"Der Nussknacker" am Bayerischen Staatsballet: Spitzentanz statt Nüsse knacken

von Isabel Winklbauer

Günther (Marlon Dino) und Luise (Lucia Lacarra) verkörpern die perfekte Petersburger Klassik, Foto: Charles Tandy

Das Bayerische Staatsballett nimmt John Neumeiers neoklassische „Nussknacker“-Inszenierung wieder in den Spielplan auf.

Immer zu Weihnachten erobert „Der Nussknacker“ die Ballettbühnen. 1892 wurde das Kunstmärchen des Romantikers E.T.A. Hoffmann unter der Leitung der Ballettlegende Marius Petipa und seines Assistenten Lew Iwanow am Mariinski-Theater in Petersburg uraufgeführt. Erzählt wird das Jugenderwachen der zwölfjährigen Mascha (in vielen Inszenierungen Klara): Sie hilft im Traum ihrem Galan, dem lebendig gewordenen Nussknacker, eine Schlacht gegen den Mäusekönig zu schlagen indem sie ihm ein stattliches Schwert reicht, worauf es Divertissements im Schloss der Zuckerfee gibt... Erst 1971 entrümpelte John Neumeier das Stück und befreite es von süßen Erotikmetaphern. In seiner Fassung geht es schlicht um ein Mädchen, das bald erwachsen wird – wobei das Erwachsensein nicht mit Sexualität gleichgesetzt wird, sondern mit dem Zauber und der Strenge des Petersburger Balletts. Seine Marie will tanzen: Sie bekommt neben dem Nussknacker auch Spitzenschuhe geschenkt.

Marie (Ekaterina Markowskaja) und ihr Nussknacker zum ersten Mal auf der großen Ballettbühne, Foto: Charles Tandy

Neumeiers Variante ist seit 1973 im Repertoire des Bayerischen Staatsballetts und steht nun seit Sonntag wieder auf dem Plan. Dank einer sehr charmanten Marie glänzte sie auch gleich wieder wie neu: Ekaterina Markowskaja, bis vor kurzem erste Solistin am Ballett der Dresdener Semperoper, verkörpert Kindlichkeit und erste weibliche Hoffnung perfekt. Sie besticht nicht nur durch ihr mädchenhaftes Äußeres, sondern auch durch geschicktes Dosieren von ungestümen Sprüngen in der Geburtstagsszene und sehnsuchtsvollen Allongées in den Traum-Pas-de-Deux. Denn ihr magischer Nussknacker entführt sie natürlich nicht ins Bonbonland, sondern in den Probensaal des Ballettmeisters Drosselmeier (eigentlich ein Abbild des unsterblichen Marius Petipa). Tigran Mikayelyan hat ein gutes Gespür für die Ambiguität seines Charakters im Leben der Marie: Am Geburtstag gibt er Drosselmeier als selbstverliebten Alleindarsteller, der mit dramatischen Posen angibt. Im Traum jedoch verwandelt er sich in einen freundlichen Lehrer, der Maries große Sehnsucht nach dem Ballett tief im eigenen Herzen fühlt.

Hohe Sprünge, hoher Unterhaltungswert: Alleindarsteller Drosselmeier alias Marius Petipa (Tigran Mikayelyan), Foto: Charles Tandy

Mit ihm als Mentor gelingen Marie an Günthers Seite – des Freundes ihrer großen Schwester Luise, den sie als idealen Tanzpartner anhimmelt – die Drehungen und Hebungen schon ganz beachtlich. Zuletzt tanzen Günther (Marlon Dino) und Luise (Lucia Lacarra) einen Grand Pas de Deux nach allen Regeln der Klassik, wobei vor allem auffällt, mit wie viel Raffinement Dino tanzt. Er landet von seinen Dreifach-Tours und Grand Jetés meist ganz lautlos.

Besonders hinreißend an diesem zweiten Akt ist aber, dass die Darsteller der von Drosselmeier vorgeführten Traum-Divertissements allesamt aus der Geburtstagsfeier am Anfang stammen. So treten etwa ihre Eltern (Norbert Graf und Zuzana Zahradniková), eingangs als verträumter Konsul mit Matronengattin kaum auffällig, plötzlich als wunderschönes, ägyptisches Paar auf. Und Marie selbst bekommt von Neumeier die Variation der Zuckerfee zugesprochen. Das ist Emanzipation! Der „Nussknacker“ ist, mit aller Romantik, in der Neuzeit angekommen.

 

Weitere Vorstellungen:

Samstag, 22. Oktober 2011, 19.30 Uhr, Samstag, 26. November 2011, 19.30 Uhr, Dienstag, 29. November 2011, 19.30 Uhr, Mittwoch, 30. November 2011, 20.00 Uhr, Freitag, 6. Januar 2012, 15.00 Uhr, Freitag, 6. Januar 2012, 19.30 Uhr, Freitag, 20. Januar 2012, 19.30 Uhr,

Veröffentlicht am: 19.10.2011

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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