„Tzaddhik“ von Terry Swartzberg auf dem Friedhof

"Wir müssen nicht pazifistisch sein, sondern aggressiv für den Frieden"

von Michael Grill

"Der Mensch ist eine blutrünstige Spezies" - eine Szene mit Autor und Schauspieler Swartzberg (Mitte). Foto: Küchle / Swartzberg

Es ist ein Einakter in sechs Szenen und es nennt sich „Kriegsburleske“: Das Theaterstück „Tzaddhik“, geschrieben von dem Münchner Terry Swartzberg, in dem Terry Swartzberg die Grausamkeit der Menschen anprangert und den Zuschauer zur Arbeit an der persönlichen „Erinnerungskultur“ motivieren will. Unter der Regie von Barry Goldman wurde das Stück in den letzten Wochen auf Friedhöfen in Augsburg, Stuttgart, Nürnberg und Hamburg aufgeführt. Vor der Rückkehr nach München an diesem Wochenende sprachen wir mit Autor Swartzberg. Der 58 Jahre alte bayerische New Yorker ist Journalist, Autor und PR-Berater. Die Münchner kennen ihn vor allem durch sein Engagement in der liberalen jüdischen Gemeinde.

 

Herr Swartzberg, Sie machen als Jude Theater für den Weltfrieden auf deutschen Friedhöfen. Kann man somit davon ausgehen, dass Günter Grass für Sie ein Verbündeter ist?

 

Ich respektiere natürlich das Recht von Günter Grass auf Meinungsfreiheit, bin allerdings mit seiner Meinung überhaupt nicht einverstanden. Wer Israel so als Aggressor darstellt, wie Grass das kürzlich getan hat, liegt schlichtweg falsch. Die Gefahr kommt aus Iran. Ich bin zwar sehr unzufrieden mit Israels Siedlungspolitik, ich bin israelkritisch in vielen Bereichen. Aber man muss erkennen, dass zuallererst die Existenz Israels geschützt werden muss. Und unabhängig von alledem bleibt es natürlich wahr, dass kein Krieg jemals irgendein Problem gelöst hätte. Es wäre verhängnisvoll, wenn Israel sich tatsächlich etwas von einem Erstschlag gegen Iran versprechen sollte. Ich würde Israel raten, einen kühlen Kopf zu behalten und nichts zu unternehmen – Iran wird sich selbst erledigen.

 

Da sind wir schon mittendrin in der Schwierigkeit Ihres Themas: Pazifismus soll die Menschheit retten, aber was folgt daraus in der Realität?

 

Der Mensch ist eine blutrünstige Spezies. Und immer wieder finden wir eine Rechtfertigung für den nächsten Krieg, indem wir die vergangenen vergessen. Pazifismus der falsche Ansatz. Was wir brauchen, ist eine starke Erinnerungskultur, die uns nicht pazifistisch, sondern aggressiv für den Frieden macht.

 

Theater auf dem Friedhof - das klingt ein bisschen, als würde sich eine Death-Metal-Band einen Scherz erlauben. Kommt Ihre Idee überall an?

 

Zunächst einmal: Die Deutschen lieben Ihre Friedhöfe. Ihre Aussegnungshallen sind oft architektonische Meisterwerke. Im Vergleich zu anderen Nationen gehen die Deutschen gerne auf Friedhöfe. Dort gibt es inzwischen oft ein tolles Kulturangebot. Insofern mussten wir mit unserem Theater gar nicht bei Null anfangen. Trotzdem ist mir klar, dass wir viele erst mal überzeugen müssen, dass ein Friedhof der richtige Ort für Theater sein kann. Und wir tun dass, indem wir ein Stück anbieten, das ein zentrales, wenn nicht gar das zentrale Problem der Menschheit schlechthin anspricht.

 

Wie entstand die Idee?

 

Ich bin in den 70er Jahren als junger investigativer Journalist in mehrere Kriege und Bürgerkriege in Asien hineingeraten. Ich habe gesehen, wie Menschen einander umbringen. Wenn man das gesehen hat, will man wissen, wie so etwas überhaupt möglich ist.

 

Haben wir hier in Europa inzwischen vergessen, wie nah das Thema Krieg plötzlich sein kann?

 

Ja! Das ist unser größtes Problem. Die wunderbare Tatsache, dass Deutschland ein friedfertiges Land geworden ist, führt dazu, dass sich die Menschen so sicher wie noch nie fühlen. Mit Recht und hoffentlich noch sehr lange – ich sage das als Vater von zwei Kindern. Aber es gibt überall noch gewalttätige Menschen, und man muss sich klar machen, wie schnell Deutschland auch als unmittelbarer Schauplatz wieder in einen Krieg verwickelt werden könnte.

 

Ist es ein Unterschied, ob ich sage „Ich bin gegen den Krieg“ oder ob ich sage „Ich bin für den Frieden“?

 

Das ist ein riesiger Unterschied. Das erste steht vor allem für dieses Gutmenschentum, das sagt, ok, ich würde das selbst nicht machen, ich finde das furchtbar, aber ansonsten geht mich das nichts an. Man muss aber wirklich für den Frieden sein und dabei einen inneren Schmerz auf sich nehmen, den Schmerz von hunderttausend vergessenen Kriegen. Man muss eine Erinnerungskultur pflegen – das ist ein mühsamer Prozess.

