Staatsballett mit modernen Klassikern und Versen von Wondratschek im Prinze: Fish, Chips und Cappuccino
Zwei englische und ein italienischer Choreograf bestreiten den neuen vierteiligen Abend des Bayerischen Staatsballetts. Der Mix ist unvernünftig – und macht daher relativ viel Spaß.
Kenneth MacMillan, Russell Maliphant und Simone Sandroni haben nicht zwingend etwas gemeinsam. Also spannt das Bayerische Staatsballett elegant einen weiten Bogen und fasst die drei Choreografen unter dem Aspekt des Erzählens zusammen. Zudem sind zwei der Herren Engländer, also Hauptprotagonisten der „very britishen“ Saison. Das geht in Ordnung. Ein gemischter Abend muss ja keine Vorlesung sein, sondern soll Freude machen.
Das tut er, nicht zuletzt wegen der Uraufführung „Das Mädchen und der Messerwerfer“. Ivan Liska hatte Simone Sandroni beauftragt, ein Ballett nach dem gleichnamigen Gedichtzyklus von Wolf Wondratschek zu schaffen. Sandroni hatte vor zwei Jahren bereits abgewunken, die Vorlage schien zu stark. Jetzt nahm er doch an – und erzielte den wahrscheinlich größtmöglichen Erfolg.
"Das Mädchen und der Messerwerfer": Auf einem alten Spielplatz treffen sich Lebenskünstler. Foto Wilfried Hösl
Man soll ja nicht zu dicht am Original kleben. In dieser Hinsicht ist Sandroni vorbildlich: Die Figuren, ein Mädchen, ein Messerwerfer, zwei Frauen, sind da. Doch es kommen noch zwei russische Rapper (Ilia Sarkisov, Nikita Korotkov) hinzu, schaulustige Jugendliche, die sich die Zeit mit Tanz vertreiben. Wer zunächst meint, die zwei seien eine Art Erkan und Stefan, ändert bald die Meinung. Das Duo liefert mit einem Street-Pas-de-Deux etwas wirklich Neues. Sandroni hat sich hier zweifellos von den Tänzerpersönlichkeiten inspirieren lassen, denn auch die restliche Szenerie meißelt liebevoll die Charaktere von Emma Barrowman, Vlademir Faccioni oder auch Isabelle Sévers heraus.
Die Gruppenszenen haben Tempo, die Pas de Deux, vor allem der Männer, entspringen endlich wieder Sandronis Talent für fließende Auseinandersetzungen. So beeindruckend war „Cambio d’abbito“ nicht.
Auch die Szenerie ist nicht die von Wondratschek. Lenka Flory setzt die gleichgültigen, aber liebenswerten Lebenskünstler, die die Zirkusleute sind, auf einen ausrangierten Spielplatz. Sie tragen Retro- und Hiphopkleidung. Das stammt aus dem Hier und Jetzt, nicht aus einer lyrischen Welt, verzaubert vor der swingenden Musik von 48nord aber zuverlässig.
Das Eröffnungsstück, MacMillans „Las Hermanas“, wirkt da im Rückblick verkrampft. Die Variation auf Garcia Lorcas „Bernarda Albas Haus“, im Wesentlichen getragen von Lucia Lacarra und Cyril Pierre, ist ein spannendes Format: Ein Handlungsballett von kompakten 25 Minuten. Dass so etwas seit den 60er Jahren nicht öfter versucht wurde, ist wohl den haarsträubenden Finanzierungsbedingungen zuzuschreiben, mit denen Choreografen aller Zeiten klarkommen müssen.
In der Mitte, zwischen den beiden, also Maliphant. Eine echte Spezialaufgabe für Münchens Kompanie, die zu Recht stolz auf ihr breit gefächertes Repertoire ist. „Afterlight“, eine traumhaft schöne Hommage an Vaclav Nijinsky, wird allerdings schon mal von Gaststar Daniel Proietto getanzt, der Urbesetzung. „Broken Fall“ hingegen haben die Urbesetzungen Michael Nunn und William Trevitt mit Ekaterina Petina, Marlon Dino und Erik Murzagalyev einstudiert. Wie die drei Münchner das Gleichgewichtsspiel ums Fallen, Rollen und Winden präsentieren, ist beeindruckend poetisch. Aber auch recht vorsichtig.
Es wurde also einiges erzählt beim vierteiligen Abend „Las Hermanas / Afterlight / Broken Fall / Das Mädchen und der Messerwerfer“. So viel, um die Geschichte nochmal hören zu wollen.