Zeit des Haders, Zeit des Umbruchs
Alle Macht der Salier: Heinrich III. setzte drei Päpste ab. Bild: Echternacher Evangelistar/Repro: Ansgar Hoffmann
Es war die Zeit, da Deutschland entstand: Die hundert Jahre der Salierherrschaft bedeuteten nicht nur einen Scheideweg der mittelalterlichen Geschichte. In dieser Epoche zwischen 1024 und 1125 bildete sich auch heraus, was man als „deutsch“ bezeichnen sollte. Einer unserer wichtigen Erinnerungsorte, der Dom zu Speyer, wurde vor genau 950 Jahren geweiht. Anlass für eine große Salierausstellung in der alten Kaiserstadt.
Krieg und Verrat, Familienzwist, ein Papst als Antichrist, ein König als Feind der Kirche: Die Geschichte der Salier ist dramatischer als jedes Königsdrama Shakespeares. Als „Wende des Mittelalters“ bezeichnen die Historiker jene 101 Jahre. Die Menschen damals wähnten sich aber eher am Ende aller Zeiten.
Der erste Salier, Konrad II., König von 1024 bis 1039, führte das Reich zur höchsten Machtfülle, der Heinrich III., der düstere König, eindrucksvoll Ausdruck verlieh. Es folgten Heinrich IV. und Heinrich V., Vater und Sohn, bald in tödlicher Feindschaft verstrickt, ihre Welt ins Chaos stürzend. An sein „geliebtes Kind“, das ihn in eine Falle gelockt hatte, flehte der alte Kaiser Heinrich IV. kurz vor seinem Tod: „Sieh, die Zwietracht verheert unser Reich. Die Spaltung der Kirche ist entstanden, die Welt ist überall uneinig, der Klerus mit dem Volk, das Volk mit dem Adel.“
Im Familienstreit spiegelte sich die große Verwerfung des 11. Jahrhunderts: Papst oder Kaiser, wem gebührte der Vorrang? Der große Streit hatte seine Vorgeschichte. Um sich zum Kaiser krönen zu lassen, zog Heinrich III. als deutscher König 1046 nach Italien. Die zu dieser Zeit total verkommene Kirche ordnete er neu, indem er gleich drei gleichzeitig amtierende Päpste absetzte. An ihrer Stelle erhob er den Bamberger Bischof Suidger als Clemens II. zum Papst. Der lebte nicht lange: Schon 1047 überführte man seinen Körper nach Bamberg, seiner „geliebten Braut“ – im Dom befindet sich das einzige Papstgrab nördlich der Alpen.
Die deutschen Könige waren es gewohnt, nicht nur Päpste, sondern regelmäßig auch Bischöfe zu machen. Mit der Investitur, der Übergabe von Ring und Stab, kleideten sie die Geistlichen in ihre Würde. Auf ihnen ruhte die Verwaltung des Reiches, jenes Riesengebildes, das mit dem Ostteil des Fränkischen Reiches, Burgund und dem langobardischen Oberitalien drei Kronen vereinte. Diese Investitur wurde einer zunehmend selbstbewussten Kirche zum Dorn im Auge. Noch unter dem letzten der Salier, Heinrich V., sah der Hof die Bischöfe als leitende Beamte, wie eine Beschwerde über den Bamberger Bischof Otto I. verrät. Die Höflinge, so ein Chronist, rügten, dass „dieser Vater seltener als andere Bischöfe bei Hofe erschien. Er befasse sich lieber mit dem Bau und der Wiederherstellung von Klöstern, der Verteilung von Almosen, ständigem Gebet und sonstigen praktischen und beschaulichen Aufgaben“.
Der Streit über Gottes Werk und Königs Rechte sollte das Jahrhundert der Salier überschatten. Während Heinrich III. in Sutri Päpste entmachtete, liefen durch Europa schon die Auswirkungen jener Kirchenreform, die mit dem Namen des burgundischen Klosters Cluny verbunden ist. Unter dem Eindruck des „nahenden Endes der Welt“, wie einer der Äbte schrieb, trachtete man nach einer Reinigung des Christentums und der Kirche. Auch in Bayern richteten sich Klöster nach der strengen neuen Regel aus, etwa Rottenbuch in Oberbayern.
Mit der Zucht wuchs das Selbstbewusstsein. Nicht mehr lange, dann würden sich Bischöfe über den König gestellt sehen; nicht mehr lange, dann würde Heinrich IV. den Tiefpunkt erleben: In der Kälte des Januars frierend, im Schnee vor einem Burgtor ausharrend, um von Papst Gregor VII. die Loslösung vom Bann zu erreichen und damit seine Absetzung durch die deutschen Fürsten zu verhindern. Als „Gang nach Canossa“ fesselte Heinrichs Gang die Nachwelt. „Wir gehen nicht nach Canossa“, rief Bismarck auf dem Höhepunkt des Kulturkampfes.
