Die Wagner-Frauen als Musiktheater

Dachschaden Wallhall im Haus der Kunstmusik - zwischen Euphorie und Niedergang

von Michael Wüst

Die große Brünnhilde Dame Gwyneth Jones. (Foto:Wilfried Hösl)

"Rund um den Ring", das Rahmenprogramm der Münchner Opernfestspiele 2012, zeigt mit "Wagnerin. Ein Haus der Kunstmusik" ein Musiktheater zur Erbfolge der Bayreuther Festspieldynastie. Ein hintersinniges Spektakel über gute und schlechte Zeiten mit den großen Frauen im Hause Wahnfried.

"Gleichwohl geht der Prozess der Emanzipation des Weibes nur unter ekstatischen Zuckungen von sich." Wenige Worte später stirbt Richard Wagner 1883 in Venedig. Cosima, später in Wahnfried die hohe Frau genannt, wird 25 Stunden verzweifelt neben dem verblichenen Meister ausharren. Wahrlich, das Mysterium Frau hat Wagner bis zu seinem Tode nicht losgelassen. Und von denen, die ihm das bis heute danken, in jeder Generation jeweils im reiferen Brünnhildenalter mit Tendenz zu rot-grünem Lidstrich, waren auch einige erschienen, dem Meister zu frommen im Haus der Kunst am grünen Eisbach. Doch ach, es kam anders!

Zur Kasse? Hindurch ging es durch das Haus der Kunstmusik und raus auf die Terrasse, neben einsetzendem Lounge-Gefläze aus dem P1 rechter Hand. Orientierung gab da ein Public Viewing Screen. Da ist man nie verkehrt. Auf rotem, etwas schmalem Läufer, schlicht und ergreifend und schwarz vier Notenstative und eine recht kleine Holzhütte mit Würsteln. Leichte Irritation hier entsprach erstem Gekicher dort.

Das Ensemble der "Wagnerin" (Foto: Wilfried Hösl)

Da, die Projektion! Ein Sprecher mit dem - wie wir heute sagen - topic-affinen Sound eines Staatsschauspiel-Marketing-Substitute und dem schlanken Namen Jens Peter Paul führt ein in die Welt der Eisbachfestspiele, erklärt wie das alles funktioniere in der wahnsinnigen Welt des Theaters. Staun! Da läuft ein Hund vorbei. Im Film. Vorbei an der Front des Hauses zur Kunstmusik, also known as Haus der Kunst. Dann ist der Film zu Ende.

Ok. Nach circa fünf Minuten Pause inklusive zweier vorheriger Rückkopplungen geht der Film wieder von vorne los. Jetzt kommen vier Posaunisten durch eine Flügeltür heraus und intonieren an wichtigeren und unwichtigeren Stellen bedeutungsschwanger etwa viermal dasselbe Thema. Die Saaldienerinnen daneben versteinern zusehens. Erste Empörung kommt auf, rot-grüne und auch silberne und güldene Lidstriche formen sich zu kleinen Krummschwertern. "Wie mein Blick dich verzehrt, erblindest du nicht?... Fürchtest du, Siegfried, fürchtest du nicht das wild wüthende Weib?" (Brünnhilde).

Dann betreten des ersten Raumes. Ein wirklich unfassbarer Welcome-Drink. Man fühlt sich an eine Schulimpfung erinnert, das widerliche Aroma Kinderlähmungs-Zuckerwassers sammelte sich im Munde. Aber es war dann doch ein recht heller Rotwein in Mini-Plastik-Stampern, 4cl. Gut, weiter. Kühle informelle Quader, manchmal gefährlich ineinander geschlagen. Dachschaden Wallhall? Kartonfaltanleitungen, schwarze Holztreppen, wie man sie an Richtstätten heranschieben mag - führen ins Nichts. Bedrückend. Wir passieren einen Durchgang. Unter der Last eines fäkal anmutenden Bauschaumfelsens droht die Decke einzubrechen. Die Sache nimmt an Dichte zu. Immer wieder treten jetzt "Hoi-Ho"-donnernde Hagen und Fafners mit virilem Ausfallschritt in die Passagen herein. Posaunen donnern ranzig. Das Absetzen der Instrumente misslingt stets, es scheppert, etwas fällt um. Doch unaufhaltsam nähert man sich dem Zentrum des Eisbach-Weihespiels. Es gilt der Kunst!

