Luisenburg-Chef Lerchenberg zum Saisonstart

"In Bayreuth spielt man auch nur Stücke von einem Sachsen"

von Michael Weiser

Für die Familie: Ritter Kamenbert. Foto: Bessermann

Eröffnet wird mit einem Klassiker: Mit Shakespeares "Romeo und Julia" feiern die Luisenburg-Festspiele in Wunsiedel am heutigen Freitagabend  Eröffnungspremiere. Michael Weiser sprach mit Intendant Michael Lerchenberg über griechische Beziehungen zur Luisenburg, Shakespeares Naturbühnentauglichkeit, fränkische Vorwürfe  und Leuchttürme in Oberfranken. 

Sind viele Karten für die Premiere zurückgekommen?

Wieso?

Weil heute die deutsche Nationalmannschaft im Viertelfinale gegen Griechenland spielt. Sie wären der erste, der die DFB-Elf bei der EM schlägt.

Ach so. Doch, eine Rückgabe gab es: der Bundesinnenminister. Als Sportminister fliegt er nun doch zum Spiel. Aber sonst haben wir keine Rückgaben. Es hat ja fast etwas von einem Omen. 2004 war Stoiber bei der Eröffnungspremiere. Und da haben auch die Griechen gespielt und überraschend gewonnen. Stoiber kam enthusiastisch und irritiert zu mir und fragte: „Haben Sie’s gehört, die Griechen haben die und die geschlagen.“ (Griechenland schlug im EM-Viertelfinale Frankreich mit 1:0, Anm. der Red.) Könnte ja ein Omen sein, dass immer die Griechen gewinnen, wenn wir Eröffnungspremiere haben (lacht). Mei o mei, ob uns das der DFB verzeihen würde? Generell richten wir uns nicht nach Spielplänen. Wir planen früh, und man stelle sich vor, die Deutschen wären ausgeschieden, wir hätten aber ein Viertelfinale nicht belegt. Und alle zwei Jahre ist so eine Meisterschaft – das wäre ja zum Wahnsinnigwerden.

Michael Lerchenberg. Foto: Michael Weiser

In einem Wettbewerb stehen Sie allerdings auch – mit sich selber. Vergangenes Jahr hatten Sie über 150.000 Zuschauer. Ist das zu übertreffen?

Da geht nichts mehr. Das waren zwei Jahre mit Fabelzahlen, die glückhaften Umständen geschuldet waren. Wir waren ja schon begeistert, als wir das erste Mal über 140.000 Zuschauer kamen. Das sind extrem hohe Auslastungszahlen. Ich hab manchmal schon Witze gemacht und von Bayreuther Verhältnissen gesprochen, weil man für manche Stücke schier keine Karten mehr bekommen hat. Unser Ziel ist es aber, gutes Theater zu machen und nicht jedes Jahr unsere eigenen Zahlen zu toppen. Ich habe ganz bewusst heuer mit „Ritter Kamenbert“ ein unbekanntes Familienstück ausgewählt. Wenn nicht jetzt, wann dann, da wir überall ein so positives Echo bekommen? Wir haben vertraut auf den Vertrauensbonus, den wir beim Publikum genießen. Neugier ist ein wichtiges Element beim Theater. Natürlich ist es toll, wenn 30.000 in Pumuckl gehen, aber man weiß halt schon, wie er funktioniert. Das ist beim Kamenbert anders. Eine überraschende Geschichte, die auch Bayreuth betrifft, weil ein neuer singender Drache für die Wagner-Festspiele ausgesucht werden soll. Und eine charmante Anspielung auf den „Siegfried“.

Bei allen Bayreuth-Bezügen wird Ihnen aber doch immer mal wieder vorgeworfen, dass Sie als typischer Oberbayer...

Hahaha

...nichts Fränkisches auf die Bühne brächten. Nervt Sie das?

