Klangspuren und Klangnebel auf der Klanginsel

von kulturvollzug

Zwei Konzerte mit Klavier-Trios und Quartetten zeitgenössischer Münchener Komponisten: zuerst die Münchener Biennale mit den „Klangspuren“-Uraufführungen der Autodidakten Christoph Reiserer und Gunnar Geisse in der Black Box des Gasteigs, tags darauf die Bayerische Akademie der Schönen Künste mit neuen Werken von Fredrik Schwenk und Volker Nickel.

Wer den Klangspurenabend verpasste, ließ sich eine besondere Konzertkomposition entgehen. Christoph Reiserer suchte die Stücke des Abends aus, Siegfried Mauser interviewte ihn in salonartiger Atmosphäre zu den Stücken. Reiserer verband das nachgelassene Adagio in Es-Dur für Klaviertrio Franz Schuberts mit seiner „zeitgemäßen Bearbeitung“, vertauschte die Stimmen miteinander: den Baß in den Sopran, leichfüßige Höhe mit tiefer Schwere, Dur mit Moll, das Klavier mit Cello und Geige. Schubert klang um hundert Jahre geschärft wie ein Zeitgenosse Ravels und Pfitzners. Reiserers eigenes „Klaviertrio“ war eines ohne Pianist, nur mit den beiden Streichinstrumenten und einem Computer, der aus den Frequenzen der Liveinstrumente einen karikierenden Klaviersound errechnete: die kleinen Partner dominierten den Tastenriesen, lockten Töne hervor, die es auf im Flügel gar nicht gibt. Das Experiment gelang am überzeugendsten, wenn einander die gespielten und computergenerierten Gesten annäherten. An älteren, dennoch modernen Komponisten gab es noch ein frühes Trio der russischen Urkraft-Komponistin Galina Ustwolskaya, alle Musiker (Sachiko Hara, Mathis Mayr, Heinz Friedl, Michaela Buchholz, Gunnar Geisse) trafen sich in Cages bezauberndem „Five“.

In der Mitte hatte Gunnar Geisse als Komponist und eigener Interpret an der Laptop-Gitarre mit „The Day Rauschenberg met De Kooning“ seinen Auftritt. Im Sinne einer Übermalung sampelte, ja klaute Geisse sein Material aus Schnipseln fremder Werke zusammen, über-tönte sie mit seiner eigenen Ausgestaltung. Es entstand ein vielgestaltiges, sehr komplexes Schnittwerk, das von ihm hochmusikalisch mit feinen melodischen Linien gespielt worden ist.

Dies gelang ähnlich intensiv am folgenden Akademie-Abend dem Cellisten Niklas Schmidt in Fredrik Schwenks Variations-Sarabande „Abgesang“. Aus den leeren Saiten des Cellos kroch eine herbe Melodik hervor, die sich immer wieder in lichte Klänge auflöste. Es war der Epilog zu Schwenks vorangehender Uraufführung, dem dreisätzigen „Zweiten Klaviertrio“. Der erste Satz als motorischer Dialog zwischen Streichern und Klavier, der zweite als ausgehörte Studie weniger Töne von Linie und Klang. Im knappen Rauswurf-Finale boten Andreas und Anna Skouras an Klavier und Geige sowie Johannes Gutfleisch am Cello alle Kräfte auf: in wenigen Anläufen rasten sie in Tonleitern nach oben und verfingen sich in den höchsten Tönen ihrer Instrumente, als müsse man von Tönen zu Fäusten übergehen.

Dennoch unterhielt sich danach Moritz Eggert als Abendconferencier freundschaftlich mit Fredrik Schwenk und Volker Nickel über deren Uraufführungen. Schwenk, Killmayer-Schüler wie Eggert, ist inzwischen Professor für Komposition an der Hamburger Musikhochschule. Erfrischend konstatierte er, dass er trotz seines immensen theoretischen Wissens heute mehr seiner Intuition als Konzepten vertraue. Dagegen sprach Volker Nickel von der Wichtigkeit des Arno-Schmidtschen-Zettelkastenprinzips für seine "diskontinuierliche Zeitgestaltung" und musikalische Schnitttechnik sowie seine Vorliebe für Kontrapunktik.

Das Klaviertrio erweiterte sich mit dem wunderbaren Bratscher Chia-Long Tsai zum Quartett für Nickels „Das Fliegenschleichen die kleine Seele“, eine Assoziation auf Küchenfliegen wie einen kleinen Kafka-Text. Die ersten zwei Sätze waren permanent von dichter Polyphonie und gaben kaum Raum für hörende Erholung. Der letzte Satz als waschechte Fuge verweilte mal länger in mittleren Seinslagen. Die Themen wirkten wie Fliegen, die immer näher um eine süße, klebrige Frucht kreisen, hier als romantisch-flächige Stilanspielung. Endlich ließ Nickel nach einer gefühlten Ewigkeit Druck aus dem Kessel. Wäre zuvor mal etwas Ruhe riskiert worden, hätte man noch mehr Fliegen einfangen können. So zeigte er kompositorisch höchstes Handwerk, dem allerdings manche schwenksche Intuition gut gestanden hätte.

Was ist das Fazit der beiden Abende? Die beiden Do-It-Yourself-Komponisten Reiserer und Geisse hätten sich viele Kniffe bei Schwenk und Nickel abschauen können. Doch lag der Paradeakademiker Schwenk ganz richtig, nach bald dreissig Jahren technischer Vervollkommnung mit neuer Gelassenheit seinem Bauch zu folgen.

Alexander Strauch

Veröffentlicht am: 28.05.2011

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