Oder vielmehr ein Gemälde, ein Wimmelbild der Apokalypse, ein Roadmovie, in dem alles gleichzeitig passiert, eine verwüstete Landschaft, durch die ein Golf mit dem anspielungsreichen Kennzeichen M VW 666 karriolt. Den suggestiven Soundtrack bereitet Anton Berman, mal getragen, mal poppig. Der Klangteppich als Tapete: Unfassbar, wie das bleichwere Vorspiel zum dritten Akt des "Tristan" für einige Minute die Atmosphäre ändert.
Man begegnet Conquistadoren, die Südamerikas Urbevölkerung terrorisieren, und modernen Amerikanern, die an einer selbst verschuldeten Seuche leiden - einer Opiatsucht. In beiden Tragödien sind die Auslöser derselbe: Gier, Hass und Machtgeilheit. Die Protagonisten, die dem verfallen, sind Kirche, Kapitalisten, Eroberer, irgendwie - wir alle. Wir haben's gestern verbaselt und vorgestern, wir verbaseln es im Moment, so wie wir's auch in Zukunft verbaseln werden - Amen. Tatsächlich hat Höck seinem enzyklopädischen Ungetüm ein liturgisches Gewand übergeworfen. Das Stück ist Messe so sehr wie Massaker.
Dem bild- und sprachmächtigen Werk drückt Michael Pietsch seinen Stempel auf, der Puppenbauer, der gleich eine ganze Conquistadoren-Armee mit eindrucksvollen Visagen geschaffen hat. Und dazu einen kleinen Jungen, der mit großäuiger Unschuld durch das Schlamassel tapert. Der entsetzte Zorn des Aguirre, die feiste Selbstgewissheit des Pfaffen, die Leere im Gesicht des Jungen sind mal in Großaufnahme zu sehen: ein paar Augenblicke unfassbarer Traurigkeit.
Zu sehen sind die drei per Video. Der reichliche Einsatz des Mediums ist nicht das einzige, was in Gockels Auftaktarbeit - die Kammerspiele haben eine längere Zusammenarbeit mit dem Regisseur angekündigt - an Frank Castorf erinnert. Auch die Rasselbande von Schauspieler hat etwas Castorfsches: Sie wirken, als hätten sie sich sich von den Zügeln der Regie befreit und seien nun vor lauter Leiden und Übermut gänzlich außer Rand und Band. Aber auch dieser Exzess ist vermutlich auch nur ein ironisches Zitat, ein Gespenst aus der Zeit antiautoritären Theaterschaffens.
Die Schauspieler wirken aber nicht nur, als seien sie schon auf ihrer eigenen Welt-Abschiedsparty unterwegs, sie machen auch den Zuschauern Laune. Ihre Leistung ist ein Fest für Theaterliebhaber, das Ensemble - Bernardo Arias Porras, Katharina Bach, Christian Löber, Nancy Mensah-Offei, Michael Pietsch, Leoni Schulz, und es wäre nicht fair, jemanden herauszuheben - ist großartig.
Das gilt im übrigen auch für den Abend im ganzen - mit einer leichten Einschränkung: Der Text mäandert so umher, dass er man gegen Ende den Eindruck haben konnte, er sei zwei-, dreimal an seinem eigentlichen Ende vorbeigeflossen. Egal, auch die leichten Längen hat man nach dem absurd heiteren und gar nicht furchteinflössenden Schlussbild mit Gespenstern schnell vergessen.