Anna Netrebko und Christian Thielemann beim Silvesterkonzert mit der "Csárdásfürstin"
Patriotische Fürstin rettet in Dresden das Operettenland
Der einmalige Ausrutscher einer weltberühmten Opern-Primadonna? Yvonne Kálmán, die Tochter des Komponisten hatte lange darauf hingearbeitet: Wer anders als Anna Netrebko wäre dazu geeignet, der „Csárdásfürstin“ zu neuem Glamour zu verhelfen? Emmerich Kálmáns einst vielgeliebte Operette kann zwar immer noch mit manch vergnüglichen Augenblicken punkten. Aber sie ist längst nicht mehr „up to date“, die Handlung dürftig, die Musik von gestern. Im vorgezogenen Silvesterkonzert der Staatskapelle Dresden war es nun endlich soweit. Anna Netrebko wagte sich mutig auf ungewohntes Terrain - und siegte glanzvoll, auch wenn sie manchmal nicht so recht im Bilde schien. Stimme, Allüre, Ausstrahlung: Alles passte. Eine Diva hielt Hof. Die übrigen hatten zu gehorchen, Dirigent Christian Thielemann, das Orchester, vor allem aber der ebenfalls mächtig bejubelte Tenor Juan Diego Flórez.
Wer sich den Wetterkapriolen zum Trotz nach Dresden begeben hatte, um in der Semperoper live dabei zu sein, musste kurz vor Beginn zuerst einmal einen Verantwortlichen des ZDF erdulden. Weil das Spektakel übertragen werden sollte, wollten die Mainzer noch schnell den Applaus proben: Mainstream, bitteschön, für alle, aber für Anna Netrebko nur Ekstase! Zum Glück ließ sich das Publikum auch durch den Tadel, dass offenbar in Dresden weit weniger enthusiastisch gejubelt würde als etwa in Berlin, nicht beeindrucken.
Später, im Hotel, gab die zeitversetzte ZDF-Übertragung genug Anlass, sich zu ärgern - über sinnwidrige Kamerafahrten, eine effektgeile, ganz auf den russischen Super-Gast abgestellte Regie, über das offenkundige Misstrauen dem Medium Operette gegenüber und darüber, dass die entspannte, vollkommen unspektakuläre, heitere Live-Atmosphäre immer wieder durch mutwillige optische Mätzchen zerstört wurde.
Anna Netrebko? Vergessen schien die eine Million Rubel, die sie der Oper der umkämpften ostukrainischen Stadt Donezk gespendet hat, vergessen das gemeinsame Foto mit der Fahne „Neurusslands“ und dem prorussischen Separatistenführer Oleg Zarjow. Niemand in Dresden wollte sich erinnern. Das russische Fernseh-Team im Opernfoyer wirkte ebenso verloren wie Juan Diego Flórez, der in einer Operette mitwirken durfte, die es ohne einen echten Tenor-Schlager in die Hitparade geschafft hat. Sein Auftrittslied „Heut´ Nacht hab´ ich geträumt von dir“ stammt bekanntlich aus einer anderen Operette Kálmáns, dem „Veilchen vom Montmartre“. Der Peruaner, mit Herzblut begleitet von Christian Thielemann, sang es hinreißend, ohne groß aufzudrehen.
Auf Dialoge wurde verzichtet. Die Aneinanderreihung der Musiknummern mögen einzelne Fans auf Dauer ein wenig eintönig empfunden haben. Aber letztlich überzeugte die Qualität des Dargebotenen. Auch Yvonne Kálmán, ebenfalls angereist und stürmisch gefeiert, wird einem derartigen Luxus, wenn es um die Werke ihres Vaters geht, nur selten begegnen. Netrebko und Flórez, dazu der lässige Buffo-Schmäh von Pavol Breslik, das samtene Bariton–Timbre des Dresdner Eigengewächses Sebastian Wartig, der bayerische Soubretten-Charme von Christina Landshamer und die engagierte Souveränität des diesmal auch für die leiseren, sensibleren Momente offenen Christian Thielemann – all dies adelte Kálmáns „Csárdásfürstin“ auf unnachahmliche Weise, nachzuhören hoffentlich alsbald auf einer CD. Die DVD dazu kann man sich sparen.