Eher Aussackeln als Schenkelklopfen: Zum Soloabend des Pracht-Schwabingers Michael Sailer
Wenn man einem Besucher aus einer fernen Galaxie oder gar aus fremden Welten wie Osterholz-Scharmbeck, Haßloch oder Giesing erklären sollte, was ein Schwabinger ist, dann müsste man ihm den Sailer Michi zeigen. Im Vereinsheim an der Occamstraße ist er fester Bestandteil der Schwabinger Schaumschläger - und er verkörpert auch sonst den alten Schwabylonischen Geist aus entspanntem Bohemien und aufsässigem Intellekt. Am einschlägigen Ort nun also sein erstes Solo-Programm „So ein Schmarrn“ in „Weltzweitauffühung“.
Das Besondere ist, dass ein so schlichtes Konzept tatsächlich funktioniert: Da stellt sich einer ganz alleine auf eine Bühne. Er musiziert nur minutenkurz und eher pro forma („Musik gelingt mir nicht, weil mir ein jedes Lied unter den Fingern zerbricht“ zum Auftakt sowie Fredl Fesls Zweiton-Klassiker „Ade“ am Schluss). Da gibt es schlicht keinen Willen zur „Show“. Er liest lediglich eine Sammlung von überwiegend kurzen „Geschichten aus vielen Jahren“ vor, dazwischen redet er ein wenig, wie man halt unter guten Freunden redet, wenn man nicht alles immer neu erklären muss. Und ab und zu auch darüber, dass er mal wieder spontan entscheidet, welche Textstelle die im Moment richtige ist.
Trotzdem wird daraus nicht nur eine Lesung, sondern eine sehr eigene Mischung aus Vortrag, Comedy und Kabarett. Das kommt weniger von Sailers hagerem Bühnenwesen, das eher still und brav ist, als vielmehr von der gedanklichen und sprachlichen Fülle seiner Geschichten: ein Schwabinger Universum, das bequem Platz hat in Miniaturen aus Wörtern.
Dieser Abend ist stiller als der erste Soloabend vor einigen Wochen, auf eine angenehme Art. Schenkelklopfer sind ohnehin nicht die Sache des Schwabinger-Kunstpreis-Trägers von 2001, doch auch bei Sailer gibt es ein Spektrum zwischen skurril-nachdenklich und skurril-bizzar. Sailer hat eine sehr spezielle Art, eine vertraulichen, manchmal regelrecht kindgerechten Erzählton anzuschlagen, dabei Satzbauten wie ein Ingenieur für Experimentalstatik zu konstruieren und in dieser Form zugleich melancholisch, wütend und aufbegehrend sein zu können. Und wenn ihm jemand sagt, er könne doch bitte mal was Neues machen, dann sagt er einfach: „Leute, die schreiben, schreiben halt nur.“
Dieser Pracht-Schwabinger Sailer, der übrigens in Pasing geboren und in Obergiesing aufgewachsen ist, erklärt uns an diesem Abend zunächst einmal anhand eines älteren Kolumnentextes, „was ich so mache“: „Nur Feiglinge schwimmen gegen den Strom“ heißt der milde Wutanfall, der mit atemraubenden Bandwurmsatzkonstruktionen erklärt, dass die Welt so absurd und lächerlich ist, dass ein Dagegensein schon wieder viel zu selbstverständlich wäre, als das man es wirklich gutfinden könnte. Sailer denkt solange um die Ecke, bis er sich sozusagen selbst wieder von hinten anschauen kann.
Es folgen Jugendgeschichten, bei denen das Banale mit doppeltem Boden versehen ist, etwa beim Fußballtraining im Verein samt Kindergrausamkeiten wie dem „Aussackeln“, oder einem vom Arbeitsamt verordneten Praktikum im Baummarkt mit Kartoffel-Leber-Kantinengericht und dem dabei üblichen Aneinander-Vorbeistarren, das dem Kantinen- und Angestelltenleben offenbar eingeschrieben ist. Außerdem ist es da schon wieder, das Gegen-den-Strom-Schwimmen, das vor lauter Selbstverständlichkeit unmöglich wird.
Dann einige „Briefe an den Leser“ vom „Titanic“-Autor Sailer samt der schönen Erwiderung auf Edmund Stoibers Satz, er möchte „Menschen treffen, keine Politiker“ - „Gell, das was man so gar nicht kennt, ist halt am interessantesten.“ Sailer recherchiert mit tiefblauer Wehmut die Geschichte des Olympiastadions nach (mit kleinen Fehlern), liest eine herrlich bürokratenabstruse Passage aus seinem leider bislang nicht erschienenen Roman „Wegrichs Heft“, in dem es unter anderem um die rechtliche Grauzone des Kohlendioxid-Einfüllens in Gärtanks bei der Proseccoherstellung geht, und präsentiert (wie am ersten Soloabend) ein Stückchen aus seiner originalen Schulmappe von 1973, was komisch ist, weil so echt, kinderecht.
Und immer wieder lechzt der Saal nach einem „Krawall“, also einer Folge der mittlerweile schon recht berühmten Sailer-Kolumne „Schwabinger Krawall“. Sailer stillt den Durst mit einer besonders unglaublichen Nummer („Geschlossene Gesellschaft“), in der ein „Geschäftsführer einer großen Münchner Tageszeitung“ als „Pink Lady“ auftaucht. Und dann „die Starkbiergeschichte“, die uns an Tage erinnert, die wir vergessen hatten, die aber mit einem Sailer-Satz wieder präsent werden: „Aber in dem Gebüsch, in das er hineingekotzt hat, ist schon jemand dringelegen.“ Woanders wäre das eklig, aber in Schwabing darf man kichern.
Der 47 Jahre alte Autor, Journalist und Musiker Sailer ist ein wenig heiser nach diesen zwei Stunden. Auf seinem schwarzen T-Shirt steht „Krawall“ auf der Brust, und „Ruhe“ auf dem Rücken. So ist er, man könnte es ihm auch auf die Stirn schreiben. Das Publikum ist auf eine sehr entspannte Art begeistert. Nach der letzten Zugabe kommt ein Rosenverkäufer von der Straße ins Vereinsheim und verteilt seine Blumen. Eine verschenkte gelbe Schwabing-Rose landet bei Sailer. Das Angebergewächs steht ihm nicht so gut, aber er hat es verdient.
Michael Sailer ist im Vereinsheim sonntags mit den Schwabinger Schaumschlägern und montags mit dem Blickpunkt Spot. Außerdem weitere Auftritte und „Auswärtsspiele“ am 9. April in Burghausen, am 14. April in der Münchner Galerie KhanArt, am 30. April im Augsburger Provokationsraum, am 5. Mai in Deggendorf, am 16. Mai beim Seerosenkreis in der Seidlvilla und am 27. Mai beim Literaturfestival in Mainz.
Und noch ein Nachschlag: Der Autor dieses Textes, Kulturvollzug-Redakteur Michael Grill, glaubt von sich sagen zu dürfen, dass er mit Michael Sailer befreundet ist, und er möchte aus dem hier gegebenen Anlass und aus Gründen der journalistischen Korrektheit auf diesen subjektivierenden Umstand hinweisen.