Ein Veranstalter zur überkochenden Jazz-Debatte: "Der Idealist Hornstein hat recht. Aber viele Musiker sind wie Texter ohne Text"

von kulturvollzug

Betriebsstörungen gibt es überall. Man muss sich zu helfen wissen. Foto: Michael Grill

Seit Tagen streitet man in München um Gegenwart und Zukunft des Jazz: Ist die Szene längst kaputt? Fall ja, wer trägt daran Schuld? Nach unserem Autor Ssirus W. Pakzad im Kulturvollzug vom 2. Februar schreibt nun Thomas Vogler, Gründer und Betreiber der Jazzbar Vogler, warum die Kritik an der Szene teilweise berechtigt ist - und was jetzt zu tun bleibt.

Im Internet gibt zur Zeit eine teilweise höchst emotional geführte Diskussion über „die“ Jazz-Szene. Anlass: Der Gastbeitrag des Münchner Saxophonisten und Komponisten Michael Hornstein in der Süddeutschen Zeitung vom 21/22. Januar 2o12: „Betriebsstörung. Der Jazz hat in Deutschland keine gesellschaftliche Relevanz mehr. Die Ursachen dafür sind selbstgemacht.“

Der Artikel Hornsteins war eine Antwort auf den Artikel „Der reine Moment. Warum der Jazz neue Maßstäbe braucht, wenn er überleben will“ des SZ-Feuillton-Chefs Andrian Kreye in der SZ vom 1o. Januar 2o12.

Auf den Artikel von Kreye möchte ich hier nicht weiter eingehen - er ist mir zu theoretisch und spielt auch in der Diskussion im Internet kaum eine Rolle. Anders der Artikel Hornsteins. Hornstein wird im Internet regelrecht auseinandergenommen. Das Problem der meisten Autoren scheint allerding zu sein: Sie sind neidisch, nicht selbst einen Artikel in der SZ schreiben zu dürfen. Und: Sie missgönnen Hornstein eins: Er hat geschafft, was andere sich auch gerne auf ihre Fahnen schreiben würden: Es wird über den Jazz diskutiert.

Ein Beispiel für den Frust: Der Kölner Musiker Florian Ross „Lehrbeauftragter Jazz“ der HfMT Köln. In einem offenen Brief an die SZ, unterzeichnet „von derzeit 1oo Professionellen der Jazzszene“ schreibt Ross: „Der Bericht von Hornstein wimmelt nur so von Unwahrheiten (...) Um die Schädigung der Szene, die der Artikel damit anrichtet, einigermaßen in Grenzen zu halten, bitte, nein fordere ich mit Nachdruck die Möglichkeit einer Replik, in der auf einzelne Punkte eingegangen werden kann.“

Er fordert. Süß.

Was schreibt Hornstein so schädigendes?! Unter anderem.: „Jazz-Musiker verdienen zu wenig“, „es gibt zu wenig Auftritts-Möglichkeiten“, „der organisatorische Aufwand wird immer größer“, „in den Redaktionen sitzen Journalisten, die eigentlich Musiker werden wollten, dafür aber nicht gut genug waren“, „in den Jazz-Hochschulen unterrichten Musiker, die nicht erfolgreich waren“, „junge Musiker würden gefördert, ältere tun sich schwer mit Auftrittsmöglichkeiten“, „gut leben können vom Jazz nur Redakteure, Journalisten und Veranstalter“, „auffällig sei die Ignoranz deutscher Jazzmusiker untereinander“ und und und.

Alles irgendwie nicht neu. Aber: Hornstein hat einerseits natürlich recht. Er ist ein Musiker, der für seine Musik lebt und sie liebt. Hornstein ist ein Idealist. Und das ist gut so. Solche Menschen braucht jede Szene. Andererseits ist das, was Hornstein beschreibt Alltag aller Kreativen, aller Selbständigen. Jazzer befinden sich genauso im Wettbewerb, wie Werber, Grafiker, Fotografen etc. Jeder Berufsstand könnte über seine Situation so einen Artikel schreiben. Aber: Wer sein Publikum, seine Kunden, seine Auftraggeber etc. nicht erreicht, hat schlechte Karten. Wer „nicht am Puls der Zeit ist“, kann einpacken.

