Das Volkstheater mit "hildensaga. ein königsdrama" von Ferdinand Schmalz

Götterblendung - so zahlt das Patriachat die Zeche

von Michael Weiser

Personaltableau: Vincent Sauer, Alexandros Koutsoulis, Max Poerting, Julian Gutmann, Henriette Nagel, Nina Steils, Jonathan Müller. Foto: Arno Declair

Ein bemerkenswertes Stück Mythen-Bewältigung: Christina Tscharyiski bringt am Münchner Volkstheater "hildensaga. ein königsdrama" von Ferdinand Schmalz auf die Bühne. Was dem Rezensenten besonders gefiel.

Am Anfang vom Ende ist der Drachentöter tot, und kein Trauermarsch wie in Richard Wagners "Götterdämmerung" wird folgen, keine Heldenmusik, zu dem Ritter der Tafelrunde ebenso angemessen wie Cowboys  in den Sonnenuntergang reiten könnten.

Diesmal ist nichts Ruhmvolles an Siegfrieds Tod, nicht mal Tragik; wie ein Uwe Barschel liegt er leblos in der Badewanne, und sein Ende ist Ergebnis eines Streits unter Ganoven. Wenn es ihn trösten könnte: Seine Mörder werden in den nächsten Minuten ebenfalls sterben.

Lukas Darnstädt als Wotan. Foto: Arno Declair

Und der Gott, der - wie bei Wagner - das ganze Verhängnis in Gang setzt, wird erblindet sein: Das erste Auge opferte Wotan dem Streben nach Erkenntnis. Im Handgemenge mit den Rächerinnen verliert er sein zweites. Götterblendung. Diesmal winkt kein Wissen als Lohn. Aber Brünhild und Kriemhild haben ihre Rache. Das Führungspersonal des Patriarchats zahlt die Zeche.

So ist das in "hildensaga. ein königsdrama" von Ferdinand Schmalz, das in der Regie von Christina Tscharyiski am Münchner Volkstheater Premiere feierte. Ein besonderes Ereignis in dieser immer noch jungen Theatersaison. Denn Autor Ferdinand Schmalz gelingt eine schlüssige Neuerzählung des uralten, bluttriefenden Stoffs, in einer schönen, gut rhythmisierten Sprache, die sich den Schauspielern perfekt in den Mund zu schmiegen scheint. Und Regisseurin Christina Tscharyiski lässt die Saga erstaunlich leichtfüßig daherkommen, ohne den Verdacht zu wecken, sie nähme das Ganze nicht ernst.

Ein Setting wie bei Fritz Lands "Nibelungen": Das Finale im Wald. Foto: Arno Declair

Eine Mischung, die das Volkstheater-Ensemble zur Hochform auflaufen lässt. Jonathan Müller zum Beispiel ist ein nur vordergründig einfacher Siegfried. Seine Interpretation gewinnt dem tumben Schwertschwinger eine Facette politischer Niedertracht ab. Siegfried verfolgt schließlich Karrierepläne, die nur im Moment mit denen des Hauses Burgund vereinbar sind. Lukas Darnstädts Wotan ist ein windiger Geselle, so seriös wie der abgerissene Captain Jack Sparrow.

Julian Gutmann zeichnet den Burgunderkönig Gunther als Jammerlappen. Seine Schwäche ist tödlich gefährlich, nicht nur für ihn, sondern auch für seine Komplizen. Brünhild (Henriette Nagel) ahnt schnell, dass ihr Gunther als Werber und ihr Ex Siegfried übel mitgespielt haben. Zur Gewissheit wird der Verdacht, als Sigfrieds Neue, seine Gattin Kriemhild (Nina Steils), ihr Beweise herbeischafft.

Nina Steils als Kriemhild. Foto: Arno Declair

Ein starkes Frauengespann: Henriette Nagel stellt ihre Brünhilde mit Verletzlichkeit und doch auch erstaunlich breitbeinig auf die Bühne. Nina Steils Kriemhild ist nur zu Beginn großäugige Spielerfrau, ihre Figur gewinnt schnell an Konturen - als unromantische Rächerin und Komplizin der Brünhild.

Im Wald stellen die beiden der Königsbande nach, die Abrechnung naht in Fritz-Lang-mäßigen, schwarz-weißen Videobildern, als Hagen (Max Poerting) den Siegfried vor der Badewanne hinterrücks gemeuchelt hat. Ein folgerichtiges Ende für einen Tor, der sich vor lauter Selbstbewusstsein nicht mal die Frage stellt, warum niemand sonst aus diesem seltsamen Quell schöpfen will.

Sarah Sassen hat die Bühne gebaut, die zunächst in Scheibenform tatsächlich an ein "Ring"-Bühnenbild von Wieland Wagner erinnert. Eine doppelbödige Angelegenheit, wie man nach der ersten Begegnung von Brünhild und Siegfried und dem harten Brautwerber-Contest sehen kann: Da wird hydraulisch eine Unterwelt emporgefahren, braunes Erdreich, von Gängen durchzogen wie ein Ameisenbau: Willkommen am Hof zu Worms. Dass die Akteure sich da winden und verbiegen müssen, passt zum Gehabe am Hofe.

Die Regie des Rachefeldzugs führen die drei Nornen (Rabea Egg und Clara Fenchel sowie Cornelia Pazmandi), die als Verkörperungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Göttern, Königen und Untertanen eine klare Botschaft geigen: Für Patriarchate von derart unverblümt grober Art ist die Zeit abgelaufen.

Veröffentlicht am: 12.12.2022

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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