 

Ist ihr Stück wirklich Theater oder doch eher politische Agitation?

 

Swartzberg beim Interview auf seiner Terrasse in München. Foto: Michael Grill

Ich nenne es Friedens-Agitation. Politisch ist es nicht. Das Thema ist viel größer als die Politik. Dieses Theaterstück wird als solches geliebt und verstanden. Das Publikum hat viel Interesse und manchmal, das kann man wohl so sagen, auch Spaß an dem Stück.

 

Wie geht das mit Ihrer Absicht zusammen, vor allem schockieren und die Dramatik des Themas klarmachen zu wollen? Funktioniert das Stück auch, wenn man es leicht nimmt?

 

Das Stück dauert 70 Minuten, viele davon kann man genießen, manchmal kann man sogar lachen. Für mich als Amerikaner ist Spaß haben und tiefsinnig sein sowieso kein Widerspruch. Man kann des Ernst des Lebens ganz generell nur begreifen, wenn man mitlacht und mitmacht.

 

In Deutschland ist Engagement für den Frieden mit dem Begriff Friedensbewegung verknüpft. Die ist heute in großen Teilen der Gesellschaft verpönt als Ansammlung realitätsferner, zotteliger Gutmenschen. Wie grenzen Sie sich dazu ab?

 

Eine sehr gute Frage. Ich gehe gerne auf Demos und auch auf Friedensmärsche. Das sind dort alles wunderbare Menschen, die ich keinesfalls beleidigen will. Aber es ist meist oberflächlich, was dort abläuft. Es sind oft nur Formeln, die heruntergebetet werden. Doch man muss das Thema wirklich mit dem Herzen annehmen und dabei ist es egal, ob es um Afghanistan, Syrien, Libyen oder Vietnam geht. Es geht nie um einen Krieg, es geht immer um alle. Die hunderttausend, die stattgefunden haben und die hunderttausend, die noch stattfinden sollen. Unsere einzige Chance ist, diese zu verhindern. Eine Erinnerungskultur muss uns klar machen, dass noch nie ein Krieg irgendetwas gebracht hat außer Tod und Leid.

 

Es geht Ihnen also im Kern darum, die Erinnerung an Böses so wach zu halten, dass wir uns vor unserem weiterhin vorhandenen Trieb zum Böse sein schützen können?

 

Genau das ist es. Ich habe vor vielen Jahren die Geschichte der angeblich friedlichen Dekade von 1850 bis 1860 recherchiert – und selbst dort lassen sich auf der Welt 1454 Kriege und kriegerische Konflikte auflisten. Aus dem Entsetzen über diesen Wahnsinn entstand mein Stück, das ursprünglich wie eine Art Gottesdienst angelegt war.

 

In der Kritik zu einer Aufführung stand ein schöner Satz, so bissig wie liebevoll: „Es ist etwas schlicht – aber ist es deswegen denn unwahr?“

 

Richtig beobachtet: Auf den ersten Blick ist es sehr schlicht: Kriege werden geführt, weil die früheren vergessen worden sind. Aber man muss erkennen, wie schnell das geht. Im 2. Weltkrieg haben sich Deutschland und Amerika erbittert bekämpft, kaum war der Krieg vorbei, war man schon wieder verbündet gegen den nächsten Feind, die Sowjetunion. Diese Amnesie, die den Menschen eigen ist, führt zum nächsten Krieg.

 

Sie schließen nun die „Tzaddhik“-Tour in München ab. Was haben Sie bislang vom Publikum zurückbekommen?

 

Ich konnte von unserem Publikum unheimlich viel lernen und habe gemerkt, dass das Stück funktioniert. Das Publikum hat mir gezeigt, dass es unsere abstruse Mischung aus Slapstick, Drama und Oratorium versteht und als Ganzes begreift. Das hat mir sehr viel Kraft gegeben.

 

Der Autor Tilman Spengler sagte, das Stück zeige auch, wie viel die Deutschen verloren haben durch den Verlust des Jüdischen. Aber ist „Tzaddhik“ überhaupt ein so sehr jüdisches Thema?

 

Ein ganz wichtiger Aspekt: Das Thema ist universell. Jüdisch an „Tzaddhik“ ist unsere Tradition, dass man trotz allen Leides, das man generell als Mensch erfährt, den Humor behält und lacht.

 

Trauerhalle am Ostfriedhof, 28.4. 2012, 16 Uhr, und 29.4., 19 Uhr. Tickets über sayhi@swartzberg.com, und Telefon 0170/4733572

Veröffentlicht am: 28.04.2012

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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michael roloff
29.04.2012 22:32 Uhr

http://goaliesanxiety.blogspot.com/2012/04/gunter-grass-what-must-be-said.html contains daily updated links the 100 + different positive and negative positions taken on the Grass anti-war poem controversy. I myself am doing a summary that may be done by the end of the week. However, it looks as though this might get to be a bigger story than just Grass and his poem.,,

http://www.facebook.com/mike.roloff1?ref=name