"Anatomy of Dirt" mit "48 nord" im Ampere
Bürgerhausabend der tödlichen Art
„48 nord“, das ist Ulrich Müller (Gitarren, Elektronik) und Siegfried Rössert (Bass, Elektronik). Mit Patrick Schimansky (Schlagzeug, Rezitation, Elektronik) wird daraus „cape and eternity“, respektive „48 nord/cape and eternity“. Bei „Anatomy of Dirt“, der musikalischen Begegnung mit Christian Enzensbergers Text „Größerer Versuch über den Schmutz“ im Ampere war noch Gerty Beracz (Gitarre, Gesang) dabei. Hierbei blieb der Bandname gleich, der Ex-Schröder-Roadshow-Musiker war gewissermaßen ins Branding inkorporiert worden, falls das Marketing-exegetisch so richtig gesehen ist.
Laut Spielart-Festival-Flyer erforscht „48 nord“ den Grenzverlauf zwischen Komposition und Improvisation. Komprovisation, dann wieder Imposotion, verlaufend, könnte man vielleicht sagen. Die Versuchsanordnung, will sagen, die multistilistische Ausrüstung des Labors „48 nord“ beschreibt sich als „Noise Avantgarde“, „Experimental Post Jazz“ und „Neo Rock“, wobei Anleihen im „Nu Rock“, Seattle und angrenzender Departements der Jahre 1994-96 durchaus zu rechtfertigen sind, wie wir meinen.
Puhh. Durchatmen, leicht stretchen und alles auf Shanti, Shanti: Tolle Musiker, noch großartigerer Text, aber das könnte schwierig werden. Und gleich gesagt: Das wurde es auch. Man denke an Bürgerhausabende der tödlichen Art, à la `Schlage die Trommel und fürchte dich nicht´, Heine meets Jazz. Haufenbildung von Hochwertigkeit. Kunstproliferation. Nicht umsonst haben sich die Librettisten vergangener Opernzeiten in künstlerischer Emphase zurückgehalten. Wohin dichterischer Sendungsdruck führen konnte, das haben wir bei Richard Wagner heute noch nicht verdaut.
Der Text von Christian Enzensberger ist ein kühl berechnender Hochkaräter, unprätentiös, kristallin. In einem fantastischen Wort-Verwaltungsvorgang beschreitet der jüngere Bruder von Hans Magnus logisch glasklar und zwingend Wege in eine Welt der absoluten Einsamkeit. Das Ungewöhnlichste erglänzt darin still, unaufdringlich und unbeugsam. Wie kann man da auf die Idee kommen, diese Texte in ein Prokrustes-Bett der Rockmusik zu zwingen?
Mit allen Merkmalen von gefühliger bis pathetischer Deutschrock-Pose tremoliert der Schröder-Roadshow-Mann Gerty Beracz wie ein Westernhagen mit Peyote-Kaugummi. Patrick Schimansky spielt durchgängig ein ohne Zweifel explosives und gekonntes, aber immerhin lupenreines Rock-Schlagzeug. Siegfried Rösserts Bass tendiert zum Eruptiven mit Freegestus, bleibt aber auch streng in der Form von Rock und Rock-Jazz. Allein Ulrich Müllers Gitarre erzeugt verhangene, strähnige, verwaschene Klänge, die wesentlich textaffiner wirken, aber mehr oder weniger nur als Fill Ins eingesetzt werden. Vor allem wenn das Rock-Brett heruntergefahren wird. Dann rezitiert Patrick Schimansky ganz hervorragend und für Momente öffnet sich der Raum für den Dichter. Aber die Ausflüge in die wunderbare Welt des Christian Enzenberger enden stets mit einem aufbrechenden Wirbel über die Tom-Tom-Batterie. „Anatomy of Dirt“. Eine eigene Arbeit ist da schon entstanden, ganz sicher. Nur, was hat die mit Christian Enzensberger zu tun?