Zur Feier von Richard Grimm

Wie aus einer verrückten Idee das Jüdische Museum entstand

von Michael Grill

Die Festgesellschaft im Jüdischen Museum. Foto: Michael Grill

Jetzt, wo es schon seit Jahren wie selbstverständlich am St.-Jakobs-Platz steht, ist es eine Geschichte aus grauer werdender Vergangenheit. Dabei war es ein buntes, aber nicht immer fröhliches Abenteuer, wie einst aus einer kleinen Privatinitiative das Jüdische Museum München entstand. Der Mann, der den Anstoß gab, wurde 2015 70 Jahre alt. Deshalb möchten wir ihn auch hier würdigen, bevor das neue Jahr kommt und auch diese Vergangenheit wieder ein Stück grauer wird. (gr.)

 

Im Foyer des Hauses, das es ohne ihn wohl so nicht gäbe, feierte man einen Abend lang den Jubilar; eingeladen hatten das Jüdische Museum und das Stadtarchiv. Richard Grimm war sichtlich gerührt: "Mir ist ganz schwindlig. Das habe ich in meinem Leben nicht mehr erwartet", sagte er. Und gab, nach Ansprachen unter anderem von Kulturreferent Hans-Georg Küppers, Kostproben seiner speziellen ironischen Art: "Heute wird eine Legende zerstört. Es hieß doch immer, ich hätte das alles ganz alleine gemacht mit der Gründung des Jüdischen Museums. Und jetzt stehe ich hier vor 60 bis 70 Leuten, die alle irgendwie mitgemacht haben."

Wie dem auch sei, Richard Grimm hat den Dank seiner Heimatstadt verdient. Der Kulturvollzug schließt sich an mit einem Porträt, das KV-Autor Michael Grill noch deutlich vor, aber schon mit Blick auf die Eröffnung des heutigen Hauses am St.-Jakobs-Platz geschrieben hat, und das am 21.1.2006 erstmals auf der damaligen Seite 3 der Abendzeitung erschienen ist:

Am Anfang stand ein Unbehagen

"Für viele war ich immer der Jude", sagt Richard Grimm lächelnd. Das erscheint auch logisch: Er ist der Mann, der München ein Jüdisches Museum bescherte, als vom St.-Jakobs-Platz, auf dem im Herbst dieses Jahres endlich das große Jüdische Zentrum eröffnet werden soll, noch lange keine Rede war. Oder soll man besser sagen: Grimm ist der Mann, der es der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung" aufnötigte? Dabei ist Grimm gar kein Jude, sondern ein aus der katholischen Kirche ausgetretener Freigeist. Erst jetzt, nach vielen Jahren des Kampfes für die jüdische Sache, betreibt er seinen Übertritt zur jüdischen Religion. "Aber das", sagt er, "ist eine ganz intime Sache", über die er nicht öffentlich diskutieren möchte.

Was treibt so einen an?

Am Anfang in den 80er Jahren stand das nicht nur von Grimm verspürte Unbehagen, dass es selbst Jahrzehnte nach der Nazi-Herrschaft in München keinen festen Platz zur Dokumentation jüdischer Kultur gab. Das Manko war der Stadt sehr wohl bewusst - aber es zu beseitigen, das schaffte sie nicht.

Dann kam Grimm mit einer irrwitzigen Idee. Jahrelang kämpfte er mit einer Mischung aus Sturheit, Naivität und Einfallsreichtum. Aus seiner Idee wurde erst ein Provisorium, dann ein Dauerprovisorium, dann ein Interimsmuseum. Am Montag beginnt die letzte Runde in diesem scheinbar ewigen Kreislauf des Unvollkommenen: Im derzeit noch bestehenden Jüdischen Interimsmuseum in der Reichenbachstrasse 27 wird die bis Ende April zu sehende Abschlussausstellung eröffnet. Es werden die letzten drei Monate einer dann 17 Jahre dauernden Geschichte sein, bevor Platz gemacht wird für die endgültige Lösung: das Jüdische Museum im künftigen Zentrum in der Altstadt.

