Das war das Klangfest 2015 im Gasteig
Voll wie nie
Das sechste Klangfest im Gasteig brach, zumindest was den Ansturm des Publikums anging, alle bisherigen Rekorde. Vorsichtig geschätzt deutlich über 10.000 Musikfreunde, hauptsächlich aus der Generation Silver Ager, schoben sich geduldig ineinander und voreinander her. Irgendwann waren die Schlangen hinsichtlich ihres Ziels nicht mehr zu unterscheiden, man stand sozusagen pauschal für die Konzerte in Black Box, Kleiner Konzertsaal und Carl-Orff-Saal an. Ein gelegentlicher Abstecher ins Überflutungsbecken Open-air-Bühne brachte mit klassisch kühlen Pfingstwetter etwas Erfrischung. 32 Konzerte.
Zusätzlich präsentierten sich 16 mittelständische Musikverlage im Foyer und für die weiße Medien-Lounge-Couch war auch noch Platz. Ein voller Erfolg für den Verband unabhängiger Musikunternehmen, VUT-Süd.
Kurz nach Beginn war der kleine Konzertsaal bei Frieder Graef bereits komplett voll. Der versuchte sich in einer sparsamen Anmoderation: „Gut durch den Stau gekommen? Ich bin Frieder Graef aus Nürnberg.“ Zu mehr Marketing hatte „Sänger, Gitarrist und Songsucher“ mit dem „Flair von Laurel Canyon“ keine Lust. „Back in Town“, so auch der Titel seiner ersten Solo-CD, vermittelt die spröde Poesie von einem, der vom Country kommt. Dieser Songsucher ist ein Einzelgänger, ob aus dem Laurel Canyon oder vom Blue Grass der Appalachen oder aus Nürnberg. Unprätentiös, eigen und mit einer im Hintergrund schimmernden Punkattitüde. Echt - gut.
Schnell raus zur Open-air-Bühne, noch regnet es nicht und man kommt auf der Überholspur noch gut voran. Vorbei an Familienvätern, die wahrscheinlich vom Sternschnuppe-Kindermusical von Werner Meier und Margit Sarholz kommen: „Du willst nur dein Ding durchziehen“, faucht ein gestresstes Väterlein sein dreijähriges Kind an.
Draußen spielt aber schon die Gewinner-Band des Kulturvollzug-Votings, Prem-Osthold Projekt. Paul Prem (E-Gitarre), Sebastian Osthold (Keyboards), Christian Klos (E-Bass) und Max Bucher (Schlagzeug) behaupten, die „Pfefferminz-Akkorde“ erfunden zu haben. Äußerst erfrischend zergehen hier feine Ingredienzen von Herbie Hancock bis zu Panzerballett zu Eigenkompositionen einer eleganten Jazz-Rock-Fusion. „West Coasting“, wo auch schon mal John Scofield Pat Metheny über die Schultern schaut: Klasse, wie Paul Prem die Leitung zum Akkordwechsel bis zum letzten Moment versteckt und so dem Ganzen eine wirkliche Frische verleiht.
Back to the Blues: Reverend Rusty, E-Gitarre, Mr. C.P. am E-Bass und Al Wood am Schlagzeug präsentieren Titel ihrer neuen CD “Struggle” in der Black Box. „Born For the Blues“, eine Hommage an Muddy Waters, klingt nicht unbedingt südstaatlich. Wie überhaupt einiges am Stil des Reverend an Rory Gallagher erinnert. Aber mit dem hat Muddy Waters ja auch in den „London Sessions“ zusammengespielt.
`Ois is Blues´ schießt einem durch den Kopf, als man sich Lucky Zapatta und Da Boanad nähert. Schon die Ansagen des Frontmanns mit roten Haferlschuhen und Ordens-Lametta auf neubayerischem Gehrock kommen im Stile eines Endzeit-Brüllwürfels Marke Rammstein rüber. Voll im bayerisch-indianischen Revolutionsauftrag, Namensinspirator war der mexikanische Rebell Emiliano Zapata, widmet man sich kämpferisch etwa der Reinheit des Tegernsees. Oder Matthias Kneissl: „Misericordia, is des wirklich wah, is der Dod schon nah.“ Der äußerst druckvolle Sound wechselt zwischen Blues und düsterem Schwermetall. Extrem schillernd und kultverdächtig. Bayerisch-Hyperboloid-Kulti – fehlt nur noch ein Hauch Mooshammer. (Am 18. Juli 2015 auch zu bewundern beim Straßenfest in der Kreittmayrstraße/Erzgießereistraße, vor dem Baal.)
Während in der Black Box Adam und Ian aus dem irischen Limerick und ihre deutschen Freunde Max und Chris als Birdwatcher mit Gitarren-Pop zum Mitsingen hinreißen und später das Publikum von Foxos (Hamburg/Hannover) mit Alternative Elektropop und düsteren Wurzeln in Depeche Mode und Muse wolkig melancholisch entrückt wird, ereignet sich noch eine wahre Jazzplosion im Carl-Orff-Saal.
Jan Prax (Alt-, Sopransaxophon), Martin Sörös (Klavier), Tilmann Oberbeck (Bass) und Michael Mischl (Schlagzeug), durchschnittlich 25 Jahre alt, haben fünfzig Jahre Jazzmoderne unter den Fingern. Wie nichts – oder als wäre es eben gestern gewesen: Jene Zeit, die für viele auch heute noch für die Moderne schlechthin gilt. Mit ihrer Debut-CD „Keepin a Style alive“ beweisen sie, dass Moderne sich nicht in Vergangenheit verwandelt. Jan Prax attackiert das Alt- wie ein Tenorsaxophon. Titel wie „Trains Ride“ sagen da schon alles. In rasenden Skalen werden Resonanzen „herausgeschüttelt“, Multiphonics, Verschmutzungen, die Symptome der solistischen Erregung. Dass das beim kürzeren Rohr des Altsaxophons schwieriger als bei seinem tieferen Bruder, steht zu vermuten. Höhepunkt, das gegenseitige Aufpeitschen von Schlagzeuger und Saxophonist. Ein Moment in: Interstellar Space.