Das ist München - hoffentlich nicht: Zur neuen Dimension der Verhunzung von öffentlichem Raum durch Werbemüll

von Michael Grill

"Auf Kundenwunsch" sieht es hier so aus. Foto: gr.

Lieber Leser, großes Rätsel: Welche U-Bahn-Station in München ist überwiegend grau und hat knallrote Säulen? Sie haben das schon mal gesehen ist den letzten Wochen, aber Sie wussten nicht mehr wo sie waren, weil die Augen so weh taten? Dann verraten wir es Ihnen: Es ist, beziehungsweise war, die U-Bahn-Station Sendlinger Tor. Das Rot am Bahnsteig ist Werbung für einen Münchner Lokalradiosender.

Dieser hält es offenbar seiner Sache für zuträglich, wenn er nicht einfach nur Reklame im üblichen Rahmen macht, oder (eine völlig naive Vorstellung natürlich) durch sinnvolles Programm seine Existenzberechtigung nachweist. Nein, er muss einem sozusagen ins Gesicht springen. Denn im Radio kann der Sender ja niemanden zwingen, eine bestimmte Frequenz einzustellen. Aber mit den roten Säulen kann er jeden U-Bahn-Benutzer nötigen, sich einem Logo samt selbstentblößender Botschaft auszusetzen: „Das ist München“. Abgesehen von dem Umstand, dass die Münchner immer noch gerne selbst entscheiden, was sie für München halten wollen, stellt sich hier die Frage, wer den öffentlichen Raum beherrschen darf. Der, der am lautesten schreit? Der, der am meisten bezahlt?

Als lokaler Rundfunk vor rund 30 Jahren erfunden wurde, behauptete die Medienpolitik, so könne man die Versorgung der Bevölkerung mit lokalen und regionalen Informationen verbessern. In den ersten Jahren leisteten sich die Privatsender deshalb ein paar journalistische Feigenblätter. Seitdem gibt es fast ausschließlich Trash und Gedudel, die deshalb immer noch ausgestrahlt werden, weil als Verleger getarnte Geschäftemacher, genannt Radiobetreiber, Werbung verkaufen und damit Geld verdienen wollen.

Dagegen ist fast nichts zu sagen, solange es jedem Radiobenutzer selbst überlassen bleibt, ob er sich diese sogenannten Programme anhören mag oder nicht. Zwar sind Radiowellen überall, aber sehen kann man sie zum Glück nicht, sonst wäre München ja auch schon längst blind geworden. Etwas anderes ist es aber, wenn diese Scheinmedien anfangen, ihre inhaltslose Penetranz so in den öffentlichen Raum zu tragen, dass man ihnen nicht mehr entrinnen kann.

Wir hoffen auf die Selbsterkenntnis der Stadtwerke: Auch ein etwas abgegrabbelter U-Bahnhof wie der unterm Sendlinger Tor sollte nicht mutwillig den Dreistigkeiten der Werber ausgeliefert sein. Zweitens auf die Institutionen der Landeshauptstadt wie Stadtgestaltungskommission oder Untere Denkmalschutzbehörde, die den Stadtwerken gegebenenfalls klar machen müssen, dass sie auch als kommunaler Eigenbetrieb eine Verantwortung haben. Und letztlich hoffen wir immer noch ein bisschen darauf, dass privater Rundfunk irgendwann etwas mehr zu sagen hat als „Das ist München“. Dann würde er sich nämlich schämen für eine solche Verhunzung der Umwelt - und vielleicht von alleine damit aufhören.

Laut den Stadtwerken werden die Säulen im U-Bahnhof Sendlinger Tor noch bis zum 14. März so aussehen - und weiß auf rot behaupten, dass hier München sei. Diese Form der Werbung habe man, so ein Sprecher der Werke“, „auf Kundenwunsch so eingerichtet“. So viel Service war selten.

Kleiner Nachtrag I (15. März 2011): So sieht der Bahnhof immer noch aus - offenbar sind die Stadtwerke so begeistert von der Aktion, dass sie diese gar nicht mehr enden lassen wollen. gr./ Foto: gr.

Kleiner Nachtrag II (Stand 16. März 2011): Die Säulen sind wieder frei von Werbung und zeigen ihre zugegebenermaßen nicht besonders schönen Münchner U-Bahn-Kacheln. Ob die Stadtpolitik wohl drüber diskutiert, bevor es eine Wiederholung gibt?

Veröffentlicht am: 13.03.2011

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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Frank
16.03.2011 17:23 Uhr

Man kann sich auch über alles aufregen! Wenigstens taucht man dort nicht in eine seltsame 70er Jahre Welt ein, wie am Marienplatz!!

Michael Grill
17.03.2011 13:31 Uhr

Guten Tag,

der Bahnhof Sendlinger Tor ist im Grunde auch 60er/70er, nur nicht so poppig wie der Marienplatz. Die Aufregung zielt auch nicht auf die Bahnhofsarchitektur, sondern auf das dreist-plumpe Eindringen der Werbung.

mfg, Michael Grill