Igor Zelensky wird Ballettchef in München
Frischer Wind in klassischer Gestalt
Das Bayerische Staatsballett bekommt einen neuen Direktor: Ab September 2016 leitet Igor Zelensky aus St. Petersburg die Geschicke der Kompagnie. Wie selbständig er in Zukunft zu Werke gehen darf, weiß aber niemand.
"Eine der besten Kompanien Deutschlands und eine der besten Europas", nennt Intendant Nikolaus Bachler das Bayerische Staatsballett, als er mit Kultusminister Ludwig Spaenle im Rahmen einer Pressekonferenz den neuen Ballettchef Igor Zelensky vorstellt. Damit tut er der Truppe unrecht - sie befindet sich seit einigen Jahren unter den führenden Kompanien der Welt. Ihre Mitglieder ernten laufend internationale Preise, sie ist geschätzt und geachtet für ihr vielseitiges Repertoire. Der Aufstieg in die Weltklasse ist Konstanze Vernon zu verdanken, aber auch Ivan Liska, der seit 1998 mit Wolfgang Oberender und Bettina-Wagner-Bergelt hartnäckig die künstlerische Selbständigkeit der Truppe behauptet.
Seit dem Antritt von Nikolaus Bachler gibt es Querelen. Der Intendant interessiere sich grundsätzlich nicht für Ballett, heißt es in den Probensälen, die Folge davon seien diverse Kürzungen, wie etwa beimBeleuchtungspersonal für auswärtige Gastspiele (in Ingolstadt) oder bei der Heizung im Probensaal. Jetzt ist es so weit, Liska wird durch einen anderen ersetzt.
"Ein Theater braucht immer wieder Erneuerung", begründet Bachler, "und das erfolgt nun mal Perioden. Die Münchner Amtsperioden sind sowieso sehr lang. Jetzt müssen wir eine erfolgreiche Periode abschließen und eine neue beginnen. Man wird ja so einer künstlerischen Position auch selbst müde." Für Liska trifft letzteres jedenfalls nicht zu. "Er wurde gegangen", stellen seine Mitarbeiter klar.
Zelensky in George Balanchines "Apollo". Er gastierte damit 2004 in der Terpsichore-Gala des Staatsballetts. Foto: W. Hösl
Nun kommt also, nach Kirill Petrenko als Generalmusikdirektor, ein weiterer Russe. Igor Zelensky, ausgebildet und großgeworden am Sankt Petersburger Mariinsky-Theater, ist ohne Zweifel ein absoluter Könner seines Fachs. Als langjähriger erster Solist des Kirov-Balletts tanzte er alle Rollen des klassischen Repertoires. Zudem ist er ein erfahrener Balanchine-Tänzer, mehr als 25 Stücke hat er einstudiert. Das können außerhalb der USA nicht viele von sich behaupten. Als Gastsolist kennt er alle großen Opernhäuser, und auch als Ballettdirektor hat er Erfahrung: Von 2001 bis 2006 studierte er als Assistant Director an der Athener Oper Schwanensee, Dornröschen, Raymonda, Don Quichote, Raymonda und La Bayadere ein, danach wurde er - neben seinen Engagements als Tänzer - Ballettchef in Novosibirsk. 2011 übernahm er zusätzlich an zwei Moskauer Theatern die Ballettdirektion.
Frischer Wind ist grundsätzlich nicht schlecht. Vielleicht gelingt es Zelensky ja, in München wieder einmal "Giselle" auf die Bühne zu bringen. Die Aufführung des Klassikers, der durchaus Münchner Tradition hat, scheiterte bisher angeblich am Mangel an geeigneten Ballerinen. Oder "Coppelia". Das verstaubte Märchen nach einer Gruselgeschichte von E.T.A. Hoffmann harrt schon lange einer überzeugenden, weltweit gültigen Neufassung. Immerhin weiß Zelensky, welchen Ferrari er da 2016 in die Hand bekommt. "Mein Ziel ist es, das Bayerische Staatsballett weiter auf dem guten internationalen Niveau zu halten, das es jetzt hat", sagt er.
Was die Moderne betrifft, ist von ihm dagegen nicht viel zu erwarten. Auf die Frage, wie sein Verhältnis zur Avantgarde ist, sagt er, diese stehe für ihn gleichberechtigt neben der Klassik, er schätze "Pina Bausch ebenso sehr wie Petipa." Nur, Pina Bauschs Blütezeit waren die 70er. William Forsythe, Mats Ek, Sasha Waltz oder Russell Maliphant wären bessere Beispiele fürs Zeitgenössische gewesen. Dass er als Balanchine-Tänzer schlicht und einfach ein Verfechter der Neoklassik ist, wagt er nicht zu sagen. Was die liebsten Rollen waren, die er im Leben getanzt hat? "Sie sind alle meine Babys." Seine Lieblingschoreografen? "Einfach alle." Am Bezeichnendsten ist, was er zum Abschluss sagt: "Ich muss sehr vorsichtig sein mit dem, was ich für das Bayerische Staatsballett plane."
Zwei Jahre hat Zelensky noch Zeit, sich eine Basis zu schaffen, auf der er künftig eigenständig Spielpläne gestalten kann. Würde Nikolaus Bachler ab jetzt aus falsch verstandener künstlerischer Verantwortung Vorschriften machen, wäre das fatal. Einen Ferrari sollte der fahren, der nie etwas anderes gemacht hat. Sonst endet der Traum im Straßengraben.