Der heute 60 Jahre alte Kunsthändler Grimm steht quasi symbolhaft für das Münchner Ringen um ein Jüdisches Museum. Kaum einem anderen Privatmann hat die Stadt dabei so viel zu verdanken. Auch wenn die Offiziellen in Stadtrat und Verwaltung - und wahrscheinlich auch der eine oder andere von der Israelitischen Kultusgemeinde - nicht selten genervt waren, wenn sie Grimm mal wieder in Zugzwang gebracht hatte. Etwa als das ganze Museums-Provisorium vor gut sieben Jahren organisatorisch und finanziell zusammenbrach - und die Stadt größte Mühe hatte, eine internationale Blamage zu vermeiden. Doch die ganze Geschichte der Reihe nach.

"Heute wird eine Legende zerstört", sagt Richard Grimm mit einem Augenzwinkern. Foto: Astrid Eckert

Der gebürtige Schwabinger Richard Grimm wollte eigentlich Kriminalinspektor werden. Doch dann lernte er in den 60er Jahren Hans Lamm kennen, den späteren Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde. Lamm holte Grimm zu sich als Sekretär an der Volkshochschule und weckte sein Interesse für Völkerkunde, Jugendarbeit - und das Judentum. 1966 gründete Grimm zusammen mit dem heutigen OB Christian Ude den illustren Deutsch-Israelischen Kulturkreis, dem unter anderem Erich Kästner und Alfons Goppel angehörten. 1969 richtete sich Grimm in Schwabing eine Galerie für Kunsthandel ein, mit der er 1973 in die Maximilianstrasse 36 zog: "Als Galerist konnte ich unterwegs sein, andere Kulturen kennen lernen. Per Anhalter zum Himalaya - solche Sachen faszinierten mich." Immer stärker beschäftigte er sich mit jüdischer Kultur und Geschichte.

Und er wunderte sich, dass es in München kein Jüdisches Museum gab, obwohl die Stadt seit dem Mittelalter eine reiche jüdische Geschichte hatte und dazu ihre schreckliche Rolle im "Dritten Reich". "Es ging mir", sagt er heute auf Nachfrage, "nie um die Aufarbeitung von Schuld der Deutschen gegenüber der Juden. Ich habe einen ganz natürlichen, unbefangenen Zugang zum Judentum. Es hat mich aber gestört, dass so viele Leute so wenig Ahnung haben von jüdischer Kultur. Ich wollte Wissen vermitteln!"

Aber wie nur, in einer Stadt, die das Problem lustlos vor sich herschob?

Und so kam es zu einem Akt, den man auch im Nachhinein nur als eine Mischung aus Zivilcourage, privater Obsession und verspätetem Sponti-Leichtsinn bezeichnen kann: Am 1. April 1989 räumte Richard Grimm seine Räume an der Maximilianstraße leer und erklärte einer teils staunenden, teils auch belustigten Öffentlichkeit, dass dies von sofort an das Jüdische Museum München sei. Auf 30 Quadratmetern in zwei Zimmern, ohne jede kommunale Unterstützung, mit zunächst nur einigen Stücken aus seiner privaten Sammlung. "Ich dachte", so Grimm heute, "nach spätestens einem Jahr ist die Sache erledigt, dann wird die Stadt gar nicht anders können, als die Idee zu übernehmen". Es dauerte etwas länger als ein Jahr, doch Grimm gab nie auf.

Langsam wuchs die kleine Sammlung, er machte Ausstellungen, erhielt Schenkungen. Das winzige Privatmuseum wurde zu einem Geheimtipp für Touristen und zur Anlaufstelle für Anfragen aus aller Welt zum Thema Juden in München. Auch die Prominenz kam und staunte - vom Jerusalemer Bürgermeister Teddy Kollek bis zum Philosophen Schalom Ben-Chorin. Von Ignatz Bubis ist der Ausruf überliefert: "Dass sich jemand so etwas zu machen traut! Sowas habe ich noch nie gesehen!"

