Aufbegehren im "Fatherland"
Vater und Tochter, eingesperrt in einen Kellerraum und ihre geheimnisvolle Beziehung: Caroline Steinbeis gastiert bei „Radikal Jung“ mit Tom Holloways „Fatherland“ und erklärt, dass die Engländer ihre Überväter nicht morden.
Wahrscheinlich hängt am anderen Ende der Leitung ein Inder oder Pakistani, wie man’s von so vielen Pizza-Services kennt. Er scheint Mark nicht richtig zu verstehen, immer wieder muss der Teile seiner Bestellung wiederholen. Man spürt, wie Mark immer nervöser wird. Nicht, weil der Mann am anderen Ende der Leitung so dusselig ist. Er merkt vielmehr, dass seine Herrschaft über seine Tochter wankt. Der Untertan in „Fatherland“ ist seine Tochter Angela. Und die begehrt immer häufiger auf.
Sie will nicht mehr „Daddy’s Girl“ sein, will lieber mit ihren Freunden abhängen, eigene Wege gehen. Vater Mark aber will sie nicht ziehen lassen, ein fürsorglicher, vielleicht sogar aufrichtig liebender Vater, der seine Aufmerksamkeiten wie Fallen um den Teenager herum legt. Jetzt will er Pizza bestellen, für den gemeinsamen Fernsehabend, Daddy und Daughter, wie so oft.
Es ist ein geheimnisvolles Stück, das Tom Holloway in enger Zusammenarbeit mit der in München geborenen Regisseurin Caroline Steinbeis geschrieben hat. Ein fragmentierter, dennoch sehr dichter Dialog, in einem nüchtern und doch irgendwie altmodisch wirkenden Bühnenraum: „Don’t you think?“, „what?“ „Well“ „Oh.” Schweigen “Yes. Nice. It feels nice.“ Man ahnt dunkel: Wichtiger als das, was Mark (Jonathan McGuiness) und Angela (Angela Terence) aussprechen, ist das, was sie verschweigen. Ein intensives Spiel über den Versuch, ein instabiles Verhältnis auszubalancieren. Das muss, wir ahnen es, in der Katastrophe enden.
Dabei erzählt Holloway nicht einfach die Geschichte eines Kindesmissbrauchs. Ob der Inzest schon stattgefunden hat, gerade stattfindet, noch stattfinden wird, oder ob sich da nur eine Tochter emanzipiert: Die Antwort auf diese Frage überlässt der Australier dem Zuschauer. Mark und Angela wirken in dem Kellerraum wie gefangen, beide nehmen die Außenwelt offenbar als Bedrohung wahr. Warum geht auch Angela nicht ans Telefon, das mehrmals am Abend klingelt? Und wie kann man töten, was man doch liebt: Seinen Vater, der die Welt zum besseren wenden könnte ?
„Fatherland“, der Gast vom Gate Theatre in London, fiel bei Radikal Jung aus dem Rahmen. Nicht so sehr wegen der Thematik, sondern wegen der Art der Inszenierung: Sehr traditionell, realistisch, mit viel Ehrfurcht vor dem Text und Sorgfalt für das gesprochene Wort. „Der Text ist in England heilig“, sagt Regisseurin Caroline Steinbeis. Das sei Tradition in England, seit William Shakespeare die Theaterwelt revolutionierte. Das hierzulande unter dem Begriff "Regietheater" geschmähte und geschätzte Dekonstruktionstheater kennt man in England kaum. Es kommt dort auch nicht richtig an. Der Vatermord in symbolischer Gestalt, am Autor und seinem Werk: Der ist offenbar eine deutsche Spezialität.