Nur: Musiker werden darauf in der Regel nicht vorbereitet. „Ich bin Musiker, also bin ich.“ Was viele Musiker zum Beispiel aber im Unterschied zu anderen Berufsständen offensichtlich nicht lernen ist: Marketing. Banales Beispiel: Viele Musiker sind schon damit überfordert, ein jpg-Foto und einen Info-Text zu stellen. Und: Viele Musiker spielen zwar ein Instrument. Aber sie haben auf ihrem Instrument nichts zu sagen, haben keinen eigenen Ausdruck - keine Persönlichkeit. Das ist so ähnlich, als würde ein Texter ein leeres Blatt Papier abgeben, hätte sich aber als Papier extra schönes Bütten-Papier ausgesucht.

Aber es beginnt schon vorher: Ein junger Musiker, der sich bewußt dafür entscheidet, seinen Lebens-Unterhalt mit Musik verdienen zu wollen, muss wissen: Bin ich wirklich gut genug dafür?! Was unterscheidet mich von anderen?! Habe ich eine Chance in diesem Markt?! Oft scheint dies aber überhaupt keine Rolle zu spielen. Gerade bei Sängerinnen und Sängern entsteht immer wieder der Eindruck: Jeder der sprechen kann, könne auch singen. Neeeeeeeeeeein.

Natürlich wird es immer schwieriger für Musiker, einen Auftritt zu organisieren - weil es immer weniger Spielstätten gibt. Auch keine neue Erkenntnis. Seit ich 1997 aufgemacht habe, ist in München kein einziger Club mit einem adäquaten Programm dazugekommen. Wenn andererseits in München aber ein Club mit Millionen des Steuerzahlers über die Jahre gefördert wird, dann verzerrt dies zum einen den Wettbewerb, zum anderen schadet es der hiesigen Szene: Das Geld wird nicht in die Szene gesteckt, nicht die Lokal-Matadore sind die Highlights, sondern auswärtige Größen. Umgekehrt passiert dies aber nicht.

Grundsätzlich gilt für den Jazz, seine Musiker, seine Labels, seine Clubs, seine Hochschulen, seine Musik, was für den gesamten Rest der Republik gilt: Der Wettbewerb ist härter geworden. Und wer überleben will, muß sich was einfallen lassen. Jammert nicht - pack mas an!

Thomas Vogler

Der Text erschien ebenso im aktuellen Newsletter Nr. 387 der Jazzbar Vogler.

 

Veröffentlicht am: 03.02.2012

Andere Artikel aus der Kategorie
Thomas de Lates
03.02.2012 23:13 Uhr

Was Hornstein beklagt, stimmt genau so wie er es sagt – selbstverständlich gibt es Ausnahmen, an den Hochschulen und sogar in Jurys und Redaktionen. Aber leider nur Ausnahmen. Für jeden seiner Kritikpunkte lassen sich massenhaft Belege vorweisen. Und vieles davon kenne ich aus eigener Erfahrung – sowohl als Musiker, der Gigs an Land zieht, wie auch aus meiner Tätigkeit in Booking und Musik-Management.

Bedauerlicherweise unterstellt man Hornstein Larmoyanz. Berechtigte Klage über Missstände so zu nennen ist jedoch ein nur allzu wohlfeiles Killerargument. Und was man ihm auf keinen Fall vorwerfen kann: dilettantische Schreibe – sein Text ist so gut, dass manch ein Lohnschreiber neidisch werden könnte.

Das Wutgeheul, dass er mit seinem Artikel entfacht hat, gibt zu denken – er hat offenbar einen wunden Punkt getroffen. Aber wie schon oft identifizieren sich die Opfer mit den Tätern und nehmen diese in Schutz – psychologisch nachvollziehbar, aber auch entlarvend. Klar: Der Musiker sitz immer am kürzeren Hebel, ist auf Gedeih und Verderb vom Wohlwollen der „Funktionäre“ existentiell abhängig. Wer offen Stellung bezieht, riskiert, keine Gigs mehr zu kriegen. Wer kann sich das leisten? Hornstein hat es sich geleistet. Die anderen heulen mit den Wölfen.

Laia Genc
04.02.2012 01:29 Uhr

Man diskutiert nicht nur in München schon seit längerer Zeit, wie man es am Besten angehen soll mit dem Jazz in Deutschland in der Zukunft. Ich selber bin der Negativismen leid. Warum können wir nicht eine richtungsweisende und fachliche Diskussion führen. Man liest Überschriften wie \"Betriebsstörung\" oder \"Zugabe oder Abgesang\" oder auch \"Jazz hat´s ... Nicht\" Oder es tauchen Artikel auf, die \"Was Sie über Jazz wissen sollten\" heißen. Alles bei Interesse nachzulesen.

