Die Schäffler tanzen: Wenn das Glockenspiel auf dem Marienplatz zum Leben erwacht

von Florian Haamann

Jetzt tanzen sie wieder. Münchner Freiheit am 17. Januar 2012 (Foto: Achim Manthey)

In München ist man stolz auf seine Traditionen: Oktoberfest, Christkindlmarkt, Christian Ude. Alle sieben Jahre gesellt sich eine tanzende Männerschar hinzu, denn es ist Schäfflertanzsaison. So auch 2012.

Es ist ein Graus für jeden Münchner, wenn allmittäglich der Touristenstrom auf dem Marienplatz zum Erliegen kommt, nur weil die Glocken droben am Rathaus erklingen. Für die nächsten sieben Minuten bewegt sich gar nichts mehr und man ist gezwungen, gemeinsam mit der Meute den Glocken zu lauschen und das Spiel der Figuren zu bewundern. Wer dann genau hinschaut, der erkennt in der unteren Reihe eine Gruppe tanzender junger Männer in roten Jacken. Es ist die Zunft der Schäffler, der Fassmacher also.

Alle sieben Jahre scheint es, als ob jemand diesen Figuren Leben einhaucht. Denn überall tauchen sie auf in der Stadt, die Schäffler. Tanzen und erheitern die Münchner. Ganz so wie früher.

Seine Uraufführung hatte der Schäfflertanz anno 1517. So will es zumindest die Legende. In München wütete die Pest, die Menschen schlossen sich in ihren Häusern ein; das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben kam zu erliegen. Aus Angst um die Stadt beschlossen einige Fassmacher, die Menschen zurück in die Öffentlichkeit zu locken. Sie entwickelten einen Tanz und zogen damit durch die Straßen.

Ermutigt durch die bunten und fröhlichen Gesellen vor ihren Fenstern trauten sich immer mehr und mehr Menschen vor ihre Türen und das Leben kam zurück in die Stadt.

So erzählen die Schäffler ihre Geschichte. Historiker bezweifeln diese Version zwar, denn erstmals urkundlich erwähnt wird der Schäfflertanz erst 1702. Aber warum sollte man den Wissenschaftlern glauben, wenn es eine so schöne Legende gibt?

Hoch das Knie, Schritt, Schritt, hoch das Knie – das ist die Grundbewegung des Schäfflertanzes. Dazu Blasmusik, die patriotisch-bierzeltliche Gefühle weckt, mit einer Melodie, die im Minutentakt wiederholt wird und die selbst Volksmusikverächtern noch Tage im Ohr hängen bleiben wird.

Der Tanz besteht aus sieben Figuren. Eröffnet wird mit der Schlange. Sie symbolisiert den Lindwurm, der als Pestbringer galt. Es folgt die Laube, bei der die Tänzer einen immer engeren Kreis bilden und sich dann zu einem wirren Haufen von Buchsbaum-Bögen und Beinen verknoten. Erstaunen und Beifall aus dem Publikum, als sich Mitten aus diesem Wust der erste Tänzer befreit und die Männer in der Reihenfolge wieder erscheinen, in der sie im Knäuel verschwunden sind. Auch beim entwirren gilt: nach jedem zweiten Schritt hoch das Knie, nur nicht den Rhythmus verlieren, den die Kapelle vorgibt.

Gekleidet sind die Tänzer in die traditionelle Schäffler-Uniform: sie besteht aus grüner Kappe, weißem Hemd mit Pestschleife, roter Joppe, weißen Handschuhen, schwarzer Kniebundhose, weißen Kniestrümpfen und schwarzen Haferlschuhen.

Wieder entknotet, formieren sich die Tänzer zum Kreuz. Wie der Name vermuten lässt, schieben sie sich dabei in Form eines Kreuzes über die Bühne.

Die anschließende Krone ist die schönste Figur des Tanzes. Dabei reihen sich die Männer eng aneinander gedrängt um einen Holzstab, in den sie ihre Buchsbaum-Bögen stecken und auf dessen Spitze ein goldener Reichsapfel steckt. Tatsächlich sieht die Figur, die sich da auf der Bühne dreht aus, wie ein überdimensionaler Kopfschmuck.

Während sich das Publikum noch an diesem Anblick erfreut, löst sich die Formation auf und die Tänzer versammeln sich zu vier kleinen Kreisen, in denen sie sich langsam umeinander drehen – eine kurze Verschnaufpause vor dem nächsten Gewusel.

Begleitet werden die Tänzer während ihres Auftritts von zwei Kasperln in bunt-gefleckter Rautenjacke, Glöckchenmütze und Knickerbocker. Herumalbernd bespaßen sie die Menge, derblecken die Lokal-Prominenz, erinnern aber auch an die Herkunft des Tanzes: Mit schwarzer Farbe bemalen sie die Gesichter der Besucher – als Symbol für den schwarzen Tod.

