Kultur-Interview mit OB Christian Ude (Folge III)
"Die Münchner Zufriedenheit kann auch in Selbstzufriedenheit umschlagen"
Seine Zeit als Münchner Oberbürgermeister geht allmählich zu Ende - der OB muss 2014 aus Altersgründen ausscheiden. Zuvor tritt er im nächsten Jahr bei der Landtagswahl als SPD-Herausforderer gegen Horst Seehofer (CSU) an. Hier ist der letzte Teil 3 unseres Kultur-Gesprächs mit Christian Ude (SPD), in dem er erklärt, was er von "Kulturkonsum auf hohem Niveau" hält, wie er die moderne Architektur in München zumindest in Teilen verteidigt, warum er mit einer verlorenen Bürger-Abstimmung Freunde zurückgewonnen hat, und wie ihn Jürgen Habermas neulich "regelrecht umgehauen" hat.
Herr Ude, Stadtplanung und Architektur gehören zu ihren Lieblingsthemen. In einem Beitrag zu Ferdinand Strackes jüngst erschienenen Buch über den Münchner Wohnungsbau merken Sie an, wie wohltuend es sei, wenn Münchens Leistungen auf diesem Gebiet endlich einmal übergreifend gewürdigt werden. Und eben nicht nur der architektonische Einzelfall kritisiert wird, wie es die Architekturkritik im Tagesfeuilleton mache. Hat München mehr zu bieten als man gemeinhin glaubt? Wo steht die Architektur der Stadt heute?
Christian Ude: Diese Frage ist unglaublich schwierig, weil ich sie nicht mit einem rein positiven oder rein negativen Urteil beantworten kann. Es gibt furchtbar viel Investoren-Architektur, die ich selbst auch als Meterware empfinde. Da muss ich nur mit der Eisenbahn in München ankommen, um darunter sogar recht massiv zu leiden. (Ude meint hier die Bebauung entlang der Bahnachse von Pasing zum Hauptbahnhof, Anm.d.Red.) Auf der anderen Seite finde ich es ungerecht, wenn man in München nur ganz wenige Bauten gelten lässt. Meistens werden ja immer die selben genannt, also die Herz-Jesu-Kirche von Allmann, Sattler, Wappner, die BMW-Welt von Coop Himmelblau, die Arena von Herzog & de Meuron, der neue Jakobsplatz. Viele behaupten, außer solchen Einzelbauten sei nichts geboten. Das halte ich für ein extrem oberflächliches Urteil, bei dem nur auf das Spektakuläre, auf die Titelseiten von Architekturzeitschriften geschaut wird - nicht aber auf nachhaltige Qualität. Und da, meine ich, hat zum Beispiel der Wohnungsbau in München Vorbildliches zu präsentieren, ob es auf der Nordheide ist oder am Ackermannbogen. Und sogar in Teilen der Messestadt gibt es gute, interessante Architektur mit hoher Wohnqualität, die vor allem vom langjährigen Nutzer und eben nicht nur vom Fotografen der Fassade geschätzt wird. Diese Art von Qualität ist, wie ich meine, in der Architektur genauso wichtig. Ich will aber nicht bestreiten, dass häufig Chancen verspielt werden durch die erwähnte Meterware. Diese empfinde ich ebenso wie viele Kritiker als deprimierend.
Haben Sie Dieter Reiter, der ihr Nachfolger als OB werden soll, ermutigt, sich zu solchen Themen zu äußern? Vor einiger Zeit forderte er, die Strukturkonzepte zwischen Stadt und Land zu überdenken und die Hemmungen beim Hochhausbau abzubauen.
Da sind wir in der Tat absolut auf einer Linie. Ich war ja bekanntermaßen gegen die schematische 100-Meter-Begrenzung bei Hochhäusern, wenn ich auch aus Respekt vor dem Bürgerwillen sage: Wenn es ein Bürgerwunsch ist, dann muss sich die Stadt daran orientieren. Wobei es aber schon damals beim Bürgerentscheid ohnehin nur um den Vertrauensschutz für bereits beschlossene Bauprojekte ging, weitere waren ja nie konkret angestanden. Ich kenne auch nach wie vor keinen Investor und keinen Architekten, der ein Bauwerk mit mehr als 100 Metern Höhe in München vorschlägt. Gegen solche Gebäude gibt es außerdem mittlerweile ganz neue Einwände, die gar nichts mit der Stadtsilhouette zu tun haben, sondern eher mit den Transportkosten innerhalb der Hochhäuser, auch mit dem Energieverbrauch. Wir haben jedenfalls derzeit keinen Nachfragedruck nach Hochhäusern in München. Dass andererseits das Ergebnis einer Volksabstimmung keinen Ewigkeitscharakter hat, habe ich schon am damaligen Wahlabend betont.