Es ist auch bemerkenswert, daß die Meinungen allenthalben so weit auseinanderklaffen. Die einen sagen, daß an den Hochschulen nur die Musiker als Lehrkräfte landen, die es auf dem freien Markt nicht geschafft haben und ergo auch nichts auf dem Kasten haben. (Was übrigens nie eine richtige Schlussfolgerung ist. Meistens sind die stillen Wasser die richtig tiefen) Die anderen sagen, daß eine junge stetig wachsende Generation Musiker von international arbeitenden Topkräften ausgebildet wird. Wer hat nun hier recht? Also ich kann nur für meinen Standort sprechen, ich stehe für die Musikhochschule Köln, die ein Topniveau bietet. Weltklasse. Und gerade in den letzten Jahren einige DER jungen deutschen Jazzer rausgebracht hat. Die auch übrigens über unsere Fachkreise hinaus durchaus bekannt sind und einen Wirkungskreis haben. Und jetzt mal aus meiner Sicht: es ist vielmehr Hornstein, der seinen Frust zum Ausdruck bringt in seinem Artikel. Daß sein Artikel diese Diskussion in diesem Maße anheizt finde ich allerdings ganz hervorragend! Denn wir müssen uns bemerkbar machen und vor allem auch selber untereinander (unter den Jazzern) klar und einiger werden, um dann eine Zugkraft aufzubauen, um unsere Bedürfnisse einfordern zu können. Zumindest um uns bemerkbar zu machen, das ist der Anfang! Es steht um viele Dinge im Argen in unserem Genre. Die Verhältnisse, bzw. der monetäre Gegenwert für die wir arbeiten sind bis auf einige Einzelfälle nicht der Rede wert. Z.Zt. passiert aber viel Gutes. Viele Initiativen bringen den Menschen diese unsere Musik näher und locken sie zu den Veranstaltungen. Und so gibt es auch die Neuigkeiten vom KölnerWinterJazz Festival, das aus allen Nähten geplatzt ist und das mit einem Publikum, das von Kindern bis hin zum berühmten Rotweinpublikum (- wir haben Euch alle lieb!!!!! -) reichte. Oder Aussagen von jungen Leuten, habe ich selbst so gehört, die sagen: \"Wenn ich mit meiner Freundin schick auf ein Konzert gehen will, dann gehe ich doch auf ein Jazzkonzert! Ist doch voll angesagt.\" Und daß Journalisten oder Veranstalter mit Jazz Geld verdienen stimmt so auch nicht. Viele Clubs arbeiten ja ehrenamtlich und kämpfen stets darum, daß es weitergeht. Guter Fachjournalismus im Jazz ist zur Zeit ein gesuchtes Gut. Auch hier wird viel ehrenamtlich gearbeitet und nicht immer am Zahn der Zeit. Und natürlich kann man auch diese schöne Betätigung nicht Hauptberuflich verfolgen. Geschweige denn, daß viel über Jazz in den Zeitungen oder Medien untergebracht wird. Das ist mit der Pressepräsenz z.Zt. ja zum Glück etwas anders. Jetzt wünschte ich mir nur eine fachlich richtige und gute Berichterstattung. Gerne auch mit wissenschaftlichem Ansatz, denn auch das gibt es in Deutschland. Eine wirklich wissenschaftliche Aufarbeitung des Jazz. Es ist einfach unhaltbar zu schreiben, daß in der Jazzmusik in den letzten 20 Jahren nichts neues passiert ist. Die Szene ist so spannend und vielfältig wie noch nie zuvor!!! Es drängen immer mehr hervorragend ausgebildete Musiker auf den Markt, die der Welt sehr wohl etwas zu sagen haben. Ich will mich nicht in Grund und Boden schreiben lassen. Was wir jetzt nicht brauchen ist Rufmord. Und genau darum dreht sich das Ganze hier. Gerade in einem Moment, wo sich so viel Energie in eine positive Richtung entwickelt kommt natürlich auch ein Feedback. Aber eines, in dem ich die derzeitige Lage nicht immer ganz korrekt abgebildet finde. Laßt uns weiter debattieren!