Münchner Biennale im Gasteig
Beklemmend eigenartig
Halbzeit in der Reihe der Biennale-Kurzevents. Bei "Nucleus 6" im Foyer des Gasteig performierten ein weißer Butoh-Body und ein weltenirrender Sänger zur Musik von Nikolaus Brass.
Schon allein die Begegnung zweier völlig inkompatibler Konsumentengruppen gab "memory" von Nikolaus Brass eine ganz besondere Note. Draußen vor dem Kultur-Klinkerbau am Rosenheimer Berg hatte man vorher schon Busladungen stadtfeiner Kultursenioren anrücken sehen. In der Philharmonie nämlich luden die Swinglegenden Hugo Strasser, Max Greger und Paul Kuhn zum Abhotten. Auf dem gedämpften Weg durchs Foyer wurden die Scharen des unsterblichen Musikstils, vorbei an kreisförmig wartenden Biennale-Gästen, kurz irritiert. Ein weißer Butoh-Body (Christian Stübner), grellweiß beleuchtet (Licht: Rainer Ludwig) in einem weißen Kubus, saß dort wie erstarrt. Minutenlang ging kein Wimpernschlag über die unzugänglichen schwarzen Augen. Eine Plastik, wie sie von Ron Mueck hätte sein können, erinnernd an den überdimensionalen, naturalistischen Big Man aus Silikon.
Da fragte sich mancher Swingfan auf dem Rosenheimer Berg schon, ob dies noch der Kunst gälte. Das allein hatte schon trefflichen Performance-Charakter. Dann begann die Musik, durchsetztmit Geräuschen, dem Schlagen von Türen. Sieg-Heil-Rufe in der Klangcollage erläuterten rückwirkend die Herkunft der Zitate aus den Dachauer Protokollen des Konzentrationslagers vor den Toren Münchens. Der Sänger Andreas Fischer näherte sich wie ein Wanderer zwischen den Welten dem Kubus, das weiße Wesen erwachte. Ort seiner Seele? Ort einer symbolischen Entlastung, Heilung der Untaten? Die beiden sich Fremden kamen zum Ende auf der Bühne zueinander, allerdings in einer Begegnung ohne Erkennen. Entseelt der Eine, körperlos der Andere (Choreografie Stefan Marria Marb, Regie Brigitta Trommler).
Beklemmend eigenartig und schmerzhaft war dieser Nucleus 6 am 8. Mai – dem Jahrestag der Kapitulation Nazideutschlands – auf den Grundmauern des Bürgerbräukellers. Ein ferner Klang.