Knuddelbär aus der Ursuppe: Lemmy Kilmister und Motörhead sind inzwischen unangreifbar und beschenken uns mit Konzert, Album und Buch
Alle Jahre wieder im Dezember kommt der Weihnachtsmann für die ganz Harten nach München. Er hat lange Haare und einen Bart, er trägt einen riesigen Rickenbacker-Bass und wird heuer an Heilig Abend 65 Jahre alt. Wie in den Vorjahren wird Ian „Lemmy“ Kilmister mit seinen Kumpels Philip Campbell und Mikkey Dee in der Adventszeit im Münchner Zenith ein Konzert geben und dabei mindestens doppelt so laut und wüst sein wie all die Nachfolgebands, die sich seit Generationen auf diesen Weihnachtsmann berufen und ihn doch nie erreichen.
Lemmy wird Tonika, Subdominante und Dominante aus dem verzerrten Bass (ja, Lemmy spielt Blues-Akkorde auf dem Bass!) durch die Boxen jagen, den Kopf in den Nacken legen und brüllen: „If you like to gamble, I tell you I'm your man / You win some, lose some, it's all the same to me!“ Das sind die berühmten Anfangszeilen aus dem insgesamt noch berühmten „Ace Of Spades“, das viele auf der Welt und 100 Prozent der Motörhead-Fans für den Prototypen eines Rocksongs, für das vollkommenste Stück Heavy Metal halten. Der Weihnachtsmann wird uns das um die Ohren schlagen und wir werden begeistert sein.
Motörhead, gegründet 1975, eine der ganz wenigen Bands, in denen der Bassist die Hauptrolle spielt, waren jahrelang die Kapelle der Außenseiter, Verlierer und Proleten. Wo AC/DC schon in den 70ern Party machten, Iron Maiden in den 80ern ein Metal-Kasperletheater veranstalteten und Metallica in den 90ern
hitparadentauglich wurden, blieben Motörhead einfach nur eine Rock'n'Roll-Band – die Fluppe im Mundwinkel, die Whiskey-Flasche in Reichweite und die Finger an der nächsten greifbaren Blondine. Männer wie aus dem Bilderbuch des Schreckens: Grob, einsam und ungewaschen.
Das erste Wunder ist, dass Lemmy all die Jahre im Sumpf überlebt hat, das zweite, dass er inzwischen von allen gemocht wird. Lemmy ist der große Metal-Knuddelbär für mittlerweile vier Generationen, seine Band ist ein cooler, unangreifbarer Mythos, seine Musik die Ursuppe des Metal. Heuer gibt es besonders viel zu feiern, nicht nur Lemmys runden Geburtstag. Die neue CD „The Wörld Is Yours“ ist das 20. Studioalbum der Band, dazu erscheint noch „Lemmy talking“, eine Art Zitatesammlung, die Lemmys Weltsicht thematisch sortiert aufbereitet. Als sein Vater, den er für ein „unwürdiges Stück Dreck“ hält, ihn fragte
Devils In My Head: Lemmy. Foto: Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf (alle Abbildungen aus dem besprochenen Band)
was er tun könnte, um Wiedergutmachung zu leisten, soll Lemmy zum Beispiel gesagt haben: „Gib mir einen Tausender und dann vergiss es. Ich brauche neues Equipment.“ Das neue Album ist ein reifes Spätwerk, geht aber teilweise zurück zum Rock'n'Roll der Frühzeit, und schon die Titel sprechen Bände: „Born To Lose“, „I Know How To Die“, „Devils In My Head“. „Brotherhood Of Man“ ist andererseits erkennbar inspiriert von der „Orgasmatron-Phase“ in den 80ern – und immerzu hämmert die gnadenlose Double-Bass. Es ist ein sehr, sehr gutes Motörhead-Album geworden, und wer behauptet, dass es wie immer bei der Band alles gleich klingen würde, der hat keine Ohren.
Aus dem Buch stammt unter anderem dieses schöne Lemmy-Zitat von 1996: „Als ich mal auf Acid war, habe ich Gott gesehen. Er ist größer, als ich gedacht habe.“ Wer heute Abend ins Zenith geht, kann sich auf ähnliche Weise überraschen lassen.
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Motörhead: The Wörld Is Yours (Motörhead Music / EMI). Das Buch „Lemmy talking“ von Harry Shaw erscheint bei Schwarzkopf & Schwarzkopf (14.90 Euro). Live am Samstag (11. Dezember 2010) im Zenith (Lilienthalallee 29, 20 Uhr).