"Ich seh' das ganze Ding global": Enja, Münchens Label für die ganz große Jazzwelt, feiert Geburtstag

von Clara Fiedler

Gründete Enja Records 1971: Matthias Winckelmann; Foto:Ssirius Pakzad

16 Jahre war Matthias Winckelmann alt, als die ersten Weichen für sein Berufsleben gestellt wurden: über ein paar ältere Schulkameraden entdeckte er den Jazz. Der ist für ihn inzwischen zu der Sprache ohne Worte geworden, die er mit den Interpreten teilt. 1971 gründete er in München sein Label „Enja Records“. Das vierzigjährige Jubiläum der Plattenfirma wird mit einer Konzertreihe im Jazzclub Unterfahrt gefeiert.

„Damals gab es so gut wie nichts“, sagt der Chef des inzwischen weltweit aktiven Münchner Jazzlabels. „Da waren kleine, ganz exklusive Sachen, wie zum Beispiel, dass man über den deutschen Bücherbund Platten bestellen konnte, oder die Sendungen von Joachim Ernst Berendt beim Südwestfunk.“ Als einen „Moment der Wahrheit“ beschreibt er die spätere Begegnung mit der Musik von Charlie Parker. Die Geschichte von Enja begann im „Tabaren“, einer Münchner Soulkneipe, dem "Anknüpfungspunkt für Soldaten und leichte Mädchen“, wie Winckelmann beschreibt. „Da saß so ein Typ am Klavier, der sah total fertig aus und ich dachte: Hey, der klingt wie Mal Waldron“, erzählt er lachend. Es war Mal Waldron. Und kurz darauf entstand die erste Aufnahme für das noch nicht gegründete Label mit Waldron am Klavier, Jimmy Woode am Bass und Pierre Favre am Schlagzeug, live im Münchner Jazzclub „Domicile“.

Die Idee zu einem eigenen Label reifte und schließlich fasste er sich ein Herz, ging zur Bank, erklärte seine Idee und bat um einen Kredit von 25. 000 Mark. „Die sagten nur: Ja okay, aber nicht mit uns“, schildert er die Reaktion auf die Vision „Jazzlabel“. Er lieh sich das Geld und konnte es bereits zwei Jahre später zurückzahlen. „Das war ein besonderer Moment.“ Seine Platten versuchte er zunächst auf die altmodische Art an den Mann, beziehungsweise in den Musikhandel zu bringen. „Ich bin mit einem Bus, den ich „Giuseppe“ getauft habe, einfach alle Plattengeschäfte angefahren, habe denen die Aufnahmen gebracht und gesagt: Das ist richtig gute, schwärzeste Musik. Nehmt es, oder lasst es und ihr seht mich nie wieder.“ Damals gab es nach Winckelmanns Angaben gut 2500 Fachgeschäfte für Jazz und Klassik in Deutschland.

Nach einer Aufnahme in NY: Winckelmann und Pianist Antonio Faraò. Foto: Ssirius Pakzad

Irgendwann funktionierte der Vertrieb dann über Bellaphon, ein Frankfurter Label. Winckelmann widmete sich in der Folge mehr  der Zusammenarbeit mit amerikanischen Musikern. „Es gab da gerade eine Jazz-Flaute bei den Major-Labels. Die New Yorker Musiker haben sich gefreut, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der sich wirklich drum kümmert. Da hatte ich sofort großartige Leute wie McCoy Tyner.“ Die Liste der Künstler, die bei Enja veröffentlicht wurden, liest sich wie ein Who-Is-Who der Szene: Chet Baker, Benny Bailey, Tommy Flanagan, Herb Geller..."

Und vielleicht findet sich in seinem heutigen Programm der ein oder andere Star von morgen. „Da ist dieser junge Saxophonist, Max Merseney, der kam hier rein und hat mich einfach umgehauen mit seinem Charme“, lacht er begeistert. Prinzipell ist es schwer, bei Enja eine Linie zu finden. „Ich habe mir immer den Luxus geleistet, nur das zu nehmen, was ich wirklich toll finde“, ist Winckelmanns Statement dazu. Er unternimmt auch gerne Ausflüge in die Weltmusik, zum Beispiel mit dem Filmkomponisten Toufic Farakh. „Der macht ganz ungewöhnliche, ästhetisch schöne Dinge.“

Apropos Welt: Hört man seine Aussagen wie: „Jetzt fehlt nur noch Südamerika, dann sind wir weltweit da“, oder „Asien wird ein ganz großes Ding“, dann weiß man, wen man vor sich hat: Einen Menschen, der keinen Beruf hat, sondern eine Leidenschaft. Bescheiden gibt er zu, Trompete zu spielen. Zu seinem musikalischen Vorbild und Aushängeschild Dusko Gojkovic verbindet ihn eine langjährige Freundschaft. Aufgeregt erzählt er, dass der fast 80-jährige Trompeter nun in China und Korea spielen wird. „Die Chinesen haben nicht diese Swing-Zeit hinter sich. Sie lieben das Neue, das Ungewöhnliche. Avantgarde-Konzerte sind bis auf den letzten Platz ausverkauft“, schwärmt er von dem dortigen Publikum. Überhaupt: „Ich seh’ das ganze Ding global.“ Wie auch nicht, wenn er mit Enja Records seit 40 Jahren weltweit dazu beigetragen hat, dass die Menschen diese für ihn universelle Sprache des Jazz zumindest einmal hören und in vielen Fällen verstehen, vielleicht sogar sprechen lernen.

     

    Enja Records feiert Geburtstag mit einer Konzertreihe im Jazzclub Unterfahrt, Einsteinstraße 42, 81675 München

    27. 09. – Max Merseny & Band

    08. 10. – Susi Hyldgaard Trio

    13. 10. – Anke Helfrich Trio

    20. 10. – Renaud Garcia-Fons & La Banda (Carl-Orff-Saal Gasteig)

    24. 10. – Young Lions & Old Friends – 80 years of Dusko Goykovich

    27. 10. – Pascal Schumacher Quartett

    Weitere Veranstaltungen folgen, siehe www.unterfahrt.de

     

     

     

     

Veröffentlicht am: 27.09.2011

Über den Autor

Clara Fiedler

Redakteurin

Clara Fiedler ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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