Der Gewinn einer Freikarte als großes Los

von Achim Manthey

Beschädigter Nachguss der Pinguine aus dem Hamburger Stadtpark, Originale geschaffen von August Gaul, Foto: MGS

Das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt zeigt in der Aufsehen erregenden Ausstellung "Kleiner Tierpark - Das Schicksal der Skulptur" Arbeiten des großen Tierbildhauers August Gaul.

Derangiert, so, als hätten sie sich verlaufen, wirken die fünf Pinguine, die einen Weggefährten schon verloren haben und nun auf einem provisorischen Brunnenrand plaziert sind. 1914 hatte August Gaul den Pinguin-Brunnen für den Hamburger Stadtpark geschaffen. Durch Vandalismus und Diebstahl wurde das Ensemble von ursprünglich sechs Pinguinen zerrissen. Die Ausstellung in Schweinfurt zeigt fünf Nachgüsse in Kunstharz. Sie lassen die Lebendigkeit der Originale nur noch erahnen.

August Gaul ist ein vergessenes Genie. 1869 wird er in Großauheim, einem heutigen Stadtteil von Hanau, als Sohn eines Steinmetzmeisters geboren. Schon früh besucht er Kurse in der Königlichen Zeichenakademie von Hanau, durchläuft eine Ausbildung zum Modelleur für die Kunstindustrie. 1889 geht er nach Berlin, wird Gehilfe des Bildhauers Alexander Calandrelli. Von 1895 bis 1897 arbeitet er im Atelier des bedeutenden Berlinder Bildhauers Reinhold Begas mit und ist in dieser Zeit in die Errichtung des Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals gegenüber dem Berliner Schloss einbezogen, für das er zwei Löwen-Skulpturen schafft. Er tritt früh der Berliner Secession bei, wird 1908 zum Professor ernannt,  ist von 1919 bis 1921 Mitglied der Ankaufskommission der Nationalgalerie Berlin. Am 18.10.1921, kurz vor seinem 62. Geburtstag, stirbt er an Krebs.

Der Gewinn einer Dauerfreikarte für den Berliner Zoo hatte Gaul zu den Tieren gebracht. Er soll einer der eifrigsten Besucher des Berliner Zoologischen Gartens gewesen sein. Stundenlang hielt er sich vor den Gehegen und Käfigen auf, um die exotischen und einheimischen Tiere intensiv zu studieren. Der Weg zur Tierbildhauerei war eröffnet.

August Gaul, Modell für den Elefantenbrunnen in der 3. Kolonie der Bayer-Werke, Havensteinstraße, Leverkusen, Bayer AG: Corporate History & Archives

Die Werke August Gauls sind vielfach heute noch im öffentlichen Raum zu sehen. Seine Großskulptur "Kämpfende Wisente", 1912 entstanden, steht in Königsberg. Die Ausstellung in Schweinfurt zeigt ein Bronze-Modell. 1904 entstand der 117 Zentimeter große Adler, der heute auf der Wasserkuppe in der Rhön zu sehen ist. Im Auftrag der Bayer-Werke entwarf  Gaul den "Brunnen mit stehendem Elefanten", der in einer Wohnsiedlung in Leverkusen steht. Für die Weltausstellung 1904 in St.Louis schuf er einen 2 mal 3 Meter großen Adler mit angelegten Flügeln aus Bronze, ein für seinen Stil ungewöhnlich statisches Werk. Die Skulptur wurde 1911 vom Kaufhausgiganten Wanamaker erworben und ist bis heute in Philadelphia im Kaufhaus Macy's blumenumgeben und mit dem Schild "Do not touch" verziert zu sehen.

Aber auch zahlreiche Privatleute schmückten ihr Zuhause mit Tierskulpturen Gauls. Ein preiswertes Vergnügen war das nicht. "1 Elephant M 15.000,--, 1 Kisten M 200,--, macht M 15.200,--" ist auf einer in der Ausstellung zu sehenden Rechnung des Künstlers an einen unentzifferbaren Hofrat zu lesen.  Zwischen 1893 und 1898 entstanden zahlreiche Skulpturen, die junge Löwen zeigen - eines seiner Lieblingsmotive. Ein Panther, den Rachen so weit aufreißend, dass der Betrachter den heißen Atem zu spüren glaubt, Fischotter, den vergoldeten Fisch im Maul, der junge, sich putzende Schwan, buckelnde Katzen. Die ganze Vielfalt des Tierreichs sind zu sehen. Ein kleiner Tierpark am Main. Meist sind es Bronze-Arbeiten, die gezeigt werden, oft sind die in der Ausstellung gezeigten Exponate Modelle für geplante, später auch verwirklichte Großskulpturen. Aber auch andere Materialien spielen eine Rolle. Der 1911 entstandene liegende Löwe ist aus schwarzem Granit gefertigt. Zu jener Zeit befasste sich Gaul intensiv mit der altägyptischen Kunst. "Ruhende Schafe" (1901) sind aus Kalkstein, das Wandrelief "Christen in einem römischen Circus" von 1897 aus Gips gefertigt.

August Gaul, Adler, 1904, Bronze, geschmiedet, 2 x 2 m, Kaufhaus Macy's, Philadelphia, Foto: privat

Rund 50 groß- und kleinformatige Skulpturen sind in der Ausstellung zu sehen. Ergänzt wird das Gezeigte durch etwa 100 Fotografien, darunter zahlreiche Aufnahmen Heinrich Zilles. Er war einer von Gauls engsten Freunden. Zu sehen sind Atelieraufnahmen, die das Entstehen der Skulpturen dokumentieren, auch die fertiggestellten Werke an ihren Standorten.

Fernab vom Bombast der Bildhauerei des zweiten Kaiserreichs strahlen die Tierskulpturen Gauls Lebendigkeit aus, sie sind lebens-, wirklichkeitsnah. "Ich will gar nicht die Natur pedantisch imitieren, sondern das Typische und ihren seelischen Kern festhalten", sagte Gaul einmal, und "ich mache Tiere, weil es mich freut". Bewusst setzt sich Gaul in seinen Außenskulpturen ab vom Denkmalhaften seiner Zeit.

Es ist das Schicksal seiner Werke, dass sie weniger geehrt als erlebt, lieber berührt als lange betrachtet, gestohlen, beschädigt, umfunktioniert oder aufgegeben werden. Sein persönliches Schicksal ist es, als Schöpfer dieser teilweise großartigen Skulpturen in Vergessenheit geraten zu sein.

Es ist ein großes Verdienst des Museums Georg Schäfer, August Gaul und sein Werk mit dieser Ausstellung aus der Versenkung zurück in ein Stück öffentlichen Interesses und Bewußtseins gerückt zu haben. Eine reichhaltige, sehenswerte Ausstellung. Ein Besuch in Schweinfurt lohnt mal wieder.

Die Ausstellung August Gaul, Kleiner Tierpark, Das Schicksal der Skulptur, ist noch bis zum 26. Juni im Museum Georg Schäfer, Brückenstr. 20 in Schweinfurt, Di. bis So. 10 bis 17 Uhr, Do. 10 bis 21 Uhr zu sehen.

Veröffentlicht am: 20.04.2011

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