Come on, Mr. Tambourine Man! Zwei Münchner bringen Chuck Berry und Bob Dylan zusammen – eine Entdeckung im Coffee Shop

von Michael Grill

"Gibt's eine Tonart?" - "Schlag was vor!": Titus Waldenfels (links) und Robert Richter beim Auftritt. Foto: Michael Grill

Die Kunst, wenn nicht gar die Welt überhaupt, ist am schönsten, wenn sie überrascht. Da ist dann plötzlich U2 im Olympiastadion gar nicht peinlich, ein Vortrag von Richard David Precht überaus interessant, in der Pinakothek hängt ein Beckmann, den man vorher so noch nie gesehen hatte. Oder man steht in einem kleinen Laden in Schwabing herum - und dann packen zwei Männer Gitarren und noch allerlei Instrumentarium mehr aus, setzen sich eine Bühne, die so klein ist, dass sie mitsamt aller Gerätschaften gar nicht draufpassen - und fangen das Spielen an. Dann sieht man und hört man und denkt sich: Ist ja irre. Sind wir hier in New York oder wie oder was?

Nein, wir sind in einem ambitionierten Kultur- und Kaffee-Laden an der Barer Straße, wo seit einiger Zeit ein erstaunliches Kulturprogramm läuft. Ein Highlight ist der Auftritt von Titus Waldfels und Robert Richter. Sie haben sich eine historische Aufgabe vorgenommen: Die musikalische Zusammenführung der Kompositionen von Ur-Rock'n'Roller Chuck Berry und des gefühlten Literaturnobelpreis-Trägers Bob Dylan. Der alte Stenz an der Elektroklampfe mit den Zwei-Ton-Soli und die ewig rätselhafte Knitterfalte des Rock – wie soll das nur zusammengehen! Doch Waldenfels und Richter wollen zeigen, dass Chuck Berry, der Rocker, auch ein genialer Geschichtenerzähler war, und Bob Dylan, der Dichter, ein richtiger Abgeh-Musiker: „Chuck & Bob“, wie wir sie noch nicht kannten. Dass Waldenfels und Richter behaupten, „Dylans Werk wäre ohne Berrys Meisterwerke so nicht entstanden“, ist allerdings schon etwas sehr gewagt.

Die Lesung aus dem Heiligen Buch des Propheten, Seite 522. Foto: Michael Grill

Die beiden Münchner sind exzellente und – wenn es sein muss – auch routinierte Instrumentalisten. Hier gönnen sie aber sich das Spiel, das Wagnis, den großartigen Quatsch: „Gibt’s auch eine Tonart?“ - „Schlag was vor!“ Es folgen „You Can't Catch Me“ von Berry in dylanscher Bluesigkeit. „Love Minus Zero“ von Dylan berryesk verrockt. „Come On“ von Berry in dylanscher Erzählmanier, Dylans „One More Cup Of Coffee“ vorsichtig auf Berrys Härtegrad gebracht.

Im Mittelteil von Berrys „Little Queenie“ wird hinreißend improvisiert, überhaupt geht es mit Banjo, kleinem Standbecken und Strohgeige querbeet durch den bunten Instrumentengarten. Man hofft nur, Waldenfels möge nicht an seiner großen Bluesharp ersticken, wenn er sie mal wieder besonders leidenschaftlich auf dem „Highway 61“ bearbeitet.

Richter (links) und Waldenfels. Foto: ho

Es sind nicht viele Menschen im Laden, aber von denen die da sind, geht keiner. Als Zugabe gibt es eine Lesung „aus dem Heiligen Buch des Propheten“, wie Richter witzelt, also aus Dylans Textbuch, Seite 522, um genau zu sein: „Mr. Tambourine Man“ zur ganz demütigen Pedal Steel Guitar. Man möchte ihnen den Kölner Dom als Resonanzraum wünschen, doch der Coffee Shop tut's auch. Dann ist das Bier leer und Show vorbei. Chuck und Bob erscheinen uns nun als Zwillinge, wenn auch als immer noch ungleiche. Der Weg durch den Schwabinger Schnee ist noch weit. Sonst wären wir glatt sitzen geblieben und hätte noch einmal „Blowin In The Wind“ gesummt.

Im „Fresh Bagels & Muffins Coffee Shop“ an der Barer Straße 72 (Telefon 2712186) an 20. Januar, 17. Februar, 24. März und 21. April (je 20 bis 22 Uhr). Waldenfels und Richter spielen bei freiem Eintritt, eine Gabe in den Spendenhut ist aber willkommen. Programm unter www.bagelshop.de.

Ein neuerer Bericht über ein Projekt von Titus Waldenfalls von 2013 findet sich hier.

Veröffentlicht am: 18.12.2010

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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Titus Waldenfels
20.12.2010 00:58 Uhr

Vielen Dank! Euer Portal gefällt auch insgesamt sehr gut, alles Gute und frohe Weihnachten.

Titus Waldenfels

Hornblower
20.12.2010 22:02 Uhr

Die Frage gibt´s ne Tonart heißt bei den Amis: Hey Man, wa key is in? Mit G-Dur alteriert geht´s meistens ganz gut.