Wenn der Alte Hof zur Oase werden soll

von Michael Weiser

Lyrik ist eine zarte Kunst - so zart, dass sie über Lautsprecher nur bedingt funktioniert. Dies zeigte sich bei der Lyrik Oase, die bei allen akkustischen Problemchen dennoch Appetit für eine sehr intime Kunst machte. 

Es regnet nicht, zum Glück, jedenfalls schüttet es nicht. Schon insofern ist die Lyrik Oase tatsächlich ein Ort der Erquickung, zum Innehalten, für sonnige Gemüter unter wolkenverhangenem Himmel. Zwei Pavillons sind aufgebaut, für 40, 50 Zuhörer, man sitzt auf Bierbänken und trinkt Wein, macht ein bisschen auf Sommer. Und lässt sich beäugen, von Touristen, die durch den alten Hof schlendern, durch Kamerasucher blicken und sich wundern: Speaker’s Corner gibt es auch in München, und anders als in London sogar mit Sitzplätzen.

Wie zart Lyrik ist, merkt man an diesem Abend. Weil sich die Stimmen der stimmlich meist ungeschulten Lyriker von „Reimfrei“ im Alten Hof verlieren könnten, sind Lautsprecher-Tröten aufgebaut worden. Diese Tröten zerstäuben das filigrane Wort, werfen es gegen altes Gemäuer, von wo es auf das Kopfsteinpflaster scheppert. Und manchmal brummt ein Auto durch die enge Durchfahrt- Eigentlich, denkt man sich in solchen Augenblicken, ist Lyrik zu intim für Elektronik. Und die Konzentration war auch schon mal besser. Ledersessel, Bibliothekslampen – reine Stimme, und sonst nichts: so stellt man sich das vor. Schließlich soll man Hölderlin ja auch bei Kerzenlicht lesen.

Immerhin, das eine oder andere fängt man auf. Unprätenziöses aus dem Alltag, manchmal auch Betroffenheiten, Begebenheiten und Begegnungen, Impressionen aus Wintertagen, Cartesianische Einsichten... „Reimfrei“ verbindet tatsächlich die Reim-Freiheit, ansonsten sind Augusta Laar, Sabina Lorenz, Gabriele Trinckler, Ruth Wiebusch, Armin Steigenberger, Frank Schmitter, Jürgen Bulla und Markus Breidenich schwer auf einen Nenner zu bringen. Ein paar Erinnerungen nimmt man dennoch mit, wie bunte Steinchen in der Hosentasche. Und das unbestimmte Gefühl, das doch selber mal probieren zu müssen. Einen Haiku, einen Aphorismus, ein ausgewachsenes Gedicht. Innigkeit mit Wortkunst kombiniert.

Fazit: Lyrik über Lautsprecher bleibt gewöhnungsbedürftig. Beim nächsten Mal trifft man sich im Oktober. Sehr wahrscheinlich, dass dann in Bayern schon wieder die Kälte eingekehrt ist und man im Gewölbekeller am Alten Hof liest.

Wer sich auf seine Lyriktauglichkeit derweil testen möchte, der kann auf www.reimfrei.de Texte der Münchner Gruppe lesen. Auf www.lyrikline.org kann man Gedichte lesen – und anhören. Zwar nicht von „Reimfrei“, aber von den beiden Lyrikoasen-Moderatorinnen Karin Fellner und Andrea Heuser, neben Gedichten vieler Autoren aus ganz Europa, darunter auch so prominente Namen wie Franzobel (alias Franz Stefan Griebl) und Peter Turrini.

Veröffentlicht am: 10.08.2010

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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15.08.2010 12:26 Uhr

[...] scheppert. Und manchmal brummt ein Auto durch die enge Durchfahrt.“ (Vollständige Kritik unter http://kulturvollzug.wordpress.com/2010/08/10/wenn-der-alte-hof-zur-oase-werden-soll/ [...]