Canossa spielt nur eine Nebenrolle bei der Ausstellung in Speyer, die mit wertvollsten Buchmalereien, Kronen und Kunstwerken wie dem berühmten Krodo-Altar den Geist der Zeit zu erwecken sucht. In einer Abschrift des „dictatus papae“ aus Clairvaux, in denen Papst Gregor VII. die päpstliche Weltherrschaft programmatisch festlegt, hört man den Widerhall jener Turbulenzen.
Im Schlagabtausch zwischen Papst und König, in der Abfolge von Bann und Gegenbann, drohte die Ordnung der Welt zu zerbrechen. Wie ein Propagandist Heinrichs schrieb: „Die ganze Hölle spie er aus, verwirrte die Erde, die Meere, die heiligen Stätten. Zu dem wir uns flüchten sollten, den wagte er zu schlagen: den Fürsten der Fürsten, der das Band des Gesetzes in seinen Händen hält“. Gemeint war Gregor, den Zeitgenossen „heiligen Satan“ nannten und Heinrich selbst als „falscher Mönch Hildebrand“ titulierte. Auch die andere Seite war nicht zimperlich: Paul von Bernried, Gregors Biograph, schilderte Heinrich IV. als den neuen Nero und Erzbösen.
Auf wessen Seite drohte Verdammnis, wo winkte das Heil? Die Fürsten mussten sich entscheiden und bestimmten in Forchheim den Schwabenherzog Rudolf von Rheinfelden zum König wider Heinrich. Bei so viel Unordnung überrascht es nicht, dass Heinrich, als König eigentlich „Verteidiger der Kirche“, nicht an den Kreuzzügen teilnahm, die Papst Urban II. 1096 mit einer fulminanten Predigt in Gang gesetzt hatte. „Deus lo vult – Gott will es“ hieß die Losung im Rest Europas, während man in seiner Mitte über eben diesen Willen Gottes stritt.
Wie sein vom Gottesgnadentum überzeugter Vater, so kannte auch Heinrich V. wenig Skrupel und Rücksicht auf Traditionen, wie sich vor genau neunhundert Jahren zeigte. Da reiste er nach Rom, eigentlich, um sich mit dem Papst zu einigen und zum Kaiser krönen zu lassen. Als sich jedoch die Dinge zum Schlechten wendeten, nahmen seine Bewaffneten den Papst in Gewahrsam. Ein Streich, der 1111 ganz Europa erschütterte. In der Ausstellung verkündet Nachrichtensprecher Claus Kleber via TV-Bildschirm im Tagesschau-Stil das Unerhörte.
Eine wüste Zeit, dieses Jahrhundert der Salier. Und richtungsweisend. Die Großen der Kirche und des Adels sollten künftig aus der Leitung des Reiches nicht mehr wegzudenken sein. Bewaffnete Ministerialen, Dienstleute, kamen aus dem Stand der Unfreiheit empor; als Ritter wurden sie später zu Symbolfiguren des Mittelalters. Und es wuchsen die Städte. Ein Ort wie Speyer, am Anfang des Jahrhunderts noch als „Kuhkaff“ geschmäht, gedieh mit dem triumphalen Architektur-Massiv des Doms zur Metropole. König und Bischöfe wetteiferten mit kluger Förderungspolitik. Auch zugunsten der Juden.„Als ich das Dorf Speyer zur Stadt machte, glaubte ich, das Ansehen dieses unseres Ortes zu vertausendfachen“, schrieb Bischof Rüdiger Huozmann. „Und damit sie nicht so leicht von der Unverschämtheit des minderen Volks beunruhigt werden, habe ich sie mit einer Mauer umgeben.“ Vor allem für Franken leisteten die Salier Entscheidendes. Etwa in Nürnberg; ihren Aufstieg zu einer Metropole europäischen Rangs begann die Stadt als kaiserlicher Stützpunkt.
Aus dem Chaos bildete sich ein neues Europa. Mit einem riesigen Gebiet in seiner Mitte, das immer mehr aus seiner Vergangenheit im Frankenreich Karls des Großen heraustrat. Als „thiudisk“, zum Volk gehörig, bezeichnete man die vorherrschende Sprache jenes Reichs. „Diutschin sprechin, Diutschin liute in Diutischemi lande“ – „Deutsch sprechen deutsche Leute in deutschem Lande“ heißt es im Anno-Lied Ende des 11. Jahrhunderts. Wir sind das Volk – ein deutsches Motto seit tausend Jahren.
Speyer feiert gleich drei Jubiläen von außerordentlicher Bedeutung: 950 Jahre Domweihe, 900 Jahre Kaiserkrönung von Heinrich V. und 900 Jahre Verleihung der Bürgerprivilegien, die den Beginn der Entwicklung zur Freien Reichsstadt Speyer markierten. Die Ausstellung „Die Salier. Macht im Wandel“ ist bis 30. Oktober im Historischen Museum zu sehen.