Der neue "Tristan" von Katharina Wagner in Bayreuth
Von der Liebe nicht mal den Tod
Christa Mayer (Brangäne), Evelyn Herlitzius (Isolde), Iain Paterson (Kurwenal), Stephen Gould (Tristan). Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Natürlich flog die blonde Mähne wieder kopfüber mit diesem zackigen Katharina-Wagner-Ruck. Der hat meistens etwas Trotziges. Doch diesmal klammerte sich die Festspielchefin verkrampft an ihr Regieteam, zog die Arme der Nebenmänner vor sich, als wollte sie in Deckung gehen. Allein: Es bestand kein Grund dazu, das Bayreuther Premierenpublikum spendierte ihrem „Tristan“ begeisterten Applaus, kein einziges Buh war zu vernehmen. Und das, obwohl Isolde nicht einmal den Liebestod sterben durfte.
Außer diesem sehr pointierten Ende gab es allerdings auch nichts, an dem man sich hätte besonders reiben können. Und dann war da ja Christian Thielemann, der das düstere Spiel mächtig aufleuchten ließ, jede Phrase füllte mit eigenem Ausdruck, aus seinem willigen Orchester alles herausholte, was dieses Liebesdrama braucht, die Überwältigung des Klangs und das zarte Innehalten, das Zögern und die grenzenlose Leidenschaft. Schlicht: die Emotionen, die oben im unheimlichen Dasein zwischen Traum und Realität meistens auf der Strecke blieben.
Wenn Tristan und Isolde im zweiten Aufzug die niedersinkende „Nacht der Liebe“ mit dem Rücken zum Publikum beschwören, blicken sie auf ihre schemenhaften Alter Egos, die sich in separaten Scheinwerferkegeln verjüngen und schließlich im Nichts verschwinden. Es gibt ja kein Entkommen aus diesem Hochsicherheitstrakt, der von König Markes Schergen mit gleißenden Strahlern durchsucht wird. Tristans „O dieses Licht“ wird hier ganz wörtlich genommen und erhält eine weitere, ausnehmend infame Konnotation.
In der Retrospektive gerät damit auch der erste Aufzug mit einem Labyrinth aus metallenen Treppen, variablen Absperrungen und Brücken zur überwachten Zone. Frank Philipp Schlößmanns und Matthias Lipperts Bühne erinnert sowieso auf den ersten Blick an eine Mischung aus Maurits Cornelis Eschers völlig irrealer „Relativität“ und vor allem Piranesis fantastischen „Carceri d’invenzione“, Gefängnissen also. Wer gerade bei wem steht, ist in lichtloser Tiefe kaum auszumachen, aber in Markes Kommandozentrale in Cornwall weiß man es bestimmt. Auch, dass die verbotene Leidenschaft längst ohne Liebestrank – der wird mit großer Geste ins Leere gekippt – ordentlich ins Lodern gekommen ist.
Georg Zeppenfeld (König Marke), Stephen Gould (Tristan). Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Das hohe Paar will nur nicht so recht zusammen passen. Wohlklang-Tristan Stephen Gould lässt den Zuhörer zwar entspannt, da kann nichts passieren, so einer hält durch. Doch bei aller kaum versiegenden Kraft fehlt es an Farben, Abgründen und leider auch an der darstellerischen Überzeugungskraft. Die vor vier Wochen für Anja Kampe eingesprungene Evelyn Herlitzius ist dagegen ein Bühnentier. Selten findet man eine so intensiv spielende, glaubwürdige Isolde, fern jeder Routine. Nur ist diese Sopranistin längst an ihre Grenzen gelangt, die Höhen sind schneidend, das Vibrato nicht jedermanns Sache, und selbst im Piano fehlt es an Modulationsfähigkeit. Dass sich Herlitzius überhaupt der Tortur ausgesetzt hat, neben der Münchner Elektra diese kräfteraubende Wagner-Rolle zu singen, verdient dennoch Bewunderung.
Gut also, dass im Umfeld solcher Hochseilakte solide Bayreuth-Erfahrung für eine gewisse Sicherheit sorgt. Christa Mayer mag keine ideale Brangäne sein, diese Partie scheint ihr dennoch mehr zu liegen als die Mary im aktuellen „Holländer“. Und auch auf Iain Paterson als Kurwenal und Raimund Nolte in der Rolle des Melot können sich nicht nur ihre Dienstherren verlassen. Schade nur, dass man die einzige Stimme, die jedem Gesangslehrer die Freudentränen in die Augen treiben müsste, doch als zu wenig markant, auch eine Spur zu sachlich erlebt. Für Marke, den Katharina Wagner zum regelrechten Kotzbrocken verdammt, kann Georg Zeppenfeld nicht genug hörbare Gemeinheiten aktivieren. Wenngleich er in seiner Mafioso-Kluft sofort als Fiesling auszumachen, überhaupt als Unterweltsboss angelegt ist und in neidigem Gelb wie all seine Mannen (Kostüme: Thomas Kaiser) dann auch klar als Gegenspieler der „hehren“ Blaugewandeten Tristan und Isolde erscheint.
Allenfalls in seinen Fieberwahnvorstellungen darf sich Tristan im dritten Aufzug seiner Holden nähern, die ihm (ein bisschen zu häufig) in Dreiecksräumen irgendwo im Schwarz der Bühne erscheint. Um bald festzustellen, dass alles nur eine Täuschung war. Was ist Hirngespinst, was Horrortrip in einem Kerker, wo die Liebe zwischen aufgeklappten Fahrradständern stecken bleibt?
Für Katharina Wagner gibt es keine Erlösung. Nicht einmal am Schluss, wenn Isolde den letzten Ton gesungen hat und neben ihrem toten Tristan endlich sterben will. Marke markiert seinen Besitz und zerrt sie gewaltsam mit sich in die Dunkelheit. Brutaler geht es nicht. Dazu lässt Thielemann die Partitur in den herrlichsten Farben leuchten. Ein starker Kontrast, aber auch ein wirkmächtiges Bild am Ende einer Inszenierung, in der manches unausgegoren scheint. Aber Bayreuth ist ja eine Werkstatt.