Die Pinakothek der Moderne präsentiert "Königsklasse" auf Herrenchiemsee
Für die Meerjungfrau - auf ins bayerische Meer!
Arnulf Rainer, Gelehntes Kreuz im Herbst (1989/90), Öl auf Holz. Foto: Robert Zahornicky, Copyright: Arnulf Rainer
Schon erstaunlich, wie schnell sich eine Sache etabliert und ein Gefühl von Selbstverständlichkeit vermittelt. Allerdings muss sie dann auch passen, so, wie die „Königsklasse“ auf Herrenchiemsee. Oder konkret: die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts im bayerischen Klein-Versailles Ludwigs II. Was 2013, als die Pinakothek der Moderne aufgrund von Rissen in der Rotunde saniert werden musste, als Versuch angedacht worden war, geht nun bereits ins dritte Jahr. Und hört man Josef Austermayer, den heutigen „Schlossherrn", in seiner kaum mehr zu steigernden Begeisterung erzählen, dann sollte das gemeinsame Projekt möglichst noch lange dauern.
Der ausgesprochen leutselige Vertreter der Bayerischen Schlösserverwaltung kennt jede polierte Türklinke und jede wettergepeinigte Fliese, die vor dem Sommer noch unbedingt aufgehellt werden muss. Und er weiß natürlich, wie wichtig der hochkarätige Besuch für die alten Mauern ist, die seit Jahrzehnten von nicht unbedingt auf „modernes Zeugs“ erpichten Touristen durchwandelt werden. Doch die meisten reagieren positiv. „Viele würden nie in eine solche Ausstellung gehen, und sind dann ganz erstaunt, wie interessant moderne Kunst sein kann“, resümiert Austermayer. In diesem Fall Arnulf Rainer und Georg Baselitz, Lichtmagier Dan Flavin oder John Chamberlain mit seinen zerknautschten Autoblechtrümmern. Inzwischen kämen aber auch Besucher, die mit der Herreninsel sonst nix am Hut hätten. Klassische Ausstellungsgänger aus München und sonstwo her.
Trotzdem ist die überwiegende Mehrheit zum ersten und vielleicht auch einzigen Mal da. Nicht nur deshalb stellt sich für Kuratorin Corinna Thierolf die Grundsatzfrage, ob man jedes Jahr eine neue Schau präsentiert oder doch auf Kontinuität setzt und lediglich Vereinzeltes austauscht. Sie entschied sich für Letzteres, was Besucher vom Vorjahr keineswegs davon abhalten muss, auch diesen Sommer vorbei zu kommen.
Schon, weil Andy Warhols Dragqueens hier langsam zu Hause sind und sowieso jedes Mal anders in die Runde blinzeln. Weil Arnulf Rainers Kreuzreigen in der Pinakothek der Moderne nicht annähernd so intensiv wirken kann wie vor dem groben unverputzten Backstein im unvollendeten Schlossflügel. Weil sich mit Flavins blau-roter Leuchtschranke ein hinreißender Dialog zwischen Tages- und Kunstlicht ergibt – ein uraltes Thema, das besonders die Impressionisten umtrieb. Und weil Wolfgang Laib, der eben noch die letzten hellgelben Kiefernpollen durch ein allerfeinstes Sieb auf den Boden geklöpfelt hat, hier einen fast schon mystischen Ort für seinen betörenden Naturteppich fand und die Augen erneut ins Delirium schickt.
John Chamberlain, Bayerische Staatsgemäldesammlungen. Foto: Nicole Wilhelms, Copyright: VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Doch es gibt tatsächlich auch Neues: Mit Gerhard Richters „Brigid Polk“ wird ein spannendes Kapitel deutsch-amerikanische Kunstgeschichte aufgemacht und zugleich schönste Münchner Galerievergangenheit erzählt. Wie die kleine Meerjungfrau im Hafen von Kopenhagen sitzt sie da, mit dem Unterschied, dass Miss Berlin, so der eigentliche Name der nackten Lady, etwas fülliger geraten ist – ein Dauerdrama der Upperclass-Tochter. Als schrille Muse von Andy Warhol (und Drogenlieferantin der Factory-Crew) machte sie von sich reden. Alles, was ihr in die Quere kam, wurde fotografiert, mitgeschnitten… Das fand Galerist Heiner Friedrich, der Mann, der den Minimalismus, die Land Art, Beuys, Flavin und viele mehr nach München brachte, in den späten 1960ern eine Ausstellung wert.
So kam die Polk nach München, und weil ihr vermutlich in ihrem Schwabinger Gastdomizil gerade nichts Besseres einfiel, schoss sie Polaroid-Selfies von sich. Nackt wie eine Venus. Und Gerhard Richter? Malte seit etwa 1963 fotografische Vorlagen ab – Brigids Polaroids kamen ihm Anfang der 1970er Jahre gerade Recht, und es entstand eine Folge von sechs Arbeiten.
Drei davon sind nun auf Herrenchiemsee zum ersten Mal wieder zusammen ausgestellt, zwei Leihgaben und – das Zentrum dieses Triptychons – eine großzügige Schenkung an die Staatsgemäldesammlungen. Gerade vor dieser Trias kann man nun wunderbar über das Thema Malerei, ihre Aktualität oder Selfies sinnieren. Allein für Richter oder Polk lohnt sich also der Weg auf die Insel. Und vielleicht lassen sich die Spiegelungen auf dem schützenden Glas noch ein bisschen reduzieren. Richter hat die Meerjungfrau eh schon in seiner typischen Unschärfe gemalt, aber etwas mehr möchte man von dieser üppigen Meerjungfrau schon sehen.
„Königsklasse III“, bis 28. September 2015, täglich von 9 bis 18 Uhr, Eintritt 5, mit Schlossführung 10 Euro. Anfahrt: mit dem Schiff von Prien/Stock aus alle 30 Minuten.