Mit Marx gegen die Gentrifizierung: Giesinger diskutieren die Auswüchse der Stadtveredelung in ihrem Viertel
So anmutig ist Untergiesing - und trotzdem greifen die Investoren zu. Hier ein Blick auf einen der Blocks am Candidplatz. Foto: Michael Grill
Bei der Gentrifizierung ist die Trennlinie zwischen Gut und Böse deutlich schwieriger zu ziehen als etwa die zwischen Ober- und Untergiesing: Ist Immobilien-Veredelung durch Investoren gut, weil so in einem ehemals nur randständigen Viertel Häuser saniert werden und schicke Szenelokale eröffnen? Oder böse, weil mit den Kreativen auch die Yuppies kommen und die alteingesessene Bevölkerung verdrängt wird? Im Puerto Giesing, dem Ex-Hertie und längst ultracool gewordenen Gentrifizierungs-Monument, diskutierten Bürger teilweise hochemotional: Was tun, damit unser Viertel unser Viertel bleibt?
Es war eine einseitige Angelegenheit: Auf dem Podium saßen kapitalismuskritische Aktivisten und ein Sozialwissenschaftler, aber weder ein Investor noch ein Stadtplaner. Das Team von Puerto Giesing hatte seine Teilnahme an der Diskussion abgesagt und eine Erklärung verlesen lassen, dass der Kultur-Hertie eine neutrale Plattform sei, die keine politische Einstellung habe. Das führte zu vielen Buhs aus dem überwiegend links-alternativen Publikum. Ein Aktivist prangerte an, schon der Umstand, dass im Puerto „lauwarmes Bier für drei Euro aus 0,3-Liter-Flaschen“ verkauft werde, entlarve seinen alternativen Anspruch als Konsum-Masche. Moderator Kerem Schamberger stellte dankenswerterweise klar, dass man erstens dankbar sei, sich im Puerto versammeln zu können, und dass zweites mit dem Getränkeverkauf die vielen kostenlosen Veranstaltungen finanziert werden.
Quotierte Wortmeldungen, aber deshalb noch lange nicht ausgewogen: Das Podium bei der Gentrifizierungs-Diskussion im Puerto Giesing. Foto: Michael Grill
Zum eigentlichen Thema des Abends hatte der Berliner Sozialwissenschaftler Andrej Holm am meisten zu sagen: Die Gentrifizierung – also die Veredelung von Stadtvierteln unter Verdrängung der angestammten Bevölkerung – sei inzwischen zu einem Modewort geworden, das viele Ausflüchte zulasse. Niemand wolle für soziale Verdrängung verantwortlich sein, alle sagen: „Das gibt’s bei uns nicht, das gibt’s nur woanders.“ Es gebe aber viele Formen der Gentrifizierung mit vielen Ursachen: sozialen, kulturellen und politischen. Judith Schützendorf von den Grünen im örtlichen Bezirksausschuss nannte die bekanntesten Beispiele für Gentrifizierung in Untergiesing: Das von einem Haussanierer erzwungene Ende der beliebten Wirtschaft „Burg Pilgersheim“, die Schließung der letzten unabhängigen Bäckerei, die Übernahme der Wohnblocks am Candidplatz durch den Grünwalder Investor „Rock Capital“ samt saftiger Mieterhöhung. Stefan Burger, Mitinitiator der Bürgerinitiative „Rettet die Birkenau“ fragte: „Wollen wir, dass München sich in einen einzigen Arnulfpark verwandelt?“ Schließlich habe die von Investoren betriebene Zerstörung der gewachsenen Stadtviertelstrukturen inzwischen ein atemberaubendes Tempo erreicht.
Hier war einst das legendäre "Wohnzimmer Untergiesings", die Burg Pilgersheim. Dann kam ein Haussanierer. Foto: Michael Grill
Chris Feilitz, Redakteur der Stadtteilzeitung „Unser Giesing“ forderte den „Kampf um generelle Veränderungen“: Grund- und Boden dürften nicht Spielzeug für Finanzhaie sein, die außer immer mehr Geld keine anderen Ziele hätten. Sabine Herrmann, Mitinitiatorin des Wohnprojekts Ligsalz 8 im Westend, stellte dessen Genossenschaftsmodell als Alternative vor – und alle zusammen forderten: Bürger, werdet aktiv, lasst euch nicht alles gefallen, wehrt euch!
Sozialwissenschaftler Holm wusste, was praktisch zu tun wäre: Die Kommunen könnten mit Erhaltungssatzungen und Kündigungsschutzklauseln viel erreichen - „man muss diese Instrumente aber auch anwenden“. Und das deutsche Mietrecht biete viele Möglichkeiten, sich gegen Vertreibung zu wehren – wenn die Mieter mutig seien, und sich etwa mit einer Rechtsschutzversicherung oder einer Mitgliedschaft in einem Mieterschutzverein für einen Kampf mit Investoren rechtzeitig wappnen würden. „Schon Karl Marx sagte: Das Kapital ist wie ein scheues Reh“, sagte Holm. Und fügte an: „Manchmal muss man das Reh eben aufscheuchen.“