Markus Bauers "stehende gewässer" in der Halle 7: Pension zur schlechten Aussicht
Hoffnungslosigkeit in der Halle 7: Markus Bauers preisgekröntes Stück "stehende gewässer" erlebt eine Uraufführung, die trotz guter Schauspieler eine entscheidende Frage offenlässt: Worin besteht die Alternative zum vertanen Leben?
Ein Hotel, eine Pension - Orte der Begegnung sind das, Stätten, an denen die Welt zeitweilige Heimat sucht. Das heißt: Im besten Falle. In Markus Bauers Drama "stehende gewässer" ist eine heruntergekommene Pension der Schauplatz des Geschehens oder vielmehr Nichtgeschehens: Eine Familie Wiesheu beobachtet, wie ihre Träume sterben. Nur ab und an durchbrechen Wut und Sarkasmus die Lethargie.
Das Haus hat die Familie geerbt, ohne jemals seinen Niedergang bremsen zu können. Die Pension geht nicht, es geht Wiesheus wohl auch das Talent zum Dienstleister ab. Dabei liegt die Pension an einem See, einem idylllischen Ort , des Lachens, der Spiele, des leichten Sommervergnügens. Im besten Falle natürlich - in diesem Falle ist es ein stehendes Gewässer, das den Brodem des Verfalls atmet.
Nix geht; die Mutter träumt von Reykjawik, der Vater sucht sein Glück in Abenteuern, die Tochter, drogensüchtig, hat ihr Kind verloren, der Sohn kommt nicht über seine Jugendliebe hinweg. Die wiederum ist längst anderweitig unterwegs und hat ein eigenes Kind. Und nun sitzen sie da. Sie trinken, rauchen, reden - über das, was war, was hätte sein können. Wie bei Tschechow: Moskau ist weit weg, der Zug dorthin längst abgefahren, man vertreibt die Zeit - und fügt der vertanen Zeit gestaltlose Minuten hinzu.
Es ist eine fahle und doch ab und an auch vom milden Licht der Erinnerung durchdrungene Welt, die Alex Novak bei der Uraufführung in der Halle 7 in Szene setz. Ein Text, der einfacher aussieht, als er ist: Die Atmosphäre ist entscheidend für dieses Textgewebe, diese Geschichte, in der sich nichts rühren darf. Novak hat sich für eine statische Lösung entschieden: Keiner verlässt den zugemüllten Raum, wer nicht zu sagen hat, steht am Rand. Ein Text, reich an Anspielungen, der doch um sich selber kreist: Wir ahnen, dass niemand dem Verfall entkommen wird, außer vielleicht Lotte, die Jugendliebe - sie ist auf der Flucht, vor Erinnerungen, vor sich. Sie trägt ihr Gefängnis mit sich. Sie hat sich das Bildnis eines Drachens tätowieren lassen und warnt den jungen Wiesheu: "Wenn du ihn berührst, weckst du ihn." So ist es mit allem hier: Was man anrührt, könnte zu Leben erweckt werden. Das könnte eine Chance sein - aber die Menschen in diesem Kreis sehen nur die Gefahr der Veränderung.
Die Darsteller - Beatrice Murmann als Mutter, Magdalena Pohlus als Tochter, Llivia Schoeler als Jugendliebe, Dieter Fernengel als Sohn und Sebastian Schäfer als Vater - überzeugen allesamt. Somit wäre alles bereitet für einen starken Abend. Allein, das preisgekrönte und zum Berliner Theatertreffen eingeladene Stück Markus Bauers wirkt konstruiert. Insgesamt lässt die Geschichte einen merkwürdig unberührt. Liegt es daran, dass man diese Geschichte von Stillstand, von Verwahrlosung schon in zu vielen Variationen erzählt bekommen hat?
Die Figuren müssten ihren Hintern hochbekommen, so ist es bei Bauer, so war es bei Tschechow, so ist es im richtigen Leben. Aber man ahnt sehr schnell, dass das in dieser Pension zur drögen Aussicht ohnehin nicht passiert. Die Welt ist ein Scheißhaufen, schreit der Vater einmal. Mag sein; nur fehlt hier der Hinweis, dass auf dem Exkrement, richtig verteilt, auch Blumen gedeihen.