Zetern im Posaunenchor: v.l. C. Williams, G. Jones, R. Jett (Foto: Wilfried Hösl)

Nächster Raum. Wie in einer Art Lade hingestellt, serviert, etwa zwanzig Maiden, weiße Blusen, schwarze Röckchen. Klone von Magda Goebbels-Kindern möglicherweise. Um die nächste Ecke, unnahbar, unberührbar dann die hohe Frau, gebeamt. Dargestellt durch die geadelte Dame Gwyneth Jones, die auch im weiteren die Cosima Wagner spielen wird. Sie spricht den originalen Glückserguss-Text Cosimas zur Geburt Siegfrieds, des Meisters erstem männlichen Statthalter. Das war ein großes Glück, denn damals schien die Erbfolge gerettet. Das martialische Vollweib Winifred, in der Folge wunderbar dargestellt von Renate Jett, würde dem insgesamt nicht so arg gynophilen Fidi im Lauf der Zeit immerhin vier Kinder abringen. (Siegfried Wagner, selbst Opernkomponist mit einigem Erfolg - "Der Bärenhäuter" - leitete die Festspiele von 1908 bis zu seinem Tod 1930.)

Die Stimmung beim sehr gemischten Publikum war zum letzten Akt hin gespannt. Denn es kam jetzt zum theatralen Showdown im letzten Raum mit Bühne und Tribüne. Zentral stand ein kreisrunder Tisch mit einem Modell von Bayreuth samt Festspielhaus. Darum lief die Modelleisenbahn eines optionalen Sponsors. In einem weiteren äußeren Ring um den Tisch lag das Gleis einer Kamerafahrt für "Live vom Hügel" oder so etwas. Nach hinten zur Rückwand eine grüne Hohlkehle. Im ganzen Raum weiß abgedecktes Mobiliar. Niemand durfte sich in einen Sessel setzen, in dem der Klanggott an Parsifal oder Götterdämmerung gearbeitet oder auch nur mit Fidi gespielt hatte. Darüber wachte die hohe Frau bis zu ihrem Tod. Sie hatte Wagner um 47 Jahre überlebt. 47 Jahre der unablässigen Mumifizierung.

In der grünen Hohlkehle spielen Kinder der vierten Wagner-Generation. Freche Nikes und böse Gottfrieds und auch eine feige Friedelind aus der dritten Generation mögen dabei sein, Schwächlinge für Winifred allemal. Totenhaus Wahnfried. Cosima in der Versteifung des Göttlichen mit prunkvollem Steiß und Lauflicht unterm Rock, gelegentlich auch am Speer. Gudrun (Ceri Williams), die selbstaufopfernde langjährige Frau Wolfgang Wagners. Winifred, elegant, despektierlich, arrogant, sexy. Auf Videoeinspielung und in vivo Katherina (Hanna Dóra Sturludòttir), gerade zurück aus Buenos Aires, wo gaanz spaanend der Ring gekürzt wurde. Soweit lebend.

Man streitet, bekämpft sich und den Rest der Welt, kämpft gegen den Zusammenbruch des Familien-Unternehmens. Der Status Quo sei nämlich der, wie bösere Kinder vermelden: die Trompeter seien weg, die Tuben abgehauen, die Geigen unauffindbar und der Markt gäbe keine Wotane mehr her und überhaupt verzeichnen Brünnhilden ein Allzeittief. Sponsoren springen ständig ab, das hält in Bewegung. Märklin, ein Modelleisenbahnhersteller, ist im Gespräch. Das waren noch Zeiten, als Goebbels die Hälfte des Kontingents übernahm! Der Disput der Wagner-Weiber wird raffiniert verblendet mit Wagner- und Liszt-Originalmusiken (Richard Whilds), die mal richtig, mal verzerrt, mal kreativ ruiniert vorgetragen werden von den vier Posaunenmeistern des Vertigo Trombone Quartet. Grandios, wie dazu Mime (Ulrich Reß), Fasolt, Fafner, Hunding und Hagen (Christoph Stephinger und Goran Juric) immer wieder hoch erregt aus dem Off in die Szene platzen, um neue Hiobsbotschaften von der Festspielfront zu vermelden. "Wer schweißt mir die Stücken, Hoi Ho?"

Am Ende überkommt die starken Frauen aber plötzlich ein fatalistischer Gleichmut. Alles ist hin. Winifred würde sich sowieso eher darüber freuen, wenn die Tür aufginge und er hereinkäme, der Führer. Cosima hätte träumend lange die Statue des Meisters in den Armen gehabt. "Mein Schlaf ist Träumen, mein Träumen Sinnen, mein Sinnen Walten und Wissen." Sie entlässt die jungen Wagner der vierten Generation mit der Vernunft der wissenden Erda. Ruhe, du Gott. Und ihr alle.

In die Stille hinein setzen Sven Holm (Regie), Malte Ubenauf und Miron Hagenbeck (Dramaturgie) aber noch einen drauf. Der Krieg ist verloren. Egal, aber er ist vorbei. Vier Posaunen swingen mit Winifred als Satin Doll. Spooky.

Veröffentlicht am: 27.06.2012

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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