Da muss ich eines sagen: Wir sind kein fränkisches Theater. Wir sind ein Theater in Franken. So geht’s schon mal los. Und wir haben einen Spielplan, der überregionalen Gesichtspunkten Rechnung tragen muss. Auch die Bayreuther Festspiele spielen ja ständig nur Stücke von einem Sachsen. Wir wählen unsere Stücke danach aus, wie gut sie sind und wie gut sie auf unsere Bühne passen. Und wo sind die fränkischen Stücke, die den Qualitätsmaßstäben entsprächen? Abgesehen davon, dass ich die Schauspieler bräuchte. Da versuchen immer ein paar Leute, ihre persönliche Meinung in den Vordergrund zu spielen. Das ist so eine Art von Gesinnungsterrorismus. Wo kommen wir hin, wenn uns irgendwelche Leute vorschreiben, welche Stücke wir spielen? Unser Ziel ist es, gute Stücke zu spielen. Wenn sich dann jemand – wie beim „Ritter Kamenbert“ – an einer weißblauen Farbkombination stört, kann ich nur lachen.

Eine alte Diskussion...

Wissen Sie, die Diskussion gab’s früher nicht. Die Luisenburg spielt seit den 1920er Jahren Volkstheater, und das sind nun mal Stücke aus dem süddeutschen Sprachraum, und wenn die Franken dazu jahrzehntelang nichts beigetragen haben, dann ist das das Problem der Franken und nicht meines. Da kann ich Ihnen eine Anekdote erzählen...

Verführung unterm Nachthimmel: Hanna Plaß als Julia, Bastian Semm als Romeo. Foto: Bessermann

Ich bin ganz Ohr...

Ich war kürzlich auf einem Volksmusikabend, hier in Oberfranken. Da ist an einem Abend mit Sicherheit vier-, fünfmal die „Tante Mizzi“ gelaufen. Irgendwann habe ich dann mal gesagt, spielt’s doch mal was Fränkisches. Und die haben gesagt: „Da gibt’s nichts Gscheids.“

Sie sind nun das neunte Jahr als Intendant an der Luisenburg. Läuft sich das irgendwann tot?

Das ist eine gute Frage. Man muss sich immer hinterfragen, was man macht und wie und die Messlatte immer hoch legen. Das Schlimmste ist doch, wenn man glaubt, man weiß, wie es geht, wenn man sich zurücklehnt. Das ist der Anfang vom Ende. Dieser Beruf – wie alle Theaterberufe – ist nur zu machen, wenn man ein Überzeugungstäter ist. Wenn ich diese Überzeugung nicht mehr habe, dann ist der Zeitpunkt zum Aufhören gekommen. Den sehe ich für mich aber noch nicht.

Sie starten am Freitag mit einem Stück, das in einer italienischen Stadtgesellschaft spielt, und man kann sich eigentlich nichts vorstellen, was weiter von Natur entfernt ist. Warum passt „Romeo und Julia“ dennoch zur Naturbühne?

Es gibt noch ein Stück, das ist noch viel weiter weg: Die „Blues Brothers“ – das spielt in Chicago. Und passt perfekt. Auch „Romeo und Julia“ wird passen. Unsere Bühne ist seit 1914 eine Shakespeare-Bühne. Das ist eine hervorragende Spielfläche. Shakespeare-Bühnen sind traditionell Spielflächen. Das elisabethanische Theater kannte kein Bühnenbild im heutigen Sinne. Das war eine Spielfläche, und im Hintergrund gab es einen Balkon und einen Hausaufbau, den man entsprechend bespielt hat, und ansonsten gab es nichts. Wir haben eine wunderbare Bühne, und mit unseren Felsen und dem Berg eine Höhenstruktur. Das gibt unglaubliche kreative Möglichkeiten, und es liegt in der Imaginationskraft des Schauspielers, so wie schon vor vier-, fünfhundert Jahren, auf eine Bühne hinauszutreten, die nicht zugebaut ist mit italienischen Häuschen und einfach zu sagen: „Wir sind hier in Verona“. Genau so funktioniert es, wenn sich zwei Schauspieler auf zwei Klappstühle setzen und behaupten: „Wir fahren jetzt Auto in Chicago.“ Das ist es, was mich am Theater so reizt: Dass ein Schauspieler ein Publikum so wunderbar verführen kann. Und das ist das Wunderbare an dem Publikum hier, dass es sich gerne verführen lässt, dass es begeistert mitgeht. Diese Bühne hat eine wunderbare Behauptungsqualität.

Eine Ihrer Schauspielerin hat’s so ausgedrückt: Man müsse hier sehr direkt spielen. Hanna Plaß war das, die Sie wiederum sehr gelobt haben. Der Anfang einer großen Karriere?

