Wolfgang Niedecken und Bap auf Tollwood

Dat renk sich en - die Generation Rucksack feiert ihren auferstandenen großen Bruder

von Michael Grill

Wolfang Niedecken. Foto: EMi/Tina Niedecken

Wie war das mit "Bap spielen keine Marathon-Konzerte mehr"? Von wegen: Fast drei Stunden standen die Kölner um den von einem Schlaganfall genesenen Wolfgang Niedecken auf der großen Tollwood-Bühne. Ein großer Abend, der am Ende ein bisschen sentimental wurde.

Das Zelt war ausverkauft, die friedliche Generation Rucksack und Zottelhaar (ersteres legt man auch im Gedränge vor der Bühne nicht ab und letzteres ist inzwischen meist kürzer und grauer) hatte sich vollzählig versammelt. Wolfgang Niedecken ist populär wie seit langem nicht mehr, sein lebensbedrohlicher Schlaganfall vor einem knappen dreiviertel Jahr hat allen Fans und Wegbegleitern drastisch vor Augen geführt, wie schnell man einen verlieren könnte, dem man doch so viel zu verdanken hat: Wer in diesem Land zwischen 40 und 55 ist, kann kaum anders, als mit Wolfgang Niedecken und seinen Texten in die Welt und ins Leben gefunden zu haben. Undenkbar, dass der auf einmal weg sein könnte.

Man eröffnet mit dem Klang von Glocken eines Doms, es kann ja nur der eine sein, was ein bisschen wirkt, als käme jetzt auch das Riff von "Hells Bells". Doch so zynisch will man nicht sein, schon gar nicht bei Bap, und so startet frohgelaunt: "Halv su wild". Niedecken kommt mit Bart und Hut, was ihn phänotypisch endgültig zum Kölschen Dylan macht, Kusshände ins Publikum werfend: "Alles nur halv su wild, Waat aff un du weeß sinn: Wirklich alles halv su wild, dat renk sich en." Das Bap-Publikum klatscht dazu wie eh und je so hartnäckig wie ungenau auf die vermutete Eins, sobald ein Refrain erkannt wird oder die Bassdrum es einfordert. Alles wie immer, auch das ist schön, irgendwie. Dann "Et Levve ess en Autobahn", mit diesen Bob-Seeger-Akkorden, denn es muss ja weitergehen auf dem Highway des Rock'n'Roll.

 

Bap live im Tollwood-Zelt. Foto: Michael Grill (mit freundlicher Genehmigung von Dietmar Hentschel Management Wolfgang Niedecken/BAP)

Bap sind recht sparsam mit ganz alten Heulern an diesem Abend, es ist ja auch kein Greatest-Hits-Programm. Sondern vor allem ist es eine Feier, eine große Zuneigungs-Erklärung für Niedecken, unseren quasi auferstandenen großen Bruder, der dem Tod von der Schippe sprang und sich seitdem im Zugabe-Teil seines Lebens befindet. Die Band rockt angenehm locker, mainstreamig wie immer, aber bei Bap es geht bei aller Freude an der faktischen Virtuosität der aktuellen Besetzung zunächst einmal um Texte. Der Rest ist only Rock'n'Roll. "Nix wie bessher" wird vom Publikum zelebriert wie eine Hymne.

Als schließlich die alte Bekannte "Alexandra" vorbeischaut, ist sie neu interpretiert bis zur Fast-Unkenntlichkeit, und Niedecken seufzt in Richtung Band: "Männer, sie singen unser Lied." Der "Leopardefellhoot" beweist sich als eine Art "Waschsalon" der jüngeren Tage; "Paar Daach fröher" ist, so heißt es, "Ein Lied für meinen Schutzengel". Schließlich verliert Niedecken "doch noch ein paar Worte über diesen Vorfall im letzten November". Es sei ja schließlich nicht normal, dass Leute für einen, also für ihn, beten. Man spiele nun trotzdem nicht das naheliegende "Wenn et bedde sich lohne däät", denn das wäre "eine Kosten-Nutzen-Rechung". Das stattdessen anschließende "Krohn oder Turban" wird zum musikalischen Höhepunkt des Konzert: Vorwärtsdrängender, bluesiger Landstraßenrock. Nicht nur hier wirkt Niedeckens Stimme ganz generell etwas tiefer und kehliger geworden.

Zur Aufführung kommt auch "Kristallnaach", immer noch das wichtigste Lied dieses wichtigen Sängers, es ist allerdings bei weitem nicht mehr der Live-Exzess, der es mal gewesen ist (und soll es das wahrscheinlich auch nicht mehr sein). Fast ebenso beiläufig, wenn auch gegenüber dem Original deutlich beschleunigt, rauscht man durch den teils neu arrangierten größten Bap-Hit "Verdamp lang her". Überraschung lauerte woanders: "Millione Meile", Premiere für ein Rory-Gallagher-Cover.

Hatte man sich bislang von allzu großem Sentiment ferngehalten, ging es bei den letzten Zugaben doch noch mal in die Tränen-Vollen: "Jupp" und "Do kanns zaubra" - Seelenöffner für die Ewigkeit. 26 Feuerzeuge und jede Menge Handys leuchteten. So ändern sich die Zeiten, Niedeckens Texte aber bleiben.

 

Veröffentlicht am: 18.07.2012

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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Ingo
18.07.2012 17:03 Uhr

Die Premiere von Millione Meile war schön paar Daach fröher, sonst sehr schöner Artikel.