Dann kam das Jahr 1998, das dramatischste für Grimms Initiative: Im Frühjahr noch hatte sich die Stadt erstmals zu einem Zuschuss durchgerungen, als Grimm mit seiner Sammlung vom Vorderhaus ins etwas größere Rückgebäude umzog. Doch die neuen Lasten ließen das Projekt kollabieren: 12.000 Mark Miete, 36.000 Mark Kaution - das war zu viel, aber Grimm hatte es nicht kommen sehen. Im Herbst 1998 kündigte der Vermieter wegen monatelanger Mietrückstände. Es gab hitzige Debatten im Stadtrat, ein Dringlichkeitsantrag jagte den nächsten, die Stadtspitze fürchtete eine internationale Blamage. Grimms privates Museum war längst Münchens halboffizielles Feigenblatt in Sachen jüdischer Kultur geworden.

Stadträte und sogar der OB griffen ihn an, er habe die Stadt in eine Zwickmühle gebracht. Grimm schoss zurück: "Ich kann es auch ganz bleiben lassen!" Das Museum schien bereits verloren zu sein.

Erst kurz vor Weihnachten 1998 kam die Rettung - eine neue Interimslösung: Die Kultusgemeinde nahm Grimms Sammlung bei sich an der Reichenbachstraße auf - mit dem städtischen Kulturreferat als Träger. "Alles nur  vorübergehend", hieß es wieder. Denn so allmählich zeichnete sich ab, dass auf dem St.-Jakobs-Platz tatsächlich eine dauerhafte Heimat für alle jüdischen Einrichtungen entstehen soll.

Heute will Grimm die Krise von vor acht Jahren nicht mehr kommentieren: "Das ist doch inzwischen kalter Kaffee." Wichtiger seien Erinnerungen wie die an den Eintrag eines kleinen Mädchens in sein Gästebuch an der Maximilianstraße: "Ich wünsche mir, dass dieses Museum niemals geschlossen werden muss", schrieb die kleine Besucherin. "Das war so schön", lächelt Grimm wieder, "und ich dachte mir nur: Hoffentlich hat sie Recht . . ."

In der Reichenbachstraße wurden die Zeiten ruhiger. Grimm leitete das Museum noch bis 2001. Die nun städtische Einrichtung war gesichert, aber auch eingebunden in die Kulturbürokratie, was Grimms Naturell nicht unbedingt entgegenkam. Trotzdem verliert er kein schlechtes Wort darüber: "Ich wollte, dass München solch eine Einrichtung bekommt. Ich sah, dass alles auf dem richtigen Weg war - also konnte ich loslassen." Seitdem führt die junge und engagierte Historikerin Doris Seidel das Museum, sie übergibt bald an Bernhard Purin, der sich am St.-Jakobs-Platz trotz allem "Gründungsdirektor" nennen wird. Man will deutlich machen, dass es bald noch einmal "richtig" losgehen soll mit dem Jüdischen Museum in München.

Doris Seidel ist bei den letzten Vorbereitungen für die Abschlussausstellung, in der es um jüdische Jugend in München gehen wird - mit einem wunderbaren Poesiealbum einer Münchner Jüdin aus den 30er Jahren im Mittelpunkt: "Es stimmt schon, ohne Herrn Grimm würde es das alles nicht geben", sagt sie. Der betrachtet unterdessen immer zufriedener die Baustelle auf dem St.-Jakobs-Platz. 2003 hat ihm die Stadt die Medaille "München leuchtet" in Gold verliehen. Vor 18 Monaten wurde er Vater. "Ich bin glücklich, endlich passt alles", sagt er mehrmals.

Weiter Bilder von der Feier im Museum finden sich auf dem Blog des Hauses.

 

 

Veröffentlicht am: 31.12.2015

Über den Autor

Michael Grill

Redakteur, Gründer

Michael Grill ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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