Finaler Abgesang: Einar Schleefs "Totentrompeten"
In "Totentrompeten" schuf Einar Schleef eine wehmütige und manchmal schrullige Hommage an die Welt seiner Kindheit, das ostdeutsche Sangerhausen. Drei Stücke der als Tetralogie angelegten „Totentrompeten“ kannte die Theaterwelt schon. Jetzt, zehn Jahre nach dem Tod Einar Schleefs, hat Ernst M. Binder mit „Gute Reise Auf Wiedersehen“ den vierten Teil im „Schwere Reiter“ auf die Bühne gebracht.
Schon die Vorgeschichte klingt nach großer Literatur. Da ist der Autor, den Elfriede Jelinek nach seinem Tode adeln wird. „Es hat nur zwei Genies in Deutschland nach dem Krieg gegeben, im Westen Fassbinder, im Osten Schleef“, schrieb die Österreicherin in einem Nachruf. Und legte der Nachwelt die Lektüre seiner Werke ans Herz.
Und dann ist da die Geschichte von Schleefs letztem Werk. Sie beginnt im Wohnzimmer von Ernst M. Binder, dem Regisseur, der eben Schleefs Stück „Deutsche Sprache Schwere Sprache“ mit Erfolg am Schweriner Staatstheater inszeniert hatte. Also, dort im verrauchten Wohnzimmer saßen Binder und Schleef und besiegelten mit Whisky einen Handel, der dem Autor einen Bündel Geldscheine bescherte und dem Regisseur - die Erwartung eines Meisterwerks. Sein Forsetzungsstück „Totentrompeten“ sollte Schleef zum Abschluss bringen, Titel des Finales: „Gute Reise auf Wiedersehen“. In den folgenden Monaten schwitzte Schleef den Text aus, häppchenweise und handschriftlich, und Binder übertrug ihn in den Computer. Ganz fertig wurde er nicht; Schleef erkrankte und starb im Sommer 2001.
Zehn Jahre dauerte es, bis das fast vollendete Stück in Recklinghausen dann doch auf die Bühne gebracht wurde, vom „dramagraz“ in der Regie von Ernst M. Binder, um ein Vorspiel und einen Epilog zu einem szenischen Triptychon ergänzt. Für das „Transport-Festival“ gastierte die Produktion jetzt in München.
Und es hat schon was, den drei ostdeutschen Damen der ersten drei Teile bei der Ankunft im freien Westen beizuwohnen. Sie sind, das erkennen sie in der Absteige, in der sie gerade logieren, natürlich nicht frei. Noch immer schleppen sie ihre Vergangenheit, ihre Streitlust, ihren Neid wie einen Fluch mit sich herum. Unsere erbarmungslosesten Gefängniswärter sind halt immer noch wir selber.
Es hat auch etwas, wie Schleef mit literarischen Erinnerungen spielt. Der Ruf „nach Moskau, nach Moskau“ hatte die drei sonderbaren Damen vor zehn Jahren als ferne Wiedergänger von Tschechows „drei Schwestern“ erscheinen lassen. Nun, zum finalen Abgesang auf ihr Leben und die DDR, haben sie sich tatsächlich örtlich verändert. Aber eben nur örtlich: Wirklich weitergekommen sind die drei nicht. Sie haben eine Reise gewonnen, gut, aber sich selber und das ewig graue Einerlei werden sie halt einfach nicht los. Wie sie da warten, auf Besuch, auf den Mann des Lebens, auf die entscheidende Wendung in ihrem Leben, hätten sie auch in Becketts literarischen Wartesaal gepasst. Zu hören ist diese Elegie in einer Sprache, die an Jelinek erinnert: Hoch konzentriert, sperrig, allerdings viel poetischer.
Reichte diese theatrale Wiedererweckung eines großen Theatermachers für einen großen Abend im „Schwere Reiter“? Leider nicht. Ernst M. Binder wollte offenbar zu viel, ein Sittengemälde eines gewesenen Staates in drei Teilen, inklusive Gags und Vieldeutigkeit, eine mehrfach gebrochene Elegie. Wenn Jochen Strodthoff als Wessi-Polizist seinem Ossi-Kollegen Werner Halbedl im ersten Teil Sprachunterricht gibt, verspricht das einen Grad an Unterhaltung, die der weitere Abend nicht hält.
An Schleefs spröden Stoff, an seiner fordernden Sprachführung, arbeitet sich Binder danach mit so viel Hingabe und Folgsamkeit ab, dass für freies Spiels, für Komik gar kein Raum mehr bleibt. So nimmt dieses Finale nur von Zeit zu Zeit ein wenig Fahrt auf, um dann aber schnell wieder in den Geleisen des Immerselben auszurollen. Katja Brenner, Sophie Engert und Ninja Reichert meistern die Schleefschen Text-Katarakte respektabel, in aller Präzision auch im Chor – allein den reinen Spielspaß vermisst man bei so viel Disziplin. Bettina Wenzel mimt im Lufhansa-Kostüm einen sprachlosen Chor, der dem Innenleben der Figuren mal summend, mal kreischend Ausdruck verleiht: Eine akkustische Nähe zu Totentrompeten, die manchen Zuschauer sichtlich überforderte.
Manchmal erschließen sich Binders Einfälle nicht. So sind die drei alten Damen, die vor zehn Jahren diese drei Parzen des real existierenden anderen Deutschlands gespielt hatten, durch drei junge Schauspielerinnen ersetzt worden – verjüngt quasi durch die lang erträumte Ankunft in ihrem Paradies. Allein, diese Verjüngungskur möchte man ihnen bei alsbald sich einstellender Ernüchterung und innerer Ödnis nicht abnehmen.
Über seine Wurzeln und die Unmöglichkeit, sie aus dem Boden zu reißen, sei er auch noch so ausgetrocknet, spricht dann noch in einem anrührenden Monolog ein alter Mann, das Gesicht bemüht kontrolliert, die Hände bebend an die Seiten gelegt: Ingo Waszerka treibt den Schleefschen Sprachfluss im dritten Teil eindrucksvoll und sehr intensiv voran, in eine Meditation über Heimat und ihren Verlust. Der alte Mann im Scheinwerferlicht – das war nun wirklich mal ein starkes Finale.
- Alptraum mit hohem Unterhaltungswert
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