Wie ordnen Sie das geplante sogenannte Kreativquartier an der Dachauer Straße ein? Insbesondere, da ja hier erstmals ein solches Gebiet weniger aus der Stadtplanung als vielmehr aus der Kultur heraus entwickelt wird?
Hier geht es auch um die Kombination von Denkmalschutz - bei den dort vorhandenen Hallen - und Neubauten. Sowie um die Ermöglichung von Freiräumen, die sich ansonsten alleine gegen Marktmechanismen nicht durchsetzen könnten. Ich halte dieses Münchner Projekt, auch und gerade nach dem Studium von Kreativzentren, wie sie in anderen Städten der Welt entstehen, für ausgesprochen wichtig. Und ich möchte noch einmal davor warnen, sich auf den statistischen Ergebnissen der eingangs erwähnten Studie (Anm. d. Red.: Siehe Interview Folge 1) auszuruhen. Sie sind zwar beruhigend in Bezug auf die große Vielfalt der Berufsgruppen in unserer Stadt. Aber urbane Atmosphäre hängt letztlich eher weniger von Mitarbeitern von Werbeagenturen oder Software-Beratern ab, sondern von den unmittelbar künstlerisch tätigen Menschen. Die haben es in München einfach schwerer, weil die Immobilien so teuer sind, was wiederum an der Nutzungskonkurrenz liegt. Eine Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit hat auch viel Industriebrache zu bieten - München gar keine.
Als Sie vor knapp zwei Jahrzehnten Oberbürgermeister wurden, war die Lage der Münchner Kultur noch eine ganz andere. Man stritt endlos über die Theaterförderung, das Kabarett war noch richtig laut und politisch, man rang um die eingangs erwähnten Defizite der Infrastruktur. Dagegen wirken die heutigen Münchner Kulturdebatten viel leiser. Dokumentiert das Zufriedenheit oder Langeweile?
Das liegt immer sehr nahe beieinander. Ich glaube schon, dass es mit der heutigen Münchner Infrastruktur eine Zufriedenheit gibt - nach dem Bau der Pinakothek der Moderne und trotz des dort noch fehlenden Erweiterungsbaus, mit Lenbachhaus, Kammerspielen, Stuckvilla, bald auch dem Deutschen Theater. Die Vielfalt des Musikangebots und der Theater wird ebenso wertgeschätzt. Aber diese Zufriedenheit kann in der Tat in Selbstzufriedenheit oder Selbstgenügsamkeit umschlagen, oder auch zur alltäglichen Routine werden, in der es keine wirkliche Aufregung und Anregung mehr gibt. Sondern nur noch Kulturkonsum auf hohem Niveau. Das wäre ein sehr beunruhigender Zustand für München. Das es nicht so kommt, ist aber nicht alleine von der öffentlichen Hand zu schaffen, und nicht alleine von den Kulturangeboten, sondern dazu gehört auch das Publikum. Ein Publikum muss bereit sein, sich zu begeistern oder zu empören. Statt nur zu sagen: "Da muss ich gar nicht mehr hingehen, München ist auch ohne mich Kulturstadt." - Das wäre so ziemlich der schlimmste Zustand.
Eine womöglich persönliche Frage: Seit jeher wurden Sie von Künstlern und Kulturschaffenden unterstützt und Sie selbst fühlten sich diesen offenbar nahe. Seit längerer Zeit aber ist ein Grummeln in der Kulturszene vernehmbar, und es wird gefragt: "Ist das noch unser Ude?" Es heißt, dieser Christian Ude habe früher genauer zugehört, er habe viele Meinungen an sich herangelassen und sich dann erst ein Urteil gebildet. Nun aber würde er nur noch auf wenige hören, sich immer von denselben beraten lassen, er kapsle sich ab. Wie sieht das aus Ihrer Sicht aus?
Es gab durchaus eine Phase, das war so um das Jahr 2004 herum, wo ich mit vielen wohlwollenden Wegbegleitern über Kreuz gekommen bin. Dafür gab es ganz konkrete Anlässe. Dazu gehörte witzigerweise, dass ich für den Bau des neuen Stadions war, was viele FC-Bayern-Verächter nicht goutiert haben. Und dass ich gemeinsam mit der Israelitischen Kultusgemeinde gegen das Projekt Stolpersteine war...
Bei der Frage nach dem Umgang mit der Initiative Stolpersteine, die im öffentlichen Raum Gedenksteine für in der NS-Zeit deportierte Juden verlegt, gärt es ja immer noch...
