Stückl tut den Jesus weg: "Joseph und seine Brüder" in Oberammergau ist mehr als nur Passions-Ersatz

von Gabriella Lorenz

Die Falle: Tabubu (Eva Maria Reiser) lockt Joseph mit einem Liebeszauber zu Mut-Em-Enet. Foto: Arno Declair

Schon wieder Sommer-Theater in Oberammergau? Die nächste Passion findet doch erst 2020 statt! Aber der Spielleiter Christian Stückl (nebenberuflich Intendant des Münchner Volkstheaters) ist Oberammergauer mit Leib und Seele sowie Sitz im Gemeinderat. Das Passionstheater muss regelmäßig bespielt werden, findet er, und beruft sich auf eine Oberammergauer Tradition: Seit dem 18. Jahrhundert gibt es die „Kreuzschul“, Aufführungen in den zehn Jahren zwischen den Passionsspielen.

Man muss ja die nächsten Jesusse casten. Diese Tradition hat Stückl 2005 mit „König David“ und 2007 mit „Jeremias“ wieder belebt. Jetzt will er die Laien-Spiele zum alljährlichen Event machen. Nun wird seine Inszenierung „Joseph und seine Brüder“ nach Thomas Mann aufgeführt - mit 200 Mitspielern und echten Kamelen auf der Bühne.

Für die Vermarktung der Passions-Marke hat Stückl mit seiner Stamm-Crew - dazu gehören der Bühnenbildner Stefan Hageneier und der Komponist Markus Zwink - eine GmbH gegründet. „Wir brauchen Planungssicherheit, damit wir nicht jedes Jahr den Gemeinderat um Geld fragen müssen“, erklärt er. Alle Oberammergauer können sich als Darsteller bewerben, nur haben sie im Gegensatz zur Passion kein Mitspiel-Recht, sondern werden ausgewählt. Gage gibt's auch nicht, nur die Ehre des Engagements.

Auf der Suche nach bibel-affinen Stoffen stieß Christian Stückl auf Thomas Manns Roman-Tetralogie „Joseph und seine Brüder“ durch John von Düffels Theaterbearbeitung. Die dauerte 2009 in Düsseldorf sechs Stunden und war auf wenige Schauspieler konzentriert - beides unbrauchbar für Oberammergau. Also schrieb Stückl in sechs-monatiger Nachtarbeit seine eigene Textfassung. „2500 Seiten, da muss man wahnsinnig verkürzen“, stöhnt er. „Das war schwierig, weil ich keine Erzählerfigur wollte, sondern eine reine Dialogfassung. Jetzt ist der Text zu 99 Prozent von Thomas Mann.“ Knappe drei Stunden soll die Aufführung dauern.

Kein Heiliger: Joseph (Frederik Mayet). Foto: Arno Declair

Frederik Mayet, der Passions-Jesus von 2010, spielt den Lieblingssohn des Patriarchen Jaakob, den seine eifersüchtigen Brüder als Sklaven verkaufen. Joseph macht in Ägypten durch Klugheit Politkarriere, landet im Knast wegen verleumderischer Anklage auf Vergewaltigung, steigt aber durch Traumdeutung und ökonomische Weisheit schließlich zum Stellvertreter des Pharao auf und versöhnt sich mit seinen Brüdern. Bei den Proben hat Stückl zu Mayet gesagt: „Tu den Jesus weg, den brauch mer hier net. Joseph ist kein Heiliger.“

Im ersten der vier Bücher erzählt Thomas Mann die Geschichte des Vaters Jaakob. Die lässt Stückl weg, nur die Vater-Sohn-Grundkonstellation bleibt wichtig: „Jaakob hat immer mit Gott gerungen, er fühlt sich als Mensch zu schwach“, sagt Stückl. „Joseph dagegen nimmt alles leicht - Gott macht alles mit ihm. Auf der Suche nach der Karriere bastelt er sich seinen Gott zurecht, um seine weltlichen Ziele zu erreichen. Doch Jaakob sagt ihm am Ende: Vor Gott hast Du nichts erreicht. Joseph baut sich die Welt zusammen, wie er sie braucht, und muss erkennen, dass er ganz klein geblieben ist. Es geht drum, wie jemand mit seinem Leben und mit Gott umgeht. Das Alte Testament erzählt ja kein Heiligendrama, sondern erzählt vom Menschen, wie er halt ist.“

Danach ist's in Oberammergau aber auch mal gut mit dem Alten Testament „Wir wollen nicht die Bibel rauf und runter spielen“, sagt Stückl. Für nächstes Jahr plant er Shakespeares „Antonius und Cleopatra“.

 

Passionstheater Oberammergau, 29./30 Juli, 5./6., 13./14. August 2011, 20 Uhr, Karten Tel. 08822/ 945 88 88 und www.passionstheater.de

 

Nachtrag (1. August 2011, 13 Uhr) - Das Volkstheater hat folgende Mitteilung zu weiteren Terminen:

"Zusatzvorstellung von "Joseph und seine Brüder" am Sonntag, den 7.8.2011 im Passionstheater Oberammergau: Aufgrund der großen Nachfrage wird es am 7.8.2011 um 20 Uhr eine weitere Vorstellung von "Joseph und seine Brüder" geben. Bisher waren acht Vorstellungen mit jeweils 2000 Besuchern angesetzt, mit der zusätzlichen Aufführung will man der anhaltenden Kartennachfrage gerecht werden. Die Karten sind ab sofort buchbar. Aufführungsdaten: Premiere 15. Juli 2011 | Sowie 16./29./30. Juli und 5./6./7./13./14. August 2011 (je 20 Uhr)."

Veröffentlicht am: 28.07.2011

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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