Schwierig zu sagen, aber sie ist ein sehr begabtes Mädchen – das ist sicher. Und sie hat das sehr richtig gesagt. Aufgrund des großen Raumes dieser Bühne darf man nicht kleinteilig spielen, wie man es vielleicht vor der Kamera oder in einem Kammerspiel machen würde. Hier muss der Schauspieler eine andere Wirkungskraft entfalten, und das erfordert Klarheit im Denken und Handeln. Das ist vielleicht ein Grund dafür, dass viele junge Schauspieler, die hier gespielt haben, später wirklich große Karrieren gemacht haben. Man sucht als Regisseur und als Intendant auch extra junge Schauspieler, die diese Qualität haben, und so findet hier öfter zusammen, was zusammengehört.

Gibt es ein Stück, woran Sie sich noch nicht gewagt haben, ein Traumstück?

Ja, es gibt so ein Stück. Das würde man aber missverstehen. Das hängt mit einer räumlichen Nähe zusammen. Wir sind hier relativ nahe dran an der Oberpfalz, nicht weit weg von Konnersreuth und der Resl, deren Seligsprechungsprozess gerade läuft. Es gibt von Felix Mitterer ein wunderbares Volksstück, das heißt „Stigma“, und da geht es um die Stigmata einer Bauernmagd. Ein großer Volkstheatertext. Aber wenn ich es hier spielen würde, würde man das absolut missverstehen. Andere Stücke kommen aus anderen Gründen nicht in Frage. Schwierig wären zum Beispiel auch Moliére oder Boulevardstücke, wo schnell gesprochen wird. Konversationstheater – das funktioniert hier eben nicht. Wegen der Ausmaße der Bühne.

Wie wichtig sind die Festspiele für die Wirtschaft in der Umgebung von Wunsiedel?

Wir sind mit Sicherheit eines der Theater mit der höchsten Umwegrentabilität. Über sechzig Prozent unserer Besucher kommen aus der weiteren Umgebung, aus München oder aus Frankfurt oder noch weiter her. Und wenn jemand in München volltankt, um hierher zufahren, dann klingelt beim Finanzminister schon die Kasse. Und wenn dann die Leute hier ein Bier trinken, eine Bratwurst essen oder im Hotel übernachten, dann ist das eine hohe Wertschöpfung. Man spricht von der Kultur immer als weichem Standortfaktor. Ich wehre mich dagegen. Wir sind ein sehr harter Faktor, weil wir Geld generieren. Wir haben vier Millionen Umsatz und bringen das Geld überwiegend auch hier unter die Leute. Wir sind aber insofern ein weicher Standortfaktor, als wir zum Renommee der Gegend hier beitragen. Immer mehr Laute auch aus Oberbayern und München kommen hierher – auch wegen uns. Aber das Problem ist: Die Gegend vermarktet sich schlecht. Als ich begonnen habe, war diese Gegend im ADAC-Freizeitatlas Bayern ein weißer Fleck. Da war kein Porzellanmuseum drin, kein Felsenlabyrinth, keine Luisenburg, keine Klosterbibliothek von Waldsassen – nichts. Es gibt hier wahnsinnig tolle Betriebe, die sind Weltmarktführer, die man bloß nicht kennt, und wo man sich wundert, was in Oberfranken alles passiert. Da liegt aber immer noch ein Schleier drüber. Ich sehe meine Aufgabe auch darin, dass die Luisenburg ein Leuchtturm ist, der den Weg in diese Gegend weist.

Michael Lerchenberg (59) ist seit 2004 Intendant der Luisenburg. Als Schauspieler debütierte er dort 1980 im „Holledauer Schimmel“ . Heuer steht auf dem Programm der Luisenburgfestspiele: „Romeo und Julia“ (Premiere 22. Juni), „Blues Brothers“ (Wiederaufnahme), „Wast – Wohin“ von F. Mitterer (13. Juli), „Cherubim“ von W. Fritsch, „Der Vogelhändler“ von O. Zeller (9. August), „Der Freischütz“von C.M. Weber (17. August). „Ritter Kamenbert“ läuft bereits. Die Konzerte mit Blechschaden und Haindling sind ausverkauft.

Veröffentlicht am: 22.06.2012

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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