Die "Duras-Süchtige": Julie Van den Berghe und ihre aktuelle Inszenierung "Agatha"

von Gabriella Lorenz

Eine junge Frau und ihr Bruder treffen sich in der Villa ihrer Kindheit und hängen Erinnerungen nach. Langsam kristallisiert sich heraus, dass die Geschwister ein Liebespaar sind - und dass diese Begegnung ihr endgültiger Abschied sein wird. Inspiriert von Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ verarbeitete die Französin Marguerite Duras 1981 eigene Erfahrungen in dem schmerzhaften Liebesdialog „Agatha“. Die 29-jährige Flämin Julie Van den Berghe inszeniert ihn mit Katja Bürkle und Stefan Merki an den Kammerspielen.

Julie Van den Berghe ist ein Fan der Schriftstellerin Marguerite Duras, sie nennt sich selbst „Duras-süchtig“. „Ich liebe ihren Stil, ihre Energie, die Tragödien und die Melancholie“, sagt sie. 2006 hat sie Duras' „India Song“ inszeniert, für ihr München-Debüt wählte sie „Agatha“, weil sie ein Stück über Liebe und verzögertes Verlangen machen wollte.

Schon als Kind war Julie Van den Berghe eine begeisterte Zuschauerin des Nederlands Theater Gent. Mit 18 ging sie auf die Schauspielschule in Antwerpen, mit 21 war ihr klar, dass sie lieber das Ganze selbst dirigieren wollte. Zur Beruhigung der Eltern studierte sie noch drei Jahre fürs Lehrfach - und begann einen Monat nach dem Diplom ihr Regiestudium an der Theaterschool in Amsterdam. Da fühlte sie sich endlich zu Hause. Heute ist sie feste Regisseurin am NT Gent, das von 2005 bis 2010 Johan Simons leitete, der sie nun an die Kammerspiele einlud. Ihre zweijährige Tochter betreuen derweil die Eltern: „Ein Liebesgeschenk - sonst könnte ich nicht hier sein“, sagt sie.

Marguerite Duras hat „Agatha“ 1981 selbst verfilmt. Aber obwohl sie fast alles von Duras kennt, hat Julie Van den Berghe den Film nicht gesehen. Sie geht nicht mit einem festen Konzept an ihre Inszenierungen, sondern entwickelt sie kollektiv mit den Schauspielern. Hier beschwören die Geschwister eine große, unmögliche Liebe. Ihr Dialog scheint sich ständig im Kreis zu drehen, doch die Regisseurin sieht darin eher eine Spirale, eine Entwicklung in kleinen Schritten: „Das ist das Leben. Auch wenn wir versuchen, es zurückzudrehen, dreht es sich immer weiter.“

Agatha und ihr Bruder sind intellektuell und emotional eng verbunden - aber nur eine Trennung kann ihre verbotene Liebe lebendig erhalten. „Sie haben sich eine Welt gebaut nach einem ungeschriebenen Gesetz. Nur nach den Regeln ihres Rituals können sie sich begehren und zusammen sein“, sagt Julie Van den Berghe. „Das ist ihre Form, ihre Liebe zu leben und zu bewahren. Jeder hat etwas Wichtiges, Schönes in seinem Leben, das man nicht berühren darf, sonst ist es weg. Um es nicht zu verlieren, beschützt man es und packt es in einen Heiligenschrein. So kann es überleben.“

Duras' Kraft zum Überleben ist es auch, was sie an deren Text fasziniert: „Sie macht aus der Grausamkeit der Welt und des menschlichen Lebens Poesie. Sie kann die Grausamkeit sehr schön, zart, bewegend und ehrlich aussehen lassen. Das liebe ich an ihr.“

Veröffentlicht am: 15.03.2011

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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