Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit über den Märchenkönig
Worauf wir uns 2011 freuen: Auf den Besuch beim Märchenkönig zum Beispiel. Für die im Mai beginnende Landesausstellung über Ludwig II. im Neuen Schloss Herrenchiemsee verspricht das Haus der Bayerischen Geschichte den Blick hinter viele Klischees.
Eines kann man dem Haus der Bayerischen Geschichte kaum vorwerfen: Dass es kein Faible für Marketing habe. Auch 2011 bemüht man sich ums Publikum, ja, man buhlt um seine Gunst. Die Landesausstellung verspricht zum bayerischen Gegenstück des Hollywood-Blockbusters zu werden: Ein Megaereignis, mit einem Mega-Star als Hauptdarsteller, einer richtig guten Location und einem sensationsheischenden Titel. Ludwig II., neben (oder vor?) Papst Benedikt und Franz Beckenbauer weltweit der bekannteste Bayer, soll ab Mai im Versailles-Nachbau von Herrenchiemsee von allen möglichen Seiten zu bestaunen sein.
Der Titel der Ausstellung wird am Chiemsee zusätzlich Welle machen: „Götterdämmerung“. König Ludwig II. war zwar kein Gott, sondern ein Wittelsbacher. Aber er bewunderte Wagner, und von dem gibt es halt nun mal keine Oper mit dem Titel „Königsdämmerung“. Und Ludwig nahm ein unglückliches Ende, ähnlich wie die alten Germanen-Götter, als es einigen Ministern dämmerte, dass Ludwig zu viel Geld ausgab.
Die Ausstellungsmacher, so viel war bei der Vorstellung zu erfahren, konzipieren die Schau wie den Besuch im Theater. Das Leben des showbegeisterten Königs als Drama. Dabei kommt ihnen der Geldmangel des baufreudigen Bayern-Königs posthum entgegen. Einige Räume in Schloss Herrenchiemsee wurden nie fertiggestellt. Und durch das Rohbautreppenhaus betritt und verlässt der Besucher die Ausstellung. Den Anblick der nackten Ziegelwände kann man als Blick hinter die Kulissen der ludovizianischen Prachtentfaltung sehen, als Blick auch auf die Kehrseite bayerischer Klischees. Denn gerade zu Zeiten des Märchenkönigs wurde das Königreich als Heimat unverbildeter Bergbewohner und idyllischer Natur für den Tourismus entdeckt. Auf der anderen Seite schlug in München, Nürnberg und Augsburg die Industrie den stählernen Takt einer neuen Zeit. Der Gegensatz zwischen schmucklosem Mauerwerk und königlicher Pracht soll auch die gegensätzlichen Pole in Bayern wie im Leben des Monarchen verdeutlichen.
„Ludwig II. ist eine unzerstörbare Ikone der Moderne“, sagte Richard Loibl, Leiter des Hauses der Bayerischen Geschichte. „Hinter dieses Klischee möchten wir blicken.“ Man darf gespannt sein: Ludwig hatte ein Herz für Technik und Erfindungen, während er sich als früher Ökobewusster für den Schutz stiller Alpentäler einsetzte. Aber eben dieser moderne Zug bei Ludwig ist weithin unbekannt und in der Wahrnehmung des unglücklichen Märchenkönigs überhaupt nicht präsent. Als "Ikone der Moderne" wird man ihn auch in Herrenchiemsee kaum enttarnen können.
Eines hat das kommende Projekt der Ausstellung des Jahres 2010 auf jeden Fall voraus: Sie findet an einem Ort statt und nicht überflüssigerweise an drei Schauplätzen in zwei Städten. Nach Augsburg und nach Füssen musste man damals reisen, eine seltsame und unkommode Konstruktion, die man zu guten Teilen wohl auch dem Eifer eines gewissen Paul Wengert zuzuschreiben hat: Der war zunächst Rathauschef in Füssen gewesen, bevor er von 2002 bis 2008 als OB von Augsburg amtete.
Diesmal also Herrenchiemsee, eines der vielen Neverlands, die sich Ludwig II. lange vor Michael Jackson vor einer immer bedrohlicheren Umwelt zurückzog. Während Jacksons Traumranch für Besucher gesperrt ist, wird das Ludwigs-Schloss zur sturmfreien Nobelbude, sogar in Teilen, die bisher gar nicht öffentlich zugänglich waren: In den hohen dreistelligen Besucherbereich möchten die Ausstellungsmacher mit ihrem Popstar des 19. Jahrhunderts vorstoßen.
Auf Massen von neuschwansteinbegeisterten Japanern und Amerikanern darf gewettet werden. Hoffen wir, dass den vielen Tausenden Ludwig-Fans ordentlich Substanz geboten wird. Mehr jedenfalls als bei der in weiten Teilen beliebigen „Bayern-Italien“-Ausstellung von 2010. Eines wird sie nicht leisten können, das haben die Organisatoren schon gestanden: Auch nach seinem Besuch in Herrenchiemsee wird ein Ludwig-Fan nicht sicher wissen, wie denn der Kini ums Leben gekommen ist.