Gären wäre zu viel gesagt. Aber da gibt es einige Dutzend Menschen, davon sind durchaus einige in meinem Freundeskreis, die eben sagen, wir bestimmen wie Gedenken auszusehen hat, das lassen wir uns nicht durch jüdische Gefühle und Befindlichkeiten vorschreiben. Das ist eine meiner Meinung nach einfach abwegige Vorgehensweise. Es stimmt, dass sich dieser Konflikt auch in meinem Freundeskreis abgespielt hat. In letzter Zeit gab es aus meiner Sicht nur eine weitere solche Krise: Meine Befürwortung einer dritten Startbahn für den Flughafen, die die Stadt München allerdings schon 1972 unter Hans-Jochen Vogel beschlossen hat, und die seitdem in allen SPD-Programmen dringestanden ist. Auch das war bei vielen Künstlern, die sich mehr der Ökologiebewegung und den Grünen verbunden fühlen, ein Thema das Unbehagen geschaffen hat. Das Thema ist nun nach dem Bürgerentscheid erledigt. Ich habe da kurioserweise eine Abstimmung verloren und viele Freunde zurückgefunden. Ansonsten mache ich derzeit bei der Frage, wer zu mir steht oder nicht, eher die gegenteilige Erfahrung: Dass nämlich Menschen, die schon jahrelang auf große Distanz zur SPD gegangen waren, zum Beispiel Konstantin Wecker, sich jetzt wieder aktiv einbringen. Damit habe ich gar nicht gerechnet. Aktuell kann ich nach dem Startbahnentscheid und meinem Auftritt in der Landespolitik eine Abwanderung meiner Freundeskreise überhaupt nicht bestätigen, wohl aber eine enorme Zuwanderung. Dass zum Beispiel die intellektuelle Autorität meiner Jugend schlechthin - Jürgen Habermas -, den ich persönlich nie näher kennengelernt hatte, bereit ist, sich in einer Wählerinitiative für mich zu engagieren, das hat mich regelrecht umgehauen!
Zum Schluss die schönste alle München-Fragen: Wie ist das nun mit Berlin? Ist nach gut zwei Jahrzehnten deutscher Einheit inzwischen klar, dass die Hauptstadt nicht der einzige kulturelle Fixstern im Lande ist, sondern dass andere deutsche Städte und insbesondere München ihre Bedeutung behalten?
Seit dem Fall der Mauer habe ich mich gewundert, mit welcher Hysterie, Angst oder Überheblichkeit dieses Thema in Deutschland diskutiert worden ist. Manche haben befürchtet, jetzt gehen in München die Lichter aus und die letzten Künstler ziehen weg - das hat sich nicht bewahrheitet. Berlin hat nicht diese Sogwirkung bekommen, die den Rest der Republik auszehren würde. Aber es gibt dort natürlich ein fantastisch spannendes Großstadtleben, da knallen zwei Gesellschaftsformen aufeinander, gehen eine spannende Fusion ein - und es entsteht wieder eine Großstadt, eine Weltstadt, die diesen Namen verdient und nicht nur im Munde führt. Berlin ist die Stadt des Parlaments, der Regierung, denen die Publizistik und die gesellschaftlichen Kräfte nachfolgen. So ist ganz klar, dass sich vieles in Berlin abspielt, und zwar nur in Berlin. Und dank der dortigen strukturellen Umbrüche haben sie dort auch noch viele Freiflächen und Leerräume, mit denen sie werben können.
Und München?
München ist nicht zurückgefallen. Ich kann nur nach jedem Gespräch mit Klaus Wowereit sagen: Dessen Probleme möchte ich nicht haben. Und das habe ich schon vor der Berliner Flughafenfrage gesagt. Umgekehrt wäre es ein Blödsinn, jetzt Berlin kaputtzureden. Natürlich tut es sich schwer, Industrien aufzubauen, die wirklich eine Wertschöpfung in der Stadt herbeiführen. Das ist wahr. Und es ist auch wahr, dass manche Künstler schon wieder zurückkommen in die bundesdeutschen Städte, weil es in Berlin zwar billige Ateliers gibt, aber keine Kunstliebhaber mit der erforderlichen Kaufkraft. Trotzdem ist es das Beste, was Deutschland passieren kann: Dass wir eine aufregende, großartige Hauptstadt haben, die aber nicht mit ihrer Anziehungskraft alle anderen Städte unserer föderalen Struktur auszehrt. Sondern mit einer Reihe hochinteressanter Konkurrenten - ob es Hamburg ist oder Frankfurt oder München - in einem Wettbewerb steht.
Folge 1 des Interviews mit OB Christian Ude ist hier, die Folge 2 ist hier.
Eine kritische Betrachtung von Udes Verhältnis zu den Medien finden Sie hier.