Wir sind alle große Helden: U2 liefern eine wuchtige und intelligente Stadionrock-Show ab

von Michael Grill

Da würde Pulpe Paul erblassen: U2s Bühnenaufbau im Münchner Olympiastadion. Foto: Stefan M. Prager

Es war ein erhebender Moment um 20.45 Uhr, als die beiden durchs Olympiastadion kreisenden La-Ola-Wellen gerade gegeneinander zu laufen begannen. U2 kamen durchs Marathontor, als wären sie auf einem zufälligen Spaziergang durch den Olympiapark. In aller Gemütsruhe gingen sie auf die Bühne und starteten bei vollem Flutlicht mit dem Bluesrock von „Return of the Stingray Guitar“. Dann hieß es: Schluss mit der Festbeleuchtung und los mit dem ersten Hit: „Beautiful Day“. Ja, ein solcher war es. Mehr als 70000 Menschen erlebten einen wunderbaren Abend, sogar mit anfangs trockenem Open-Air-Himmel.

An Nummer drei setzten U2 den Uralt-Klassiker „I Will Follow“ aus den frühen 80ern: Keine Gitarre ist so eine herrliche Sirene wie die von The Edge. Und wer schon „damals“ dabeigewesen ist, muss zugestehen: Da ist immer noch die gleiche Power, die gleiche Wucht und die gleiche Wut. Auch viele neuere Songs kamen gegenüber den opulenten Studioproduktionen wie skelettiert daher: Das rohe Bein, der harte Rock – etwa bei „Elevation“ oder „Magnificent“.

Die krakenartige Riesenbühne, ein Wunderwerk der Technik, ist imposant, aber nicht so riesig wie gedacht. Das Spiel mit Licht und Video auf dem beweglichen 360-Grad-Screen über der Band – geschickt, prägnant und effektvoll. Die Frage wäre allerdings, warum die kreisrunde Bühne nicht in der Mitte der Arena platziert wurde, sondern etwa dort vor der Nordkurve, wo sie sonst auch immer steht. Da verschwendete die Band einige ihrer technischen Möglichkeiten.

Bono schloss uns in sein großes Herz (und das war nicht mal peinlich): Er dankte „den wahren Helden“ – den Ärzten und Pflegern in München, die ihn nach seinem Bandscheibenvorfall im Frühsommer mit einer OP gerettet hätten. Und kokettierte mit seinem Alter: Die Band insgesamt sei ja längst älter als das Oktoberfest. Bono war nicht nur gut bei Stimme, sondern auch voll beweglich – eine solche Fitness nur ein paar Monate nach dem Vorfall könnte so manchen Bandscheiben-Patienten neidisch machen.

Bei „Sunday Bloody Sunday“ wurde die große Krake so grün wie die iranische Freiheits-Hoffnung; beim Dance-Floor-Part mit „I'll Go Crazy If I Don't Go Crazy Tonight“ feierte man die guten alten Frankie Goes To Hollywood mit „Relax“ und „Two Tribes“. Es folgte eine Huldigung an die birmesische Bürgerrechtlerin Aung San Suu Kyi („Heute singen wir für sie“) und „Walk On“ endete mit einem „You Never Walk Alone“.

Die Qualitäten dieser Show waren am schönsten zu erkennen bei „Ultraviolet (Light My Way)“: Da wurde erst der Screen zu einem großen Comic-Ufo, das auf der Bühne landete, dann wurde das Ufo zu einem kleinen roten Kreis, den Bono real in der Hand hielt und der als Micro fungierte, bis er wieder davon flog unters Bühnendach, während die Band schwirrenden, sphärischen Sound über alles goss. Große Buben bei einem großen, großen Spiel. Als die Zugaben gegen half Elf begannen, hatten die Fußballer des FC Bayern eine Arena weiter gerade 2:0 gewonnen. Bono schlüpfte ins rot-weiße Trikot und freute sich.

U2 zeigten an diesem Abend, dass es möglich ist, besonders großen Gigantismus zu betreiben, und gleichzeitig Musik und Show effektvoll auf ihren Kern zu reduzieren. Am Ende trällerte Bono „Singing In The Rain“, aber da war alles schon wieder weitgehend trocken.

Veröffentlicht am: 17.09.2010

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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