Hektisch wird es auf der Bühne dann wieder mit dem Changieren. Die Tänzer teilen sich in zwei Kreise, die entgegengesetzt zueinander über die Bühne tanzen, beziehungsweise bei diesem Wetter eher rutschen. Von links nach rechts bewegen sie ihre Bögen und schieben sich dabei am entgegenkommenden Tänzer vorbei, dessen Bogen dabei tunlichst in die andere Richtung zeigen sollte. Auch hier gilt: hoch das Knie, Schritt, Schritt, hoch das Knie; dabei nicht auf den Vordermann auflaufen und nicht mit dem Partner zusammenstoßen. Auch wenn diese Figur etwas von einer Horde Tanzbären hat, soviel Koordination und Köperbeherrschung hat man bei Männern noch selten gesehen!

Zum Abschluss: der Reifenschwinger, der einen Holzreifen in dem ein Schnapsglas steht, tollkühn durch die Luft wirbelt. Nachdem er seine Aufgabe absolviert hat, darf er das Glas leeren. In der Übungszeit sicher der lustigste Job.

Trainiert haben die Mitglieder des Fachvereins der Schäffler ihren Tanz seit letztem Oktober. Zwei Abende pro Woche haben sie sich dazu auf dem Gelände einer Münchner Brauerei getroffen. Die Gruppe, die den Tanz in diesem Jahr aufführt, unterscheidet sich in ihrer Zusammensetzung von den Formationen früherer Jahrhunderte.

Denn damals gab es strenge Regeln, wer Mitglied der Schäfflertanzgruppe werden durfte: ausschließlich Schäfflergesellen, ehrbar, körperlich gewandt, unverheiratet und geborene Bayern. Da es nur noch wenige Schäffler gibt, ließen sich diese Regeln nicht mehr aufrecht erhalten. So wurde 1963 der erste verheiratete Schäffler zugelassen, seit 1970 werden auch berufsfremde Bewerber herzlich willkommen geheißen. 38 Mitglieder hat die Tanzgruppe in diesem Jahr, sieben von ihnen sind Schäffler.

Aus Tradition, Liebe zum Handwerk und vor allem Liebe zum Tanz kommen die vielen berufsfremden Mitglieder zum Schäfflertanz, meint Christian Baumann. Und er muss es wissen, denn als zweiter Vorsitzender kennt er die Kollegen genau. Er selbst ist auch kein Schäffler, aber sein Urgroßvater war einer. Deshalb hat er vor mehr als 20 Jahren angefangen, sich für den Schäfflertanz zu interessieren und hat auch sofort mitgetanzt.

„Wer heute Schäfflertänzer werden will, muss sich vor allem trauen, einfach mal bei uns anzufragen“, meint Baumann. Wenn dann noch ein wenig Talent vorhanden ist, steht dem Engagement nichts mehr im Wege.

Nur Zeit sollte man haben, viel Zeit. Nicht nur für die Proben, sondern vor allem während der Saison. Von Dreikönig bis Faschingsdienstag tanzen die Schäffler, 400 Mal treten sie in dieser Zeit auf, meist mindestens acht Mal am Tag. „Dafür nehmen wir alle unseren Jahresurlaub“, erklärt Baumann mit einem leicht wahnsinnigen Lächeln im Gesicht.

Termine unter www.schaefflertanz.com

Veröffentlicht am: 20.01.2012

Andere Artikel aus der Kategorie
Simon Tauschhuber
06.02.2012 02:06 Uhr

ein hübsches Feuilleton.

Freilich:

NORMALerweise tanzen die Schäffler auf der Straße, auf einer Bühne ist der Tanz nicht authentisch - bei der Premiere am Marienplatz dann auch eine ziemliche Rutschpartie.

In den beim Reifenschwung geschwenkten Gläsern ist, auch wenn es immer und immer wieder falsch angegeben wird: Rotwein!!!

Ich hoffe, ansonsten sind die Artikel vom KULTURVOLLZUG besser recherchiert...

Florian Haamann
06.02.2012 09:56 Uhr

Sehr geehrter Herr Tauschhuber,

vielen Dank für das kritische Interesse an meinem Artikel und die Aufklärung.

Viel Spaß Ihnen noch beim Lesen des Kulturvollzugs,

Florian Haamann

romco.mga@gmail.com
16.02.2012 06:47 Uhr

Sehr interessanter Artikel!

Eine Frage: wo bekommt mann die Schäffler-Uniform, rote Jacke und gruener Hut?

gibt es die im internet zu kaufen?

Bitte den link order die Addresse